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Qualität der Betreuung

Mutter aus Baden-Baden findet keinen Kita-Platz: Was der Erziehermangel für Eltern und Kinder bedeutet

In der Kinderbetreuung fehlt Personal. Überall in der Region suchen Eltern Plätze für ihre Kinder – so wie Patrizia Angiocchi aus Baden-Baden. Wie sich der Erziehermangel auf die Qualität auswirkt.

Erzieher fehlen: Die Personalnot im Bereich der Kinderbetreuung bleibt ein Dauerproblem. Das kann sich auf die Qualität der Betreuung auswirken.
Erzieher fehlen: Die Personalnot im Bereich der Kinderbetreuung bleibt ein Dauerproblem. Das kann sich auf die Qualität der Betreuung auswirken. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Patrizia Angiocchi ist wütend. Die Baden-Badenerin spürt die Folgen des Erziehermangels zum zweiten Mal. Für ihre Tochter gab es im örtlichen Kindergarten keinen Platz. Und das, obwohl die 35-Jährige ihren Nachwuchs vor mehr als drei Jahren anmeldete.

Die Personalnot im Bereich der Kinderbetreuung bleibt ein Dauerproblem. Überall in Baden-Württemberg suchen Einrichtungen qualifizierte Fachkräfte. Schon im Juli berichteten hunderte Kommunen, dass Einrichtungen ihre Zeiten reduzierten oder sogar Gruppen schlossen.

„Immer schlechtere Arbeitsbedingungen führen zur Flucht aus den Berufen“, kritisierte Verdi-Landesbezirksleiter Martin Gross kürzlich. Am Ende gebe es noch weniger Fachkräfte und damit weniger Kita-Plätze. Nun will die Landesregierung auf Qualitätsstandards in der Kinderbetreuung verzichten. Konkret heißt das: Ein Erzieher kümmert sich um mehr Kinder. Die Gruppen werden größer. Wie viele Kinder dazukommen, steht laut Kultusministerium noch nicht fest.

Zudem dürfen nicht-pädagogische Kräfte Erzieher ersetzten, wenn bis zu einem Fünftel der Fachkräfte ausfallen. Dabei gilt die Regel: Einen Erzieher müssen mindestens zwei Nicht-Fachkräfte ersetzen.

Zusätzlich kündigte das Land Baden-Württemberg bereits im Juli Kita-Einstiegsgruppen an. Solche Gruppen sollen Übergangslösungen sein. Träger können sie ab diesem Kindergartenjahr anbieten. Einstiegsgruppen richten sich an Kinder, die noch keinen Platz haben und auf Wartelisten stehen. Im Vergleich zu regulären Gruppen, benötigen Einstiegsgruppen nur eine Fachkraft. Sie wird von einer geeigneten Betreuungskraft unterstützt. Dadurch sollen kurzfristig mehr Kinder betreut werden.

Verfügbare Plätze gehen in Baden-Badener Kindergarten an Zweijährige

Im Moment bekommen viele Eltern keinen Platz. Auch Patrizia Angiocchi stand Anfang des Jahres ohne da. Eigentlich hatte sie ihre Tochter kurz vor der Geburt, vor etwa drei Jahren, in einer Einrichtung in Baden-Oos angemeldet. In diesem Stadtteil lebt die Familie.

Anfang 2022 sollte das Mädchen dort starten. Dann der Schock: Es gab keinen Platz. Alle verfügbaren Plätze seien an Zweijährige gegangen, die bereits in der Einrichtung betreut wurden. Damit sei die Gruppe der Über-Drei-Jährigen voll.

Es kann doch nicht sein, dass ich mit einer Vorlaufzeit von drei Jahren keinen Platz bekomme.
Patrizia Angiocchi, Mutter aus Baden-Baden

Das ärgerte Angiocchi: „Es kann doch nicht sein, dass ich mit einer Vorlaufzeit von drei Jahren keinen Platz bekomme.“ Sie rief bei der Stadt und beim Träger an – ohne Erfolg. Mit viel Glück bekam die 35-Jährige über die Leiterin einen Platz im Kindergarten in Balg. In die Einrichtung ging schon ihr Sohn – aus den gleichen Gründen. Eine Dauerlösung sei das aber nicht.

Denn: Die Familie hat nur ein Auto und Angiocchis Partner arbeitet im Schichtdienst. Deshalb können sie die Kleine nicht dorthin bringen. Momentan springen die Omas ein. Die Situation stresse die Familie enorm.

Stadt Stutensee schließt Gruppe in einem Kindergarten

Auch in anderen Städten und Gemeinden zeigt sich die Personalnot. Die Kita Tivoli in Karlsruhe schloss etwa bis Mitte September, weil Personal fehlte. 30 Familien standen von heute auf morgen ohne Betreuung da.

Auch der Stadt Stutensee gehen Fachkräfte aus. Deshalb fuhr die Verwaltung das Betreuungsangebot in einem Kindergarten herunter. Dort gibt es derzeit nur drei statt vier Gruppen.

Eigentlich haben alle Kinder vom ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege. Der Anspruch existiert aber nur auf dem Papier.

Regionale Wartelisten seien voll, heißt es von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg (GEW). Das Land brauche mehr Betreuungsplätze. Allerdings dürfe die Qualität der Betreuung nicht sinken.

Laut Karlsruher Psychologin brauchen Kinder Vertrauenspersonen

Dass die Personalnot die Qualität der Betreuung verschlechtern könne, erklärt Marianne Soff, Psychologin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Sie beschäftigt sich mit frühkindlicher Entwicklung.

Soff berichtet, dass Kinder verlässliche Vertrauenspersonen bräuchten. Nicht alle bauten eine sichere Bindung zu ihren Eltern auf. Gerade dann seien Erzieher wichtige Bezugspersonen.

Ein Kind muss sich sicher fühlen.
Marianne Soff, Psychologin an der PH Karlsruhe

Außerdem sei Kontinuität wichtig. Erzieher sollten ein Kind möglichst lange betreuen. „Ein Kind muss sich sicher fühlen“, sagt Soff. Wechseln Betreuer ständig, wirkt sich das mitunter auf die Psyche der Kinder aus. Einige schotteten sich ab. Andere klammerten sich an einzelne Personen.

Zudem müssten Erzieherinnen und Erzieher ihre Schützlinge kennen, um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Kleinen lassen sich meist nur von Vertrauenspersonen Grenzen setzen oder helfen. „Jedes Kind ist anders“, sagt Soff.

Fehlt Personal, passieren laut der Psychologin auch häufiger kleinere Unfälle. Dabei verletzten sich die Kinder mitunter. Werden Gruppen schlechter beaufsichtigt, könne es zudem passieren, dass stärkere Kinder Schwächere ausgrenzen oder quälen. Streitigkeiten seien zwar unter Kindern normal, allerdings müssten sie von Erziehern beobachtet und moderiert werden. Die Qualität der Betreuung hat demnach einen enormen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. Fehlen Erzieherinnen und Erzieher, kann sich das negativ darauf auswirken.

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