
Das mondäne Casino im Kurhaus und die prachtvolle Flaniermeile Lichtentaler Allee sind weltbekannt. Weniger bekannt ist eine andere und wilde Seite Baden-Badens: Die Bäderstadt hat vor ihrer Haustür einen Urwald.
Für den zum 1. Januar 2014 ausgewiesenen Nationalpark Schwarzwald steuerte Baden-Baden einen Anteil aus dem Stadtwald bei. Die Fläche ist ein bedeutender Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere. Darunter sind auch räuberische Gesellen. Aber keine Sorge: Vor denen muss sich kein Mensch fürchten.
Mit rund 420 Hektar beträgt der Anteil Baden-Badens am 10.000 Hektar großen und einzigen Nationalpark (NLP) in Baden-Württemberg zwar nur rund vier Prozent, doch die grundsätzliche Bedeutung der Fläche ist allein mit dieser bescheiden klingenden Zahl nicht annähernd angemessen beschrieben.
Baden-Baden hat mit Bereitstellung von Wäldern zum Nationalpark beigetragen
Die Bereitschaft der Bäderstadt, einen Teil des Stadtwaldes für das anfangs sehr umstrittene Nationalparkprojekt zur Verfügung zu stellen, war zu der damaligen Zeit ein wertvoller Beitrag zur Realisierung des Schutzgebiets zwischen Baden-Baden und Freudenstadt.
„Das war in den Debatten über den Nationalpark und bei der Umsetzung ein wichtiger Baustein“, bestätigt der frühere Nationalparkleiter Wolfgang Schlund. Für das gesamte Gebiet sei dieser Teil im Bereich zwischen Plättig und Badener Höhe „eine tolle Ergänzung“.

Im zweigeteilten Nationalparkgebiet umfasst der nördliche Teil im Bereich Hoher Ochsenkopf/Plättig an der Schwarzwaldhochstraße (B500) mit dem Baden-Badner Anteil eine Fläche von insgesamt 2.447 Hektar.
Der höchste Punkt von Baden-Baden liegt auf 1.002 Meter
Die zweite und deutliche größere Schutzgebietsfläche liegt mit 7.615 Hektar am Ruhestein, der Passhöhe zwischen Murg- und Achertal.
Beim prozentualen Anteil der sogenannten Kernzone, dem eigentlichen Urwald von morgen, hat die kleinere nördliche Fläche mit Baden-Badens höchster Erhebung – das ist die Badener Höhe mit dem 30 Meter hohen Friedrichsturm auf 1.002,5 Meter – aber die Nase vorne. „Da sind wir Richtung 75 Prozent unterwegs“, erläutert Schlund.

Im Vergleich zur Gesamtfläche sind derzeit über 50 Prozent des Großschutzgebiets Kernzone. Nach den internationalen Richtlinien muss diese Fläche innerhalb von 30 Jahren auf insgesamt 75 Prozent anwachsen – im Nationalpark Schwarzwald ist diese Vorgabe also bis zum Jahr 2044 zu erfüllen.
In der Kernzone des Parks wird Natur sich selbst überlassen
In der Kernzone gilt das Nationalpark-Motto „Natur Natur sein lassen“ ohne Einschränkungen: Diese Fläche wird komplett sich selbst überlassen und demnach am stärksten geschützt. Auf ausgewiesenen Wegen ist der Mensch dort – auch im Gebiet oberhalb von Baden-Baden – nach wie vor willkommen. Allerdings trifft der Naturfreund bisweilen auf Verbotsschilder. Sie weisen darauf hin, dass Wege gesperrt sind, um „die Natur zu beruhigen“.
Die Höhenlagen des Nationalparks bei Baden-Baden sind ein gutes Gebiet für den Schwarzspecht, weil dort viele ältere Buchen stehen, erläutert Marc Förschler, Leiter des NLP-Fachbereichs Faunistische Forschung und Artenschutz.

Von den vielen Baumhöhlen des Schwarzspechts profitieren zudem andere: „Die sind wiederum Brutraum für Raufußkäuze und die in Höhlen brütende Hohltaube“, berichtet Förschler. Die seltene Taubenart lebt schwerpunktmäßig in diesem Teil des Nationalparks.
Der Laufkäfer zeigt im Nationalpark Schwarzwald den Klimawandel an
Hier kommen auch die eingangs erwähnten „räuberischen Gesellen“ vor – gemeint sind winzige Käfer. „Aufgrund des großen Laubholzanteils finden sich hier einige Arten, die wir sonst fast nirgends im Park haben“, weiß Jörn Buse.
Im Nationalparkteam ist dieser Mann der Experte für Biodiversität und für wirbellose Insekten, im Fachjargon Invertebraten. Eine Besonderheit ist Colydium elongatum: ein räuberisch aktiver Totholzkäfer, der gern an Eichen und Buchen nach so genannten Pochkäfern und Borkenkäfern jagt.
Ein Einwanderer wurde auch registriert: Carabus intricatus. Der Laufkäfer macht seinem Namen alle Ehre und wandert aus den tieferen Lagen der Vorbergzone gerade in den Nationalpark ein. Hintergrund für sein Verhalten ist der Klimawandel, berichtet Buse.
Von diesem Käfer gibt es ansonsten nur wenige Funde bei Allerheiligen, der Klosterruine auf Gemarkung von Oppenau am Rande des Nationalparks.
Im Nationalpark Schwarzwald einen Luchs zu treffen, ist unwahrscheinlich
Hin und wieder streift ein Luchs durch den Nationalpark. Der seltenen und scheuen Raubkatze beim Waldspaziergang zu begegnen, diese Wahrscheinlichkeit ist oberhalb von Baden-Baden und auch sonst im Nationalpark und im gesamten Schwarzwald sehr, sehr gering.
Auf dem etwa 4,5 Kilometer langen Luchspfad kann der interessierte Naturfreund jedoch viel über das Leben des Pinselohrs erfahren.

Die Haare des Luchses, die wie ein Pinsel spitz nach oben abstehen, haben die Funktion von Antennen. Damit können Luchse Geräusche orten.
Aus totem Holz sprießt neues Leben
Mit dem 3,5 Kilometer langen Wildnispfad gehört ein weiterer beliebter Erlebnisweg nahe Baden-Baden zum Schutzgebiet. Nachdem der Orkan Lothar im Dezember 1999 Bäume wie Streichhölzer umknickte, durfte sich die Natur schon vor der Ausweisung als Nationalpark auf einer etwa 70 Hektar großen Fläche frei entwickeln. So wird anschaulich dokumentiert, wie auf totem Holz wieder neues Leben sprießt.
Der Bereich der beiden Erlebniswege ist zudem reich an Pilzarten. Sie sorgen dafür, dass umgestürzte und tote Bäume zerfallen und somit zum Nährboden für junge Pflanzen werden.
„Hier kommen unter anderem Tannenstachelbart, Tannenfeuerschwamm und viele andere Arten vor“, weiß der NLP-Experte für Mykologie und Bodenökologie, Flavius Popa.
Ein Pilz, der nach Dosen-Ananas riecht
Auch andere seltene Exemplare haben sonderbar klingende Namen: Haben Sie schon einmal vom Scheinbuchen-Fadenstachelpilz (lateinisch Phlebia nothofagi) gehört? „Er hat einen aufdringlichen Geruch nach Dosen-Ananas“, findet der Pilzexperte.
Der äußerst seltene Pilz, der bisher im nördlichen Schutzgebietsteil auch nur einmal nachgewiesen wurde, ist allerdings ungenießbar. Er hat nicht nur eine Funktion bei der Zersetzung von abgestorbenem Buchenholz, er gilt zudem als ein Anzeiger für Naturnähe, also das, was der Nationalpark grundsätzlich dokumentieren soll.
Das gilt ebenso für einen Urwaldpilz mit dem Namen Zitronengelbe Tramete (Antrodiella citrinella). Der war im Nationalpark Schwarzwald zunächst nur aus dem Gebiet des Bannwaldes Wilder See beim Ruhestein bekannt, konnte jedoch im vergangenen Jahr das erste Mal auch im Nordteil nachgewiesen werden.
Urwald hat auch für touristische Vermarktung Bedeutung
Die Natur mit all ihren Besonderheiten und faszinierenden Erscheinungen ist bei der touristischen Vermarktung von Baden-Baden ebenfalls ein gewichtiger Faktor. „Diese Verbindung ist für uns sehr wichtig“, betont die Kur- und Tourismus-Chefin Nora Waggershauser.
Das gilt erst recht in Zeiten der Corona-Pandemie. Sobald der Lockdown gelockert wird, was an der Oos und natürlich auch andernorts regelrecht herbeigesehnt wird, will Baden-Baden nicht nur mit seinen gepflegten Grünanlagen und dem breit gefächerten kulturellen Angebot wieder Gäste für einen Aufenthalt an der Oos begeistern.

Die Kombination mit dem nahen und ursprünglichen Naturerlebnis etwa im Nationalpark hält die Tourismusexpertin für ideal.
Waggershauser sieht darin einen deutlichen Mehrwert für die Besucher zu den hinlänglich bekannten Vorzügen der kleinsten Weltstadt Deutschlands, wie Baden-Baden in Werbekampagnen immer wieder bezeichnet wird.
Baden-Baden ist einer der größten kommunalen Waldbesitzer Deutschlands
Zur Entstehung des Nationalparks vor den Toren der Bäderstadt hatte übrigens das städtische Forstamt Baden-Baden über Jahrzehnte einen Beitrag geleistet. „Auf der Badener Höhe gab es Flächen, in der wir viel der Natur überlassen haben“, betont Thomas Hauck.
Daraus lernen wir auch viel für den Stadtwald.Thomas Hauck, Baden-Badener Forstamtsleiter
Die weitere Entwicklung des Waldes ohne Einfluss des Menschen im Nationalpark verfolgt der Baden-Badener Forstamtsleiter sehr aufmerksam. „Daraus lernen wir auch viel für den Stadtwald.“

Mit über 7.500 Hektar forstbetrieblicher Betriebsfläche ist die Stadt Baden-Baden einer der größten kommunalen Waldbesitzer der Bundesrepublik Deutschland – und stolzer Nationalpark-Waldbesitzer. Die dem Schutzgebiet zur Verfügung gestellte Fläche von genau 423,5 Hektar gehört dem Grundbucheintrag nach immer noch der Bäderstadt.