Es ist ordentlich was los an diesem Samstagmittag in der Stadtbibliothek – doch der Körbchenstapel, mit dem die Mitarbeiter kontrollieren können, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig auf der Suche nach Lesestoff sind, ist trotzdem nicht leer. „Früher war das ganze Haus voll an einem Samstag“, erinnert sich Bibliotheksleiterin Sigrid Münch. „Jetzt kommt eben nicht mehr die ganze Familie, und viele Menschen bestellen ihre Medien zur Abholung vor.“
Das ist ein schöner Ausflug für die Kinder.Veronika Lang, Bibliotheksbesucherin
Geschmökert wird aber trotzdem noch fleißig. Etwa ganz oben, im Lesecafé. An einem der auf Abstand platzierten Tische sitzt Vera Stangier. Die Rentnerin geht zwei Mal in der Woche zum Zeitungslesen. „Wenigstens ist die Bibliothek offen, wenn die Bäder schon zu sind“, freut sie sich. Zwar habe sie diese Entscheidung erstaunt, „aber ich bin sehr froh darüber. Das ist schließlich das einzige, das man machen kann.“
Wer seine Bücher nicht nur abholt, bleibt gerne auch länger
Zwei Ecken weiter sitzt eine junge Frau an einem gemütlichen Tisch. Vor sich hat sie dicke Ordner ausgebreitet. „Ich lerne für eine Klassenarbeit am Montag“, sagt die Schülerin. Sie kommt nicht, um sich Fachbücher auszuleihen, sondern wegen der Ruhe im Haus. „Ich kann mich hier besser konzentrieren als zuhause.“
Plötzlich durchschneidet eine Stimme die Stille: „Sitzt ihre Maske auch richtig. Über Mund und Nase? Dann helfen Sie, dass Ihre Bibliothek auch weitere geöffnet bleiben kann.“ Insgesamt gibt es drei unterschiedliche Texte, die von Mitarbeitern der Bibliothek eingesprochen wurden.
„Das war eine Idee aus dem Team“, sagt Leiterin Münch, die sich über das Engagement ihrer Mitarbeiter freut. Und bei den Bibliotheksbesuchern kommt die Botschaft offenbar auch an: Die sonst immer wieder gern getragene Maske als Kinnwärmer ist hier nicht zu sehen.
Das ist schließlich das einzige, das man machen kann.Vera Stangier, Zeitungsleserin
Selbst manche Kinder haben den Mund-Nasen-Schutz im Gesicht – obwohl er erst ab sechs Jahren Pflicht ist. „Sie wissen, dass es wegen Corona ist, aber sie finden es blöd“, sagt Mama Veronika Lang, während ihre Söhne Paul und Lasse sich durch Hörspiele und Kinderbücher wühlen.
Etwa ein Mal im Monat kommt die Familie vorbei, um sich einzudecken. „Meist sind es am Ende 15 bis 20 Bücher und CDs rund um Natur, Tiere, Technik und so weiter.“ Aber es geht Mama Veronika nicht darum, so schnell wie möglich wieder nach Hause zu kommen. „Das ist ein schöner Ausflug für die Kinder, das machen die richtig gerne.“ Also liest sie auch aus den ein oder anderen Buch vor, bevor die Familie nach fast eineinhalb Stunden wieder nach Hause geht.
Wenn alles zu ist, liest man auch viel mehr.Ekaterina Sergeeva, ehemalige ehrenamtliche Mitarbeiterin
Nach einer langen Zeit der Abstinenz wieder neu entdeckt haben dagegen Ekaterina Sergeeva und ihr Mann Andrey Sergeev die Bibliothek. „Dabei habe ich früher sogar mal ehrenamtlich hier gearbeitet“, sagt sie. Wegen Corona sei es derzeit schwierig, an russische Bücher zu kommen. „Da habe ich mich an die russische Abteilung hier erinnert.“ Zwar ist Sergeeva nicht fündig geworden („Die ist leider nicht ganz so aktuell.“), dafür hat ihr Ehemann das Regal mit den Graphic Novels entdeckt. „Jetzt starten wir richtig. Wenn alles zu ist, liest man auch viel mehr.“
Das kann Bibliotheksleiterin Münch nur teilweise bestätigen. Während die Ausleihe in den Ferienmonaten Juli und August besonders hoch gewesen ist, hinkt die physische Ausleihe diesem Trend hinterher. „Viele Menschen sind durch Corona gut beschäftigt und haben keine Zeit, sich entspannt hinzusetzen und ein Buch zu lesen“, vermutet sie. Im Fall von Thorsten Graf scheint das jedenfalls zu stimmen. Er steht am Ausleih-Terminal und hält Fitzeks „Joshua-Profil“ hoch: „Das muss ich verlängern.“