„Wir können unsere Kinder nicht mit Friedenswerten erziehen, wenn die Regierungen anders handeln“, sagt Marguerite Brisson-Bode. Gemeinsam mit ihrem Mann Reinhard und dem neunjährigen Sohn Salomon hat sie sich deshalb dem Friedensmarsch angeschlossen, der am Tag der Deutschen Einheit durch die Baden-Badener Innenstadt gezogen ist. „Wissen Sie, was Salomon heißt?“, fragt sie. „Frieden.“
Zwischen 100 und 200 Teilnehmern haben sich zusammengefunden, um ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Die Anzahl variiert je nachdem, ob die Polizei oder die Veranstalter schätzen. Auch die Bodes sind dabei. Zum ersten Mal – vermutlich aber nicht zum letzten Mal. „Ein kleiner Marsch wird vielleicht ja auch mal größer“, sagt Reinhard Bode und reckt seine Peace-Regenbogenflagge in die Höhe.
Vom bunten Spektrum blieben attac und „aufrecht:freidenken“
Von „Frieden mit Russland“ bis „Allein Jesus rettet“ ist nahezu jede Botschaft in Form von Plakaten, Flaggen oder Buttons zu finden. Auch weiße Fahnen flattern im Wind. „Das sind keine Zeichen der Kapitulation“, erklärt Christina Lipps. Sie hat die Friedensdemo für die attac-Regionalgruppe organisiert. „Sie stehen für das bunte Spektrum an Farben, dass hier zusammenkommt. Und das ergibt zusammen weiß.“
Wer sich über Trommeln aufregt, der ist vom eigentlichen Thema abgelenkt.Christina Lipps, attac-Regionalgruppe
So schön die Symbolik ist – ganz so bunt, wie sich Lipps die Veranstaltung gewünscht hat, ist sie dann doch nicht geworden. Europaunion, „Pulse of Europe“, die Kirchen – sie alle fehlen beim ersten Friedensmarsch, den Baden-Baden seit 2014 erlebt. „Wir haben breit eingeladen und auch viel Interesse geweckt“, sagt Lipps. Doch als klar wird, dass die linke attac-Gruppe kein Problem hat, mit der Bürgerinitiative „aufrecht:freidenken“ zusammenzuarbeiten, die ansonsten für ihre Corona-Protestdemos bekannt sind, ziehen sich alle doch wieder zurück, erzählt sie. „Es ist schlimm, wie selbst durch die Friedensbewegung eine Kluft geht.“
Dass sich diese Demonstration tatsächlich von den üblichen Sonntagsdemos unterscheidet, wird schnell klar. Statt auf Trommeln setzen die Veranstalter auf Schweigen. Kein Lärm, keine Megaphone, nur Gemurmel der intensiv miteinander plaudernden Demonstranten. Unter ihnen auch der 71-jährige Franz, der seinen Nachnamen nicht verraten möchte. Ob bei den Sonntagsdemos oder beim Friedensmarsch, er habe das Gefühl, etwas zu bewirken. „Die können das gar nicht ignorieren, die Politiker“, ist er sicher.
Ein kleiner Marsch wird vielleicht ja auch mal größer.Reinhard Bode, Friedensdemo-Teilnehmer
Unbemerkt bleibt der Marsch bei den Passanten in der Innenstadt auch nicht. Anders als bei den Sonntagsdemos gibt es aber nur selten verärgerte Kommentare, wie die eines Mannes, der sich genervt am Demozug vorbeidrückt. „Lästig ist das“, ruft er und eilt weiter. „Das sind doch alles Traumtänzer, die die Realität verpassen.“
Schweigend und unpluggend durch die Innenstadt
Das sieht Waldemar Krieg („Ja, wie das Gegenteil von Frieden.“) anders. Er kommt häufig aus Gaggenau nach Baden-Baden, um mit dem Hund spazieren zu gehen. Bei einer solchen Gelegenheit hat er auch schon eine Sonntagsdemo angehört. „Und hinterher hat die Corona-App voll ausgeschlagen“, sagt er mit einem Lachen. Das Schweigekonzept gefällt ihm deutlich besser: „Ich kann mir schon vorstellen, dass das eine besondere Wirkung hat. Da geht jeder nochmal in sich selbst.“
Genau das war auch Christina Lipps Idee. Der aktuell tobende Krieg sei belastend genug, Trommeln und Lärm unpassend. „Wer sich über Trommeln aufregt, der ist vom eigentlichen Thema abgelenkt.“ Und das betreffe schließlich alle, ob Geimpft oder Ungeimpft, Ukrainer oder Russe.
Das sind doch alles Traumtänzer, die die Realität verpassen.ein verärgerter Passant
Sollte sich das Schweigen bei den Demonstrationen durchsetzen, so wäre das wohl auch ganz im Sinne der CDU. Die hat am vergangenen Freitag einen Antrag an die Stadt gestellt, im Sinne des Energiesparens Lautsprecher und Musikanlagen bei Demonstrationen nicht mit städtischem Strom zu unterstützen. „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist auch ohne entsprechende elektronische Hilfsmittel möglich“, heißt es darin.
Wie gut das funktionieren kann, zeigt sich bei einem Zwischenstopp, den der Demonstrationszug vor der Stadtapotheke einlegt. Hier erklingen Klassiker der Friedensbewegung von Hannes Wader über Reinhard Mey bis Georg Danzer. Und weil die Boxen immer wieder übersteuern, kurzerhand unplugged.