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Sonderschichten fürs Schauspiel

Wie Corona das Theater Baden-Baden in der vergangenen Spielzeit zum Improvisieren zwang

Wie die vergangene Saison mit rund 400 Veranstaltungen für das Theater Baden-Baden gelaufen ist, berichtete Intendantin Nicola May kürzlich dem Hauptausschuss des Gemeinderats.

Theater aus Corona-Zeiten: „Stolz und Vorurteil (oder so)“ nach Jane Austen feierte in der vergangenen Spielzeit Premiere. Am 21. April 2023 wird das Stück wieder aufgenommen.
Theater aus Corona-Zeiten: „Stolz und Vorurteil (oder so)“ nach Jane Austen feierte in der vergangenen Spielzeit Premiere. Am 21. April 2023 wird das Stück wieder aufgenommen. Foto: Jochen Klenk

Es mutet an wie ein Ritual: Mit dem Sketch „Dinner for One“ lässt das Theater Baden-Baden stets zu Silvester das alte Jahr ausklingen. Die Spielzeit indes geht nach vier Tagen Verschnaufpause weiter. Bis in den Sommer hinein. Wie die vergangene Saison mit rund 400 Veranstaltungen gelaufen ist, darüber hat die Intendantin Nicola May kürzlich dem Hauptausschuss des Gemeinderats berichtet.

Anlässlich des 200. Geburtstags von Fjodor Dostojewski war die Spielzeit 2021/22 mit der Romaninszenierung „Verbrechen und Strafe“ vielversprechend gestartet. Für einen „starken Auftakt“ (May) sorgte zudem ein gut besuchtes Theaterfest. Rund 2.900 Schauspielfans erlebten das so ungleiche Liebespaar „Harold und Maude“ aus der schwarzen Tragikkomödie Hal Ashbys der frühen 1970er Jahre. Alles schien gut, doch dann drängte ein ganz anderes Stück mit Macht ins Theater zurück: Corona.

Als das Virus im vergangenen Winter wieder um sich griff, drohte das Theaterleben erneut aus den Fugen zu geraten. Schauspielerinnen und Darsteller erkrankten, Improvisationskünste waren gefragt. Die Besetzungen der Stücke wechselten so häufig wie die Auflagen für die Aufführungen. Als die maximale Besucherzahl behördlicherseits plötzlich halbiert wurde, legten „Die Bremer Stadtmusikanten“ Sonderschichten ein und traten zweimal am Tag auf, damit kein Kind auf das Weihnachtsmärchen 2021 verzichten musste.

Abonnement-Angebot lässt Kontakt zu Theater-Stammgästen nicht abreißen

Nahezu keine Woche verlief in der 160 Jahre alten Spielstätte am Goetheplatz wie geplant, doch das Drama einer weiteren Ausfallzeit wie 2020 blieb glücklicherweise aus. Die rasche Wiederaufnahme des Abonnement-Angebots, wenngleich mit sechs Aufführungen um ein Drittel reduziert, habe den Kontakt zu den Stammgästen nicht abreißen lassen, schilderte die Intendantin.

Die Auflösung der Volksbühne Baden-Baden brachte zudem weitere feste Besucher ins Haus: Nach 30 Jahren Abwärtstrend im Abo-Verkauf verzeichnete das Theater erstmals wieder einen Zugewinn in Höhe von acht Prozent.

Mit der Inszenierung von „Lieber Arthur“ der niederländischen Dramatikerin Judith Herzberg bot die vergangene Spielzeit eine Uraufführung, die auch bei den Baden-Württembergischen Theatertagen in Heilbronn reüssierte. Hinzu kam eine Reihe weiterer Premieren, darunter auch eine Musical-Revue.

Wermutstropfen: Klaus Manns „Mephisto“ gelangte pandemiebedingt nur zweimal zur Aufführung. Die Krise öffnete aber auch die Tür für Neues: In „Ja heißt ja und…“ setzten sich zwei junge Ensemblemitglieder mit Carolin Emckes gleichnamigen Buch vor dem Hintergrund von #metoo auseinander.

Das Junge Theater im TIK (Kulissenhaus) konnte mit der Uraufführung von „Im Wald“ (Christina Kettering) ebenfalls Experimentelles wagen und mit der „Konferenz der Tiere“ einen großen Publikumserfolg verbuchen. Zum Kinderclub U12 und Jugendclub U22 gesellte sich der „Club Inclusive“, in dem junge Menschen ab 16 Jahren mit und ohne Behinderung zusammen ein Theaterstück einstudieren.

Letztendlich konnten die Programmmacher in der vorigen Spielzeit rund 28.000 Zuschauer in den neobarocken Theatersaal locken, etwa die Hälfte eines „normalen“ Spieljahres. Die Auslastungsquote von 53 Prozent ist aufgrund der erschwerten Bedingungen und der wechselnden Platzkapazitäten allerdings nur bedingt aussagekräftig.

„Berühren“ lautete das Motto der vergangenen Spielzeit. Die aktuelle mit dem Slogan „Dazwischen ich“ wird zu etwa einem Drittel vorüber sein, wenn die betagte Miss Sophie und ihr vom vielen Zuprosten schwer angeschlagener Butler nach dem „Dinner for One“ wieder Arm in Arm die Treppe hinaufsteigen. „The same procedure as every year, James!“, wird die 90-jährige Hausherrin ihm freundlich Order geben. Und ihr treuer Diener wird wie immer lallen: „Well, I’ll do my very best!“

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