
Natürlich gab es auch Geschenke. Kein Wunder, schließlich gilt die Preisverleihung für die Sportler des Jahres im Baden-Badener Kurhaus in Branchenkreisen als Weihnachtsfeier des deutschen Sports.
Das schönste Präsent bekam Niklas Kaul überreicht. Von seiner Schwester Emma. In Form einer verbalen Laudatio. „Für unsere Generation bist du ein wirkliches Vorbild.“ Mit diesen Worten kürte sie ihren acht Jahre älteren Bruder zum Besten der Besten des Jahres 2022.
Ein Vorbild, nicht unbedingt wegen des im August erkämpften Europameistertitels im Zehnkampf, sondern vielmehr „wegen der Art Mensch, der du bist. Ich bin unglaublich stolz und super dankbar, dass ich dir hier diesen Preis überreichen darf“, kommentierte Emma Kaul, selbst Mehrkämpferin, ihren Überraschungsauftritt.
Es war ein Moment, der ans Herz ging. So wie die Kür von Gina Lückenkemper zur Sportlerin des Jahres. Nicht zu vergessen die der Frankfurter Eintracht, der Mannschaft des Jahres.
Argentiniens WM-Sieg flimmert auf neun Bildschirmen
Zum mittlerweile 76. Mal wurde Deutschlands besten Sportlern am Sonntagabend von der Internationalen Sportkorrespondenz der Rote Teppich ausgerollt.
Und nach zwei Jahren unter dem Corona-Diktat wurde das sportliche Superjahr 2022 beinahe wie früher gefeiert. Zahlreiche Stars – aktuelle wie Formel-1-Legende Sebastian Vettel und altvordere wie Radsportikone Täve Schur – defilierten vorbei an Schaulustigen. Der ein oder andere sonnte sich bereitwillig im Blitzlicht der Fotografen.
Obendrein flimmerte Argentiniens WM-Sieg über insgesamt neun Bildschirme. Fußball als bildhafte Untermalung des Smalltalks der Sportelite. Der Bénazetsaal war indes im Vergleich zu präpandemischen Galas etwas luftiger bestuhlt.
Kauls zweiter Streich
Für Kaul war es am Sonntagabend ein Comeback. In gleich mehrfacher Hinsicht. 2019 wurde der damals 21 Jahre alte Decathlet in Doha völlig überraschend Weltmeister und folglich nicht ganz so überraschend Sportler des entsprechenden Jahres. Mit 24 Jahren gelang dem 1,90 Meter großen Modellathlet dieses Kunststück heuer bereits zum zweiten Mal.
Vorausgegangen war seiner Kür ein zweites, wirklich bemerkenswertes Comeback: Nach dem ersten Tag der leichtathletischen Vielseitigkeitsprüfung bei den kontinentalen Titelkämpfen in München lag der Mainer lediglich auf Platz sieben. „Dass ich jetzt hier stehe, hätte ich nicht gedacht“, sagte Kaul mit Blick auf ein verkorkstes Jahr 2021.
Vom ersten Tag bei der EM in München ließ er sich indes nicht aus der Ruhe bringen: „Ich war mir relativ sicher, dass es bis zum Ende gut funktioniert.“ Und wie es funktionierte. Die Aufholjagd mündete in 8.545 Punkten. Und in Platz eins in Baden-Baden für den König der Athleten. „Ich hatte nicht nur Gänsehaut, sondern auch einen Puls von 180, als ich die Bilder wieder gesehen habe“, sagte Gina Lückenkemper, als ihr Gold-Sprint auf der Leinwand rekapituliert wurde.
Dramatischer hätten die finalen der insgesamt 100 Meter im Münchner Olympiastadion kaum sein können. Die schnellste Frau Europas war mehr über die Ziellinie gestürzt, als dass sie sprintete. So knapp die Entscheidung auf der Tartanbahn ausfiel, so deutlich war das Votum der Fachjournalisten. Das lag freilich auch daran, dass die 26-Jährige trotz Kapselriss und mit acht Stichen genähter Wunde nur drei Tage nach ihrem Einzel-Coup auch die deutsche Staffel zu Gold führte.
Felix Loch als Vorbild geehrt
Weitere Titel wurden derweil unter Ausschluss der TV-Öffentlichkeit vergeben, also außerhalb der ZDF-Übertragung. Yulia Raskina (Rhythmische Sportgymnastik) ist Trainerin des Jahres, ihr männliches Pendant Bob-Bundestrainer René Spies. Zur Newcomerin 2022 wurde Sportkletterin Hannah Meul ernannt. Deutlich länger im Geschäft als die 21-Jährige ist der dreifache Olympiasieger Felix Loch. Der Rennrodler wurde untere anderem auch aufgrund seines Engagements für den Verein Athletes for Ukraine mit dem „Sparkassenpreis für Vorbilder im Sport“ ausgezeichnet.
Dass Olympiasieger in einem Sportjahr im Zeichen der Ringe gänzlich leer ausgehen, wenn es um die ganz vorderen Plätze geht, ist – gelinde gesagt – ungewöhnlich. Und dennoch ist es in diesem Jahr passiert. Obwohl die Rinnen-Raser um Francesco Friedrich und sein Bob-Team in Peking sogar doppelgolden glänzten. Ungewöhnlich, um nicht zu sagen sensationell, war allerdings auch die Europa-Reise der Frankfurter Eintracht. Und so hieß es am Sonntagabend: Die Adler sind gelandet. In Baden-Baden. Als Mannschaft des Jahres 2022.
Frankfurts Europapokal-Triumph
„Wir haben im vergangenen Jahr Gänsehaut im Abo nach Deutschland geliefert“, krächzte Präsident Peter Fischer in den Bénazet-Saal und lobte die „Leidenschaft“ und den „Teamgeist“ seiner Mannschaft. Das „Heimspiel“ in Barcelona. Die magische, weil äußerst dramatische Final-Nacht von Sevilla, in der die Eintracht erst im Elfmeterschießen gegen die Glasgow Rangers triumphierte – das überzeugte Deutschlands Sportjournalisten offenbar. Mehr jedenfalls als Platz zwei der deutschen Fußballerinnen bei der EM. Mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg waren die Kickerinnen immerhin zu elft in Baden-Baden. Peter Fischer stand alleine auf der LED-getunten Hightech-Bühne.
Großen Applaus gab es dennoch. Für Eintracht-Fan Sebastian Vettel, der die Laudatio auf „seinen Verein“ sprach. Besser: verhaspelte. Der Rennfahrer im Ruhestand musste bei seinem Gedicht oft nach dem Text suchen. Erst ist Kopf, dann final auf dem Handy. „Normalerweise rede ich ganz viel und bin dabei nicht nervös“, sagte Vettel. Sein verbales Geschenk kam trotzdem bestens an.