„Mut im Gepäck“. Ein vielversprechender Titel für ein Buch, in dem viel mehr steckt als taffe Lebenserfahrung. Bei einer musikalischen Lesung gab es tiefe Einblicke, was sich hinter dem Werk verbirgt, das auf Initiative des Arbeitskreis Stolpersteine entstanden ist.
Genau wie die Autoren es selbst in ihrer Vita stehen haben, war auch der Weg vom Projekt bis zum jetzt vorgelegten Buch ein langer. 2018 ging es los mit dem Projekt „Eine Stadt schreibt ein Buch“. Viele Menschen mit Migrationshintergrund, die zum Teil schon sehr lange in Baden-Baden leben, berichten in diesem Forum zum Erinnern von ihrer erlebten Geschichte, von Tränen, Erinnerungen, sprechen über Heimat und über ganz große Momente.
Doch wer ankommt, der muss zuerst anderswo Abschied nehmen, war immer wieder herauszuhören aus den Texten, die mit Unterstützung der beiden Schauspieler Nadine Kettler und Ronald Spieß noch tiefer unter die Haut des Publikums gingen.
Panik, als die Familie in das überladene Boot steigt
Von furchtbarer Angst erzählt etwa Bayan Karram, als die Familie in der Türkei in ein überladenes Boot steigt. Ein kleiner Bruder, gerade fünf Jahre alt, sah das Abenteuer. Der Rest der Familie war in Panik, weil doppelt so viele Passagiere an Bord waren, als gedacht. Hinzu kamen die Trauer und die Tränen, um Zurückgelassene. Doch alles ging gut und es erwarteten sie sogar Menschen am Strand, die ihnen zu trinken und zu essen gaben. Denn das war der Tag, an dem ein Foto um die Welt ging. Ein Foto, das ein ertrunkenes kleines Kind am Strand zeigte.
Doch die neue Freiheit hat viele Facetten, berichtet etwa Luigji Kurti, der 1993 aus dem Kosovo nach Baden-Baden floh. In Österreich kam er in den Genuss der ersten Cola seines Lebens, die er von dem wenigen Geld, das er bei sich hatte, kaufte. „Ich trank ohne Angst, festgenommen zu werden. Ich begriff, ich war frei.“ Dennoch vermisse er die Familie. „Aber nicht den Kosovo.“
Ich trank ohne Angst, festgenommen zu werden.Luigji Kurti, Autor
Auch Tatjana Labsinas erste Eindrücke waren extrem positiv, als sie im Frühling 1992 in Esslingen in der Sammelunterkunft ankam. „In der Ukraine gab es zu Ostern nur zweierlei Blumen – lila Gottesaugen oder Asparagus.“ Hier aber blühte alles in vielen Farben.
Unisono berichteten die Flüchtlinge übrigens auch von ihrer Überraschung, dass es in den Unterkünften so viel zu essen gab.
Flüchtlinge in Baden-Baden: Eingewöhnung fällt nicht immer leicht
Doch sich einzugewöhnen, die Integration, das sei nicht immer leicht gewesen, hat auch Kajally Sanneh erfahren. War es in Gambia reine Frauensache sich um die Küche und das Zubereiten der Lebensmittel zu kümmern, musste er spätestens umdenken, als er seinen ersten Job in der Gastronomie antrat.
Was am Ende im Kopf und im Herzen der Menschen zurückbleibt, ist mannigfaltig, wie die Lesung zeigte. Für Hedwig V. wird die Erinnerung immer nach der Milch und dem weißen Brot schmecken, das man ihnen im Mai 1946 auf einem Bauernhof zu essen gab und das ihr nie mehr so wunderbar mundete.
Doch die Menschen, die hinter dem Buch stehen, haben noch viel mehr erlebt, stecken voller Ideen, etwa was Vorschläge für Namen öffentlicher Plätze und Straßen anbelangt und lieferten die passenden Begründungen dazu gleich mit. Eine Orenburg-Brücke wäre etwa toll, weil diese Stadt im Ural so herrlich deutsch klinge, eine Magdeburger Chaussee als Erinnerung an die Heimat im Osten oder eine Schneestraße. „Da wäre ich dann in Sibirien bei meinem Sohn.“
Ein spannendes, packendes Buch voller Hochs und Tiefs, das einlädt das Thema Integration und die 48 Erzähler neu zu sehen. Klangvoll unterstützt wurde die Veranstaltung vom Orchester Gitarrenklänge und dem Komponisten und Gitarristen Emilio Padron.