
Ein Angriff mit der Flasche, ein Faustschlag ins Gesicht, Vergewaltigung oder verbale Bedrohung: Die Fälle sogenannter Partnergewalt sind in Baden-Baden stark angestiegen. 122 Übergriffe sind in der Kriminalitätsstatistik des Polizeipräsidiums Offenburg für die Stadt Baden-Baden im Jahr 2022 verzeichnet.
2017 waren es noch 78, 2019 wurden 67 Fälle aktenkundig. „Es lässt sich aber mit keiner Statistik belegen, in welcher Zahl und in welchem Maß Fälle häuslicher Gewalt tatsächlich vorliegen“, macht Iska Dürr, Leiterin des Fachbereichs Bildung und Soziales, klar. „Erfasst werden nur die angezeigten Fälle“, sagt sie in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses.
Es gibt ein großes Dunkelfeld.Roland Kaiser
Bürgermeister
„Es gibt ein großes Dunkelfeld“, ergänzt Bürgermeister Roland Kaiser (Grüne). Die Bereitschaft der Betroffenen, eine Anzeige zu erstatten und Hilfe zu suchen, nehme aber zu. Das sei wichtig. Häusliche Gewalt spiele sich zumeist in der eigenen Wohnung ab, einem eigentlich „geschützten Bereich“, zu dem der Staat keinen Zutritt habe, so Kaiser.
Neun Kinder wurden in Baden-Baden in Obhut genommen
Und nicht alles wird bei der Polizei erfasst. Um ein realistisches Bild über das Ausmaß häuslicher Gewalt zu erhalten, seien zur Bewertung der Situation neben der Polizeistatistik auch andere Auswertungen hinzugezogen worden.
Daten des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) wurden zurate gezogen, aber auch Zahlen der Ordnungsbehörde und der Beratungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ (FhF), erklärt Dürr.
So habe der ASD im Jahr 2022 in Baden-Baden 807 Haushalte betreut. In diesen Haushalten wurden in 48 Fällen Vorfälle häuslicher Gewalt gemeldet, 81 Kinder waren betroffen. Neun dieser Kinder wurden in Obhut genommen, so Dürr.
Wie steht es um den Beratungsbedarf? Etwa 50 bis 60 Frauen hätten sich in den Jahren vor Corona an den Verein „Frauen helfen Frauen“ gewandt.
2023 habe sich schon 70 Betroffene an den Verein „Frauen helfen Frauen“ gewendet
Während der zwei Corona-Jahre waren es rund 40 Frauen jährlich, 2022 waren es 80, und bis zum Stand September 2023 meldeten sich fast 70 Frauen, mit denen insgesamt 170 Beratungsgespräche geführt wurden. Die Gespräche seien beratungsintensiver geworden, „die Lebenssituationen der betroffenen Frauen komplex und multiproblembehaftet“, sagt Dürr. Das werde auch durch das Frauenhaus Baden-Baden/ Rastatt bestätigt.
Auch einen Überblick über die erteilten Wohnungsverweise durch die städtische Polizeibehörde erhalten die Ausschussmitglieder. 2019 gab es keinen Fall, 2020 waren es vier, 2022 schon sieben und im laufenden Jahr bereits acht Fälle, heißt es in der Sitzungsvorlage.
Fazit: „Es gibt die Problematik und dringenden Handlungsbedarf“, fasst Iska Dürr zusammen. „Wir wollen die Beratungsmöglichkeiten betroffener Frauen und Familien stärken.“
Dies soll über eine finanzielle Bezuschussung des Vereins „Frauen helfen Frauen und Mädchen“ Rastatt erfolgen. Der Verein ist seit 1985 in der Beratungsarbeit aktiv. Er arbeitet mit vorwiegend ehrenamtlichen Kräften in der Beratung von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, und in der Stärkung von Kindern aus diesen Familien.
„Das ist eine sinnvolle Kooperation mit dem Landkreis Rastatt“, sagt Bürgermeister Kaiser. Auch der Landkreis Rastatt wolle sich finanziell einbringen, um das Personal aufstocken zu können. 75.000 Euro sind notwendig. Der Gesamtbetrag soll entsprechend der Bevölkerungsanteile zwischen Stadtkreis und Landkreis im Verhältnis 20 zu 80 aufgeteilt werden. Der jährliche Zuschuss seitens der Stadt Baden-Baden beträgt also 15.000 Euro.
Das ist ein trauriges Thema, aber leider Realität.Rolf Pilarski
FDP-Stadtrat
„Das ist ein trauriges Thema, aber leider Realität“, merkt FDP-Stadtrat Rolf Pilarski (FDP) an. Er hoffe auf gute Beratungsgespräche, damit rechtzeitig Schlimmeres verhindert werden könne. Hans Litschel (AfD) fragt, ob es auch eine Beratungsstelle für Männer gebe.
Bei der Partnergewalt können natürlich auch Männer Opfer von Frauen sein.Iska Dürr
Fachbereichsleiterin Bildung und Soziales
„Bei der Partnergewalt können natürlich auch Männer Opfer von Frauen sein. Und es gibt auch gleichgeschlechtliche Beziehungen“, antwortet Iska Dürr. Doch der weitaus größte Teil der Partnergewalt werde an Frauen verübt. Von häuslicher Gewalt betroffene Männer könnten sich aber an eine entsprechende Beratungsstelle in Karlsruhe wenden.
Warum die Fallzahlen zugenommen haben, will Ralf Müller (CDU) wissen. „Gesellschaftliche Veränderungen“, sagt Dürr: „Es gibt eine erhöhte Wahrnehmung in der Nachbarschaft. Und eine größere Bereitschaft der Frauen, Täter anzuzeigen.“
Der Sozialausschuss befürwortet die finanzielle Unterstützung – gekoppelt an das Ja aus dem Rastatter Kreistag. In Baden-Baden muss nun noch der Hauptausschuss zustimmen.
Der Verein „Frauen helfen Frauen“ ist unter (07222) 37722 oder per Mail an kontakt@fhf-rastatt.de erreichbar.