Alexander Uhlig hat mitgezählt: Knapp 150 Treppenstufen sind es vom Marktplatz bis zur Schlossbergterrasse. Der Aufstieg in der Hitze hat sich gelohnt, der Ausblick auf die Bäderstadt ist prächtig. „Die Terrasse gehört zu den Premiumausblicken, die wir in Baden-Baden haben“, schwärmt der Baubürgermeister.
Bei genauerem Hinsehen sind in dem gegenüberliegenden historischen Villengebiet am Annaberg allerdings Dinge zu sehen, die dem Kommunalpolitiker nicht gefallen: Etwa ein Neubau, der mit historischen Stadtvillen aus dem 19. Jahrhundert nichts mehr gemeinsam hat. Solche Bausünden sollen künftig in den historischen Villengebieten der Stadt möglichst vermieden werden – mit einen Leitbild, dessen Vorgaben in einer Baufibel zusammengefasst wurden.
Handlungsbedarf nimmt zu
Seit Monaten ist das Thema eines der am meisten diskutierten in der Kommunalpolitik. Mit der Bewerbung Baden-Badens zusammen mit weiteren Kurstädten als Welterbestätten hat der Handlungsbedarf zugenommen. Die Great Spas of Europe, wie sich die Initiative der elf Kurstädte nennt, entwickelten sich um natürliche Wasserquellen herum, die sich zu mondänen Treffpunkten der Gesundheit, des Vergnügens und der Geselligkeit entwickelten. Sie waren Vorreiter des aufkommenden modernen Tourismus.
Elf Kurstädte haben sich als Great Spas of Europe um eine Berücksichtigung in der Unesco Welterbeliste beworben. Eine Entscheidung wird im Sommer 2020 erwartet. Im Januar 2019 wurde das insgesamt 1.500 Seiten starke Antragsdossier der elf Städte aus sieben Nationen eingereicht. Aus Deutschland gehört der Initiative neben Baden-Baden das bayerische Staatsbad Bad Kissingen an. Mit dabei sind ferner Baden bei Wien (Österreich), Spa (Belgien), das „böhmische Bäderdreieck“ mit Karlsbad, Franzensbad und Marienbad (Tschechien), Vichy (Frankreich), Montecatini (Italien) sowie Bath (Vereinigtes Königreich).
Veränderungen schleichen sich in Baden-Baden ein
Wer den begehrten Welterbetitel bekommen möchte, muss aber strenge Vorgaben der Unesco erfüllen. Die historischen Villengebiete (Beutig-Quettig, Annaberg, Schützenstraße und Protestantisches Viertel) sind Teil des für Baden-Baden charakteristischen und im 19. Jahrhundert entwickelten Stadtgrundrisses. Diese Areale sind neben der Altstadt und dem Kurviertel ein wesentlicher Bestandteil des Baden-Badener Anteils an der Bewerbung. Die Stadtverwaltung ist nun in der Pflicht, einer weiteren schleichenden Veränderung der historischen Villengebiet Einhalt zu gebieten.
Neubauten verändern Bild von Baden-Baden
Dass es die gibt, ist nicht zu leugnen: Verdichtungen durch neue Häuser in den großzügigen Villengärten, würfelförmige Neubauten mit Flachdach und großen Fensterflächen, Garagen oder ortsuntypische Einfriedigungen sind Beispiele dafür. Bestehende Bebauungspläne und Erhaltungssatzungen reichen nicht aus, um dieser Entwicklung entgegenzutreten, heißt es aus dem Rathaus.
Das „Leitbild der baulichen Gestaltung für die historischen Villengebiete“, kurz Baufibel genannt, soll nun den Rahmen für die künftige Entwicklung setzen. Noch bietet das Werk nur eine Orientierung, denn die Vorgaben müssen nach und nach in bestehende Bebauungspläne und Gestaltungssatzungen eingearbeitet werden, um rechtlich verbindlich zu werden. Das wird dauern.
Alles ist individuell zu betrachten
Was künftig genehmigt wird oder nicht, wird sich unter anderem daran messen lassen müssen, wie sich das Vorhaben in die Umgebung einpasst, erklären Bürgermeister Uhlig und Lisa Poetschki von der Stabsstelle Welterbe-Bewerbung bei der Präsentation der druckfrischen Fibel.
Das werde bisweilen von Bauherren und deren Planern verkannt. „Alles ist individuell zu betrachten“, meint Poetschki. Eine gute Perspektive zur Beurteilung eines Vorhabens biete die Hangansicht – wie etwa von der Schlossbergterrasse. „Das ist wie hochgeklappter Städtebau“, urteilt die Expertin für Stadtgestaltung.
Die Baufibel ist auch im Bürgerbüro Jesuitenplatz erhältlich. Zudem gibt es eine Broschüre und einen Flyer zur Welterbe-Bewerbung.