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Buch über Ex-Kanzler

Was bleibt von Helmut Kohl? Zwei prominente Baden-Badener Journalisten äußern sich

Er galt als „Aussitzer“ und als „Kanzler der Einheit“. Zahlreiche Weggefährten erinnern sich für ein Buch-Projekt an Helmut Kohl. Franz Alt und Peter Voß aus Baden-Baden sind unter den Autoren.

Der frühere SWF- bzw. SWR-Intendant Peter Voß sitzt in seiner Wohnung in Baden-Baden in einem Sessel.
Schon in seiner Zeit beim ZDF hatte der frühere SWF- und SWR-Intendant Peter Voß zahlreiche Begegnungen mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Foto: Bernd Kamleitner

Sein Abgang von der politischen Bühne war kein rühmlicher: Helmut Kohl war Dreh- und Angelpunkt der CDU-Spendenaffäre. Von weiten Teilen seiner Partei wurde der frühere Bundeskanzler in seinen letzten Jahren gemieden.

Für den Mannheimer Kommunikationsberater und Journalisten Aljoscha Kertesz ist Kohl neben Konrad Adenauer und Willy Brandt dennoch „der bedeutendste Bundeskanzler“.

Für sein Buch „Helmut Kohl – Was bleibt?“ (504 Seiten, Engelsdorfer Verlag, 18 Euro) hat er mehr als 100 Weggefährten des am 16. Juni 2017 verstorbenen CDU-Politikers befragt. Darunter sind zwei prominente Baden-Badener Journalisten: Franz Alt und Peter Voß.

Ich wollte herausfinden, in welchem Lichte Helmut Kohl heute betrachtet wird.
Aljoscha Kertesz
Journalist

„Ich wollte herausfinden, in welchem Lichte Helmut Kohl heute betrachtet wird“, sagt Kertesz. Die Idee dazu war ihm bei einem Interview mit Bernhard Vogel gekommen, einem der engsten Weggefährten des langjährigen Bundeskanzlers. Der Ort war Speyer – unweit des Friedhofs, auf dem Kohl seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Auch frühere Kohl-Gegenspieler kommen zu Wort

Zu Wort kommen in dem für die zweite Auflage überarbeiteten Band nicht nur CDU- und CSU-Vertreter und Personen mit dem Parteibuch des damaligen Koalitionspartners FDP, sondern auch einstige Gegenspieler aus den Reihen der SPD, der Grünen und von der Partei Die Linke.

Beiträge von Personen aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirche, Medien und mehr sollen das Bild abrunden. „Die diversen Hintergründe der Autorinnen und Autoren lassen so nahezu eine 360-Grad-Betrachtung entstehen“, schreibt der Buchautor in seinem Vorwort.

Den längsten Text für das Buch schrieb der frühere SWF- und SWR-Intendant Peter Voß. „Ich hoffe, es ist nicht der langweiligste Text“, sagt der frühere Sender-Chef, der seit 1995 in Baden-Baden lebt, mit einem Lächeln.

Ich habe nie den ganz engen Draht zu Helmut Kohl gehabt.
Peter Voß
Ehemaliger SWF-/SWR-Intendant

Als Journalist in herausgehobener Situation war Voß zunächst beim ZDF und dann ab 1993 beim SWF bzw. SWR nach eigenen Angaben gegenüber Kohl eher auf Abstand bedacht. „Ich habe nie den ganz engen Draht zu ihm gehabt“, betont Voß. Dennoch hatte er in seinem Job persönliche Begegnungen mit dem damaligen Kanzler.

Den Prozess der deutschen Wiedervereinigung nach dem Mauerfall nennt er eine „bewegte und bewegende Zeit, vielleicht in meinem nie langweiligen Journalistenleben die interessanteste“. Der CDU-Mann habe es verstanden, Menschen für sich zu instrumentalisieren. Er habe zudem ein gutes Gespür dafür gehabt, wie Leute am besten mitgenommen werden können.

Dazu habe der profunde Geschichtskenner eine unglaubliche Vitalität besessen. Obwohl oft als „Aussitzer“ bezeichnet wurde, habe der Politiker entschlossen gehandelt, wenn es darauf ankam. „Kohl war am besten, wenn er frei sprach und was zu sagen hatte“, erinnert sich Voß an den Staatsmann.

Es gab Kohlianer und Nicht-Kohlianer

Der hatte Personen in seinem Umfeld in Gefolgsleute und Gefolgschaftsverweigerer unterteilt – in „Kohlianer“ und „Nicht-Kohlianer“, wie es im Umfeld Kohls hieß. Trotz seiner Stärken und Schwächen in der deutschen und europäischen Geschichte ist Kohl für Voss „ein herausragender Gestalter“, der stets als Europäer gehandelt habe.

Ein Gedicht, das Voß auf Kohl verfasst hat, ist in dem Band ebenfalls nachzulesen. „Hatte Glück und hatte Pech, Zwerge sind im Zweifel frech, haben ihn mit Lust verkohlt, und er hätt sie gern versohlt“, heißt es in „Der Riese“ unter anderem.

Buchcover des Titels „Helmut Kohl - Was bleibt?“.
Buchcover des Titels „Helmut Kohl - Was bleibt?“. Foto: Bernd Kamleitner

Deutlich kürzer fällt das Statement von Franz Alt im Kohl-Buch aus. Der Buchautor und Journalist, vor allem bekannt als langjähriger Moderator des Politmagazins „Report“, hatte aber zahlreiche Begegnungen mit dem Politiker Kohl.

Er begleitete den CDU-Mann als politischer Journalist und als CDU-Mitglied schon zu Kohls Zeiten als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, später als Oppositionsführer in Bonn und schließlich in seiner Kanzler-Zeit.

Franz Alt hatte so manchen Krach mit Helmut Kohl

Dabei habe er so manchen Krach mit Kohl gehabt, schreibt Alt. Die Meinungsverschiedenheiten bestanden in Fragen der atomaren Nachrüstung, der Atompolitik und der Rüstungsexporte. „Auch beim Thema ‘Berufsverbote’ waren wir meist entgegengesetzter Meinung.“

Franz Alt
Der Buchautor und Journalist Franz Alt. Foto: Bernd Kamleitner

Diskussionsbedarf bestand zwischen dem Journalisten und dem Politiker noch bei einem anderen Thema. „Über das ‘C’ im Namen der CDU haben wir oft – auch unter vier Augen – gestritten.“

Eine Begegnung mit Kohl im Jahr 1983 in Moskau führte zur größten Kontroverse zwischen den beiden. Alt war als einziger Journalist von Kohl eingeladen worden, mit dem Kanzler zusammen einen katholischen Gottesdienst in der russischen Metropole zu besuchen. Am Ende habe Kohl in der Sakristei zu dem Priester gesagt: „Beten Sie für mich!“

Widerspruch war dem Kanzler nicht bewusst

Auf dem Rückflug sprach Alt den damaligen Kanzler darauf an. Ob es ihm bewusst sei, dass er einen Priester gebeten hatte, für ihn zu beten, obwohl er mit seiner atomaren Rüstung auf genau diesen Priester Atomraketen richten wolle. Dieser Zusammenhang sei Kohl nicht bewusst gewesen, schreibt Alt. Er habe ihn verdrängt.

Helmut Kohl war ein Mensch wie du und ich.
Franz Alt
Journalist und Buchautor

Für Alt war Kohl „ein Mensch wie Du und ich: ein Mensch mit Stärken und Schwächen.“ Als Staatsmann habe er „Großes für Deutschland und noch mehr für Europa geleistet“. Seine größte Lebensleistung sei es gewesen, dass er ein überzeugter und engagierter Europäer war.

Alt hatte im Laufe seiner journalistischen Tätigkeit alle politischen Ämter aufgegeben und war zu seinem 50. Geburtstag aus der CDU ausgetreten. Danach konnte er ruhiger arbeiten, weil die Kritik aus CDU-Kreisen mehr und mehr verstummte.

Versöhnung mit einem Brief

Trotz heftiger verbaler Kämpfe, die Alt und Kohl ausfochten, war das Ende versöhnlich. Der Alt-Kanzler gratulierte dem Journalisten in Baden-Baden anlässlich eines runden Geburtstags per Brief. „Das rechne ich ihm hoch an“, sagt Alt. Nach seiner Amtszeit sei Kohl toleranter geworden.

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