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Queere Inklusion

Transgender-Schülerin aus Baden-Baden: „Wir sind in Deutschland viel weniger weit, als wir vorgeben“

Queer sein ist nach wie vor nicht einfach, immer noch gibt es Vorurteile und Ressentiments. Melanie Müßig, eine 19-jährige Transgender-Schülerin aus Baden-Baden, möchte das gern ändern.

Hat intensiv zum Thema queere Inklusion geforscht: Melanie Müßig, die für ihr Seminar eine 93 Seiten umfassende Arbeit erstellt hat.  Foto: Sarah Reith
Melanie Müßig, hat für ihr Seminar eine 93 Seiten umfassende Arbeit erstellt. Foto: Sarah Reith

Melanie Müßig weiß aus Erfahrung: „Wir sind in Deutschland viel weniger weit, als wir vorgeben.“ Sie meint den Umgang mit Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen. Die Schülerin der Louis-Lepoix-Schule (LLS) ist transgender. Sie hat viel erlebt, auch Mobbing und fiese Kommentare.

Ein Jahr lang hat sie sich deshalb im Rahmen eines Seminars der Frage gewidmet, was sich ändern müsste, um in der Region queere Inklusion zu erreichen. Nun schildert sie die teils überraschenden Ergebnisse.

Im Seminarkurs Zukunft dürfen LLS-Schüler weitgehend selbstständig wissenschaftlich arbeiten zu Fragestellungen, die sie besonders interessieren. Das Attraktive: Das Seminar kann im Abitur die mündliche Prüfung ersetzen. Die Nachwuchsforscher müssen recherchieren, Quellen prüfen, über Experten-Interviews und Umfragen Belege finden für das, was sie behaupten. Am Ende steht unter anderem eine öffentliche Präsentation ihrer Erkenntnisse – und es wird eine Abschlussarbeit erstellt.

Seminararbeit ist stolze 93 Seiten lang

In Melanie Müßigs Fall umfasst diese Arbeit stolze 93 Seiten. Darin beschreibt die 19-Jährige den komplizierten Weg, den sie im vergangenen Schuljahr beschritten hat, um sich dem Thema queere Inklusion wissenschaftlich zu nähern. Zunächst hat sie in einer öffentlichen Umfrage Ideen gesammelt, wie dieses Ziel einer toleranteren Gesellschaft erreicht werden könnte.

Das Spektrum war groß und reichte von Aufklärungsangeboten an Schulen über Erfahrungsberichte in der Zeitung bis hin zu Seminaren für Führungskräfte gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz. Insgesamt 54 Ideen gab es, die sie dann gemeinsam mit einer Gruppe von Interessierten diskutiert, auf ihre Machbarkeit hin überprüft und mit Pro- und Kontra-Argumenten beleuchtet hat.

Eine kleine Auswahl dieser Ideen stand im nächsten Schritt dann bei einer Online-Umfrage im Fokus, an der sich rund 200 Menschen beteiligt haben. Unter anderem wollte die Schülerin herausfinden, welche Ideen auf positive Resonanz in der Region stoßen würden und mit welcher Maßnahme man eine große Reichweite erhalten würde.

Ihr Resultat: Einen besonders großen Effekt könnten Schulungen für Arbeitgeber erzielen.

82 Prozent der Befragten fänden es zudem gut, wenn in Sendungen des SWR-Fernsehens häufiger queere Menschen in Hauptrollen zu sehen wären – und zwar ganz selbstverständlich in allen möglichen Genres, ohne dass die Sexualität im Fokus stünde. Rund 72 Prozent würden sich außerdem für Beiträge zum Thema in BT und BNN interessieren.

In dieser Form zur Aufklärung beigetragen hat Melanie selbst schon: In einem Bericht dieser Redaktion hat sie schon im Mai sehr offen über ihre eigene Geschichte gesprochen.

„Gendern“ mögen viele nicht

Nicht in dieser Form erwartet hätte Melanie das Umfrageergebnis beim Thema inklusive Sprache: Diese anzuwenden, fanden insgesamt nur 37,4 Prozent gut. Bei direkt Betroffenen sah es anders aus: Beim queeren Anteil der Befragten sprachen sich fast 77 Prozent fürs „Gendern“ aus.

Melanie Müßig schließt daraus, dass die inklusive Sprache derzeit nicht exzessiv benutzt werden sollte: „Das spaltet total“ und sei damit eher kontraproduktiv. „Das Ziel ist ja, die Menschen zu vereinen.“ Dass etwas getan werden muss, davon ist die 19-Jährige aber überzeugt.

Es sei längst nicht allgemein akzeptiert, wenn jemand nicht der heterosexuellen Norm entspreche. Sie kenne mehrere Jugendliche, die noch nicht geoutet seien, weil sie sich vor der Reaktion im Elternhaus oder in der Schule fürchteten. Gerade in dieser Phase sei es wichtig, signalisiert zu bekommen: „Es ist okay, wenn du so bist.“

„Ich wurde gemobbt“

Auch ihr eigener Weg war nicht einfach. Weil sie sich nicht mit dem Geschlecht identifizierte, das ihr bei der Geburt zugeordnet wurde, fühlte sie sich „wie ein Alien“. Seit rund drei Jahren lebt sie nun als Frau – und auch das fand nicht jeder in ihrem Umfeld gut: „Ich wurde gemobbt.“ Diese Erfahrungen schildert die 19-Jährige auch eindrücklich in ihrem Videovortrag zum Forschungsprojekt.

Für die queere Inklusion will sie sich vor diesem Hintergrund in Zukunft weiter engagieren – vielleicht auch parallel zum Studium. Die 19-Jährige möchte in Karlsruhe Mediendesign studieren. In den nächsten Monaten hat aber zunächst etwas anderes Priorität: „Ich mache jetzt erst mal mein Abi“, sagt Melanie.

Die erste Note steht jedenfalls schon im Zeugnis: Für ihre Forschungsarbeit zum Thema queere Inklusion hat sie mit 15 Punkten die Bestnote bekommen.

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