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Gegenpol zum hektischen Straßenverkehr

Von allen 44 deutschen Autobahnkirchen ist die Baden-Badener am beliebtesten

Lastwagenfahrer, Geschäftsreisende und Urlauber: Sie alle legen einen kurzen Halt in einer der 44 Autobahnkirchen bundesweit ein. Das niederschwellige Angebot nutzen auch Menschen, die normalerweise nichts mit Kirche am Hut haben.

Die Autobahnkirche Baden-Baden (Baden-Württemberg), aufgenommen am 13.04.2017. In Deutschland bieten 44 Autobahnkirchen die Möglichkeit für Besinnung und Andacht. Viele Reisende nutzen gerade auf dem Weg in die Osterferien diese Chance. Bei der Autobahnkirche in Baden-Baden ist jedoch das ganze Jahr über Hochsaison. Foto: Uli Deck/dpa ++
Pyramidenförmiger Bau: Rund 300.000 Besucher kommen jedes Jahr in die katholische Autobahnkirche St. Christophorus an der A 5 unweit der Abfahrt Baden-Baden. Foto: Foto: Deck/dpa

Mal sind sie traditionell, mal futuristisch gestaltet: In Deutschland gibt es 44 Autobahnkirchen. Blau-weiße Schilder weisen entlang der Autobahnen auf sie hin – und mehr als eine Million Menschen pro Jahr setzen den Blinker und folgen ihnen.

„Wer in einer Autobahnkirche Rast gemacht hat, der fährt danach gelassener, rücksichtsvoller und sicherer - der Besuch ist damit auch ein Beitrag zur Verkehrssicherheit“, so Georg Hofmeister, Geschäftsführer der Akademie des Versicherers im Raum der Kirchen (VRK).

Die Akademie setzt das soziale Engagement der Versicherungsgesellschaft um und engagiert sich bei der Freizeit- und der Tou-rismusseelsorge. Sie ist auch für die Autobahnkirchen zuständig. 44 Kirchen und Kapellen gibt es aktuell bundesweit, eine weitere Kapelle an der A8 am Rastplatz Sindelfinger Wald ist in Planung. 19 Gotteshäuser sind evangelisch, acht katholisch und 17 ökumenisch getragen.

Wer besucht sie? Eine Studie hat ergeben, dass die Mehrheit der Gäste gut gebildet, verheiratet, katholisch und älter als 40 Jahre ist. Außerdem zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Reisenden ungeplant anhält und zwischen fünf und zehn Minuten in einer Autobahnkirche verweilt.

Manche danken für gutes Unterwegssein, andere hatten einen Beinahe-Unfall und empfinden es plötzlich als nicht selbstverständlich, heil anzukommen. Manch einer ist auf dem Weg zu einem erkrankten Angehörigen oder hat selbst gesundheitliche Probleme.

Die Sonne scheint am 26.06.2015 in Grabfeld (Thüringen) in die Autobahnkirche an der Bundesbahn 71 am Rastplatz Thüringer Tor. Nach mehreren Jahren Bauzeit wird die Kirche eingeweiht. Am 28.06.205 findet der bundesweite Tag der Autobahnkirchen statt. Foto: Michael Reichel/dpa ++
Symbol der Einheit: Die ökumenische Autobahnkirche bei Grabfeld an der A 71 in Thüringen liegt nur wenige Kilometer von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt. Foto: Michael Reichel/dpa

Auch viele Geschäftsreisende besuchen regelmäßig eine der Kirchen, weil ihnen eine solche Auszeit guttut. „Die meisten Kirchenbesucher wollen allein sein und nicht angesprochen werden - sie beten, entzünden eine Kerze oder vertrauen etwas dem Anliegenbuch an“, so Birgit Krause vom VRK. Ganz wichtig sei dabei die Anonymität: „Viele wollen mit Gott und sich allein sein - in ihren Heimatgemeinden, wo man sich kennt, ist das unter Umständen nicht möglich.“

Anlaufpunkt für Lastwagenfahrer

Eine weitere Gruppe, die das niederschwellige kirchliche Angebot gerne nutzt, sind Lastwagen-Fahrer. Birgit Krause: „Sie stehen unter einer enormen Belastung und müssen Feiertage und Wochenenden oft auf Autohöfen fern von ihren Familien verbringen.“ Ihnen widmet sich das Projekt „Lenkpause für Körper und Seele“.

An mehreren Wochenenden im Jahr engagieren sich in der Autobahnkapelle Engen an der A81 zwischen Stuttgart und Singen Ehrenamtliche, um mit den Lkw-Fahrern bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch zu kommen. Die Initiative wurde 2019 mit dem „innovatio-Sozialpreis“ ausgezeichnet.

Autobahnkirchen müssen besondere Kriterien erfüllen: Sie haben eine direkte Anbindung an eine Autobahnabfahrt oder -raststätte, verfügen über Parkplätze und sanitäre Anlagen, sind mindestens von 8 bis 20 Uhr geöffnet und so groß, dass auch einer Bus-Reisegruppe der gemeinsame Besuch möglich ist.

Darüber hinaus sind die Kirchen und Kapellen, die mal von einem Dekanat, mal von lokalen Initiativen getragen werden, so vielfältig wie ihre Besucher: Die evangelisch-lutherische Autobahn- und Gemeindekirche Peter und Paul an der Autobahn A4 Dresden/Görlitz präsentiert sich klassizistisch. Die evangelische Autobahn- und Gemeindekirche Duben an der Autobahn A13 Berlin/Dresden schmückt Fachwerk.

Besonders idyllisch liegt die Galluskapelle nahe Leutkirch im Allgäu: Der Blick schweift über eine bayerische Bilderbuchidylle mit grünen Wiesen vor den Bergspitzen der österreichischen und Allgäuer Alpen. Dabei liegt das ökumenische Kirchlein nur wenige Gehminuten neben der viel befahrenen Autobahn A96 Memmingen/ Lindau auf dem Winterberg.

St. Christophorus bei Baden-Baden zählt die meisten Besucher

Mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet wurde die ökumenische Autobahnkirche Siegerland an der A45 Dortmund/Gießen. Sie gleicht mit ihren Zacken auf den ersten Blick dem abstrakten Kirchenpiktogramm auf einem Autobahnschild. Der Innenraum der 2013 fertig gestellten Kirche vermittelt hingegen mit einer Kuppel in Kreuzrippen-Struktur aus Holz Wärme und Geborgenheit.

Zum Themendienst-Bericht von Jan Ahrenberg vom 1. August 2014: Die Ikonische: Die Silhouette der Autobahnkirche Siegerland ist der grafischen Darstellung auf Autobahnschildern nachempfunden. (ACHTUNG - HANDOUT - Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit dem genannten Text und nur bei vollständiger Nennung der Quelle. Die Veröffentlichung ist für dpa-Themendienst-Bezieher honorarfrei.) Foto: Versicherer im Raum der Kirchen/Eckhard Reuter
Unverwechselbare Ikone: Die Silhouette der Autobahnkirche Siegerland ist der grafischen Darstellung auf Autobahnschildern nachempfunden. Der Innenraum dagegen vermittelt Wärme und Geborgenheit. Foto: Foto: Reuter/dpa-tmn

Das meistbesuchte Gotteshaus ist die katholische Autobahnkirche St. Christophorus an der A5 Karlsruhe/Offenburg, die unweit der Abfahrt Baden-Baden liegt. Rund 300.000 Menschen pro Jahr lassen in dem markanten pyramidenförmigen Bau für einige Zeit Hektik und Stress des Autobahnverkehrs hinter sich.

Betreut wird sie seit zehn Jahren von Sakristan Tobias Albert. Während sich die Hälfte der Besucher für eine Führung oder eine Andacht angemeldet hat, schauen sich Reisegruppen und Familien während einer Rast oft spontan auf dem Kirchengelände um.

Einmal klingelte ein Mann, den Schleuser ohne Geld und Papiere einfach auf dem Rasthof ausgesetzt hatten.
Tobias Albert, Sakristan

Da Albert mit seiner Familie neben der Kirche wohnt, stehen auch immer wieder Hilfesuchende vor seiner Tür. Mal geht es um Spritgeld bei einem leeren Tank, mal um Hilfe bei der Weiterreise. „Einmal klingelte ein Mann, den Schleuser ohne Geld und Papiere einfach auf dem Rasthof ausgesetzt hatten“, erinnert sich der 43-Jährige. Immer wieder kommt er auch mit Menschen ins Gespräch, die etwas dem Anliegenbuch anvertraut haben.

Kirche bei Baden-Baden erinnert an Pyramide

Einerseits ist St. Christophorus eine ganz normale Gemeindekirche, in der Taufen und Hochzeiten gefeiert werden und in NIcht-Coronazeiten sonntags um 11 Uhr ein gut besuchter Gottesdienst mit Gläubigen aus der gesamten Region stattfindet. Andererseits dürfte die Kirche auch deshalb so frequentiert sein, weil sie besonders gestaltet ist: Während die äußere Form an ein Heiligtum der alten Ägypter erinnert, zeigt sich im Grundriss der gesamten Anlage die Form eines Kreuzes.

Die Krypta ist eher dunkel gehalten, in die Oberkirche flutet Licht durch die Wände aus farbigem Glasbeton. Insgesamt vereint das Gebäude mehr als 2.000 biblische und zeitgenössische Symbole und Motive – sie sind Thema von geistlichen Führungen, die bei Tobias Albert gebucht werden können.

Finden in einigen Autobahnkirchen regelmäßig Gottesdienste, Fahrzeugsegnungen und Konzerte statt, so ist in anderen nur am „Tag der Autobahnkirchen“ – alljährlich an einem Sonntag Ende Juni, 2021 am 20. Juni - ein Programm festgelegt.

Die Idee, Autofahrern einen Gegenpol zum Leben auf der Überholspur zu bieten, geht laut VRK-Geschäftsführer Georg Hofmeister auf das Mittelalter zurück: „Wanderer, Pilger und Reisenden wurden schon damals Andachtsmöglichkeiten in Form von Kapellen und Kreuzen am Wegesrand angeboten. Sie dienten als Orte des Schutzgebets und der Besinnung. Und sie erinnerten die Menschen daran, sich auch auf Reisen immer wieder auf Gott zu besinnen.“

Entsprechend dieser Tradition gibt es mittlerweile auch mehr als 350 Radwegekirchen an beliebten Fahrradrouten wie dem Donau-Radweg, dem Ruhrtal-Radweg oder dem Radweg Berlin-Hameln. Sie sind mit einem grünen Signet gekennzeichnet, das seit 2009 von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verliehen wird.

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