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Leben mit unsicherer Zukunft

Miese Stimmung: Mitarbeiter der Baden-Badener Firma Xandor wollen Eaton verklagen

53 Mitarbeiter der Baden-Badener Firma Xandor sind ihren Job los. Das drückt die Stimmung. Doch Experten sehen gute Chancen für die betroffenen Angestellten.

Der grüne Zweig der Hoffnung: Formfehler beim Betriebsübergang von Eaton zu Xandor könnten 53 Mitarbeitern, die vor der Entlassung stehen, zugute kommen.
Formfehler beim Betriebsübergang von Eaton zu Xandor könnten Mitarbeitern, die vor der Entlassung stehen, zugute kommen. Foto: Franz Vollmer

Die Lichtverhältnisse waren durchaus passend zur Gesamtsituation: Trübe, traurig, trist. Und der dreifache T-Faktor umschreibt durchaus gut die Lage für die 53 freigestellten Mitarbeiter der Firma Xandor Automotive in Oos, von denen der Großteil der Einladung des Betriebsrats gestern in die Bürgerbegegnungsstätte Halberstung gefolgt war. Thema der Infoveranstaltung war insbesondere die Option, die Vorgängerfirma aufgrund eines Formfehlers noch abfindungstechnisch in Regress zu nehmen. Die allgemeine Stimmung war dennoch mies.

„Einfach nur bedrückend“, findet Günter Müller die Lage der Betroffenen. Der 50-jährige Mitarbeiter aus Bischweier, seit 25 Jahren „Springer und Mädchen für alles“, wurde wie die meisten freigestellt und kommt sich ob der vollendeten Tatsachen entsprechend veräppelt vor. Auch ein 64-jähriger Kollege findet das jähe Aus nach 33 Betriebsjahren „furchtbar“, hat aber ob der nahen Rente das Lachen nicht verloren.

Andere sind nicht mit solch Alter gesegnet, sie müssen seit Monaten von einer Woche auf die andere und mit unsicherer Zukunft leben. „Wir sind praktisch seit zweieinhalb Jahren zuhause. Die ganze Zeit Kurzarbeit. Nur ab und zu durfte man arbeiten. Das ist schon übel“, klagt eine 54-jährige Mitarbeiterin aus dem Einkauf, der „im Moment der Kopf raucht“ und das nicht von der Raucherpause. Für die 56-jährige Kollegin aus der Lager/Logistik-Bereich, ebenfalls rund ein Vierteljahrhundert im Betrieb, war die Misere schon beim Übergang absehbar.

Angestellte hoffen auf Aufstockung der Abfindung

Die Fehler, so der Tenor, wurden schon vor Jahren gemacht. Eaton habe alles runtergefahren, weder Krieg noch Pandemie sollten als Ausrede dienen. Umso schlimmer, dass sich „das Ganze noch zwei Jahre hinzog“. Die jetzigen Angebote könnten helfen, dennoch verlassen sich beide auch auf Eigeninitiative bei ihrer Zukunft.

Ein anderer Mitarbeiter, 59 Jahre alt, Musterbau, 39 Jahre im Betrieb, durfte vor vier Wochen zuletzt ran – und sogar Überstunden schieben. Auch das Auswahlverfahren wird bemängelt. „Die Kriterien kann man nicht nachvollziehen“, sagt ein Routinier aus dem Musterbau, ein Bereich, den es vor allem traf. Etliche qualifizierte Kräfte, die den Betrieb mit aufgebaut hätten.

Was die Stimmung mittelfristig heben könnte, ist die Aussicht auf eine Aufstockung der Abfindung. Sie fußt, wie Rechtsanwalt Dietrich Growe ausführte, letztlich darauf, dass die Vorgängerfirma Eaton beim Betriebsübergang nicht der nötigen Informationspflicht nachgekommen ist – somit die übliche Monatsfrist für einen Widerspruch nicht verstrichen sei.

Aus seiner Warte sei nicht korrekt über die „rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für den Arbeitnehmer“ informiert worden. Umso mehr als das Xandor-Konstrukt darauf angelegt ist, „ganz auf Kante genäht“ zu sein. Der Experte sieht jedenfalls „sehr gute Chancen, den fehlenden Betrag zu erhalten“.

Arbeitsrechtsexperte sieht gute Erfolgschancen für Widerspruch

Und die Differenz ist durchaus erklecklich: Die aktuelle Abfindung von Xandor liege immerhin „rund zwei Drittel unter der von Eaton“, erklärt Thomas Niebrügge, Gewerkschaftssekretär bei der IG Bergbau Chemie Energie (Bezirk Karlsruhe), die quasi als Gastgeber fungierte.

Zudem – zweiter Fauxpas – habe Eaton seinerzeit eine Bürgschaft in Höhe von fünf Millionen Euro ausgestellt – für den Fall, dass Xandor in die Insolvenz rutsche. Dies ist nach Ansicht der Experten allerdings nicht im Ansatz ausreichend für den tatsächlichen Bedarf bei einem Sozialplan. Der läge nach Einschätzung von Growe bei 28 Millionen Euro. Einen Widerspruch gegen Betriebsübergang könne man daher allen anraten.

Infoveranstaltung in Halberstung mit Betriebsratsvorsitzendem, IGBCE-Vertreter und Rechtsexperte (von links, stehend).
Infoveranstaltung in Halberstung mit Betriebsratsvorsitzendem, IGBCE-Vertreter und Rechtsexperte (von links, stehend). Foto: Franz Vollmer

Für Niebrügge bestreite man mit diesem Weg „sogar ein Stück Rechtsgeschichte“, die Konstellation sei in dieser Form noch nicht vorgekommen. Für den Widerspruch benötigt man aber 26 Beteiligte.

„Wir sind aber guter Dinge, dass wir die zusammenbekommen“, erklärt Betriebsratsvorsitzender Norbert Wurz, der erneut sein Bemühen unterstrich, die Mitarbeiter nicht im Regen zu lassen, sondern in dieser heiklen Lage bestmöglich zu unterstützen.

Klage gegen Xandor: Mitarbeiter wägen Vor- und Nachteile ab

Ansonsten diente der Vormittag vor allem, drängende Fragen zu Entgeltregelungen, Tarifaspekten und möglichen rechtlichen Vor- und Nachteilen abzuklappern, auch bei einer Klage gegen Kündigung von Xandor, aber nicht zuletzt darum, Werbung für die Transfergesellschaft „weitblick“ zu machen.

Growes Fazit: Mit einem Eintritt verschenke man sich nichts, im Gegenteil, man habe ein Jahr Planungssicherheit. „Auch die Abfindung wird um keinen Cent geschmälert“, so der Arbeitsrechtsexperte. Die Einrichtung garantiert ein Jahr 80 Prozent des Nettolohns plus Weiterbildungsangebote, um sich für den Arbeitsmarkt positionieren zu können. Und so trugen sich flugs gleich einige ein, auch wenn man „nicht weiß, was dabei rauskommt“.

Nicht auf derlei Fremdhilfe will sich indes Günter Müller verlassen. „Die Entscheidung ist jedem überlassen. Aber ich bin von Natur so gestrickt, dass ich die Dinge lieber selber in die Hand nehme“, gibt er sich couragiert auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber. Auf dass die Zukunft nicht so trübe, traurig und trist wird.

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