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Selbstständigkeit statt Pflegefall

Bewegungspass für ältere Menschen in Baden-Baden ist ein Modellprojekt

Senioren können ihr Sturzrisiko minimieren. Zum Beispiel mit Kraft- und Gleichgewichtsübungen. Solche Trainingseinheiten sind Teil des Bewegungspasses. Das Projekt bietet die Stadt Baden-Baden älteren Bürgern an.

 Gesundheitswissenschaftlerin Alessa Braun von der Stadtverwaltung Baden-Baden zeigt die Broschüre „Bewegungspass für ältere Menschen“.
Für einen aktiven Lebensstil: Gesundheitswissenschaftlerin Alessa Braun von der Stadtverwaltung Baden-Baden zeigt die Broschüre „Bewegungspass für ältere Menschen“. Foto: Bernd Kamleitner

Ein Drittel der über 65-Jährigen und sogar die Hälfte der über 80-Jährigen stürzt einmal im Jahr. Solche Zahlen kommuniziert der Interessensverband Deutsche Seniorenliga. Die Folgen sind zum Teil schwerwiegend.

Die Betroffenen erleiden häufig komplizierte Knochenbrüche. Das sind vor allem Hüft- und Oberschenkelhalsfrakturen. Damit nicht genug: Etwa jeder fünfte Gestürzte wird zum Pflegefall. Können ältere Menschen ihr Sturzrisiko minimieren?

Alessa Braun vom Fachgebiet Sozialplanung und Integration der Stadtverwaltung Baden-Baden hat dafür einen Tipp parat: den Bewegungspass. Dahinter verbirgt sich ein Trainingsprogramm für ältere Menschen. Die Broschüre stellt die Bäderstadt den Seniorinnen und Senioren kostenlos zur Verfügung. Vorrangige Zielgruppe sind Menschen ab 65.

Mit den Übungen werden die Muskeln gekräftigt und motorische Bereiche wie Gleichgewicht, Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit trainiert. Wer sie regelmäßig macht, kann davon profitieren. Gesundheit, Fitness sowie Lebensfreude und vor allem Selbständigkeit erhöhen die Lebensqualität – auch im Alter.

Nach Sturz trauen sich viele Senioren kaum noch etwas zu

Ältere Menschen, die einen Sturz glimpflich überstanden oder auskuriert haben, ziehen daraus bisweilen für sich eine keineswegs förderliche Konsequenz. Sie trauen sich kaum noch etwas zu, aus Angst vor einem neuen Vorfall.

Fast jeder zweite Betroffene schränkt nach einem Sturz demnach seine körperliche Aktivität zum Teil erheblich ein. Damit wird das eigene Sturzrisiko wieder erhöht.

Diese Erkenntnisse waren auch mit ausschlaggebend für die Auflage des Bewegungspasses. Das Angebot entstand im Rahmen der so genannten Kommunalen Pflegekonferenz.

Eine Arbeitsgruppe beschäftigte sich dabei mit der Frage, was getan werden kann, um Pflegebedürftigkeit vorzubeugen. „Gute Gesundheit ist dazu eine wichtige Grundlage“, sagt Braun. Wichtige Bausteine, die den Erhalt der Mobilität im Alter fördern, sind – man ahnt es – Bewegung und Ernährung.

Für Kinder und Jugendliche existierten bereits so genannte Bewegungspässe. Seit Juli 2020 liegt der Bewegungspass für ältere Menschen in Stuttgart in gedruckter Form vor. Das Produkt des Amtes für Sport und Bewegung der Landeshauptstadt dient als Vorlage für das Projekt in Baden-Baden.

Startschuss in Baden-Baden

Das ist eine Besonderheit. „Wir sind ein Modellprojekt“, bestätigt Gesundheitswissenschaftlerin Braun. Baden-Baden ist demnach die erste Kommune, die das Stuttgarter Vorbild ebenfalls für ihre Bürgerinnen und Bürger nutzen darf. Vor Ort umgesetzt wird das Projekt von der Kommunalen Pflegekonferenz in Kooperation mit dem städtischen Fachgebiet Schule und Sport.

Jeder kann entscheiden, in welcher Intensität er einsteigt.
Alessa Braun Gesundheitswissenschaftlerin

„Jeder kann entscheiden, in welcher Intensität er einsteigt“, sagt Braun. Mitmachen können Menschen, die bislang keinerlei körperliche Aktivität gepflegt haben. Das Angebot eignet sich zudem für diejenigen, die wieder mit Sport beginnen möchten oder ihre sportliche Betätigung ausweiten wollen.

Unter dem Strich steht das Ziel, bei den Senioren ein Bewusstsein für die Notwenigkeit eines aktiven Lebensstils zu schaffen. „Man kann die Übungen im Alltag und auch daheim unkompliziert einbauen“, findet die Gesundheitswissenschaftlerin.

Ein bisschen Schweiß darf dabei vergossen werden. „Um fitter zu werden, müssen Sie eine Übung als anstrengend empfinden“, heißt es in der Broschüre. Auch im Alter passt sich der Körper an das Training an, bestätigt der Sportwissenschaftler Alexander Woll, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Treten beim Üben Schmerzen auf, die anhalten, sollte aber ein Arzt konsultiert werden.

Immer mehr Menschen sind einsam

Die Übungen können allein oder in der Gruppe absolviert werden. Das Treffen mit Gleichgesinnten wirkt zudem einem ziemlich neuen gesundheitlichen Risikofaktor entgegen: der Einsamkeit. „Es gab noch nie so viele Kommunikationsmöglichkeiten und so viele einsame Menschen“, berichtet Sportwissenschaftler Woll. Gerade ältere Menschen sind davon oft betroffen.

Sport in der Gruppe oder im Verein stellt für Woll daher „soziales Kapital“ dar. Das müsse die Gesellschaft pflegen. Senioren bräuchten für sportliche Betätigung oft einen Anstoß. „Aufsuchende Bewegungsförderung, das ist genau der richtige Weg.“ Ansonsten würden nur die erreicht, die ohnehin einen aktiven Lebensstil haben.

Gesundheitswissenschaftlerin Braun hat das mit dem Bewegungspass im Blick. So sollen Angebote geschaffen werden, die Übungen in der Gruppe zu absolvieren - auch in Ortsteilen. Die Übungen aus dem Bewegungspass stellen wir in der nächsten Ausgabe vor.

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