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Der Tod wird verdrängt

Kleinere Versammlungen in Bühl: Wie die Pandemie den Umgang mit Sterben verändert

Sterben und Abschiednehmen hat sich während der Corona-Pandemie verändert. Darüber sind sich Geistliche in Bühl einig. Der Tod werde durch Versammlungen im immer kleineren Kreis zunehmend verdrängt, sagen sie.

Friedhof Bühl
Beerdigung in Bühl: Die meisten Feiern finden seit der Pandemie im kleinen Kreis statt. Manchmal wird der Tod erst nach der Feier offiziell bekanntgegeben. Foto: Ulrich Coenen

Götz Häuser, Pfarrer der evangelischen Johannesgemeinde hat erlebt, dass sich Sterben und Abschiednehmen während der Pandemie verändert hat: „Der Tod rückt näher. Und zugleich weiter weg.“

Am Interview nimmt auch Heribert Scherer teil: Der Pastoralreferent in der Seelsorgeeinheit Bühl/Vimbuch gestaltet, ebenso wie Häuser, viele Verabschiedungsfeiern und Beisetzungen.

Beide begleiten Sterbende und Angehörige auch schon vor dem Tod intensiv. Für sie war das Thema also nie „weit weg“. Sie beobachten indes tiefgreifende Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod.

Beerdigungen verändern sich: Versammlungen werden kleiner

„Die Versammlungen bei Beerdigungen werden kleiner“, sagt Scherer. „Diese Tendenz deutete sich schon vor Corona an, hat sich durch die Pandemie aber enorm beschleunigt, da die Teilnahme vieler Menschen zeitweise gar nicht erlaubt, oft aber auch nicht mehr erwünscht war.“

Häuser: „Früher war das ritualisierte Miteinander nach einer Beerdigung selbstverständlicher Teil des Ganzen. Dieses Zusammenkommen ist wichtig, bedeutet es doch für die Trauernden, wieder ins Leben aufzubrechen.“ Es sei zwar bedingt wieder möglich. „Im üblichen Rahmen ist es aber weiterhin undenkbar. Lange Anreisen wiederum nehmen Verwandte und Freunde eher nicht in Kauf, wenn kein Raum für Begegnung bleibt.“

Für die Verbliebenen steckt viel Kraft in der Versammlung, sie zeigt Verbundenheit.
Heribert Scherer, Pastoralreferent

Derzeit, ergänzt Scherer, werde der Tod eines Menschen zumeist sogar erst nach der Beerdigung bekannt gegeben, um in aller Stille Abschied zu nehmen. Auch er findet diese Entwicklung hin zur „privaten“ Ebene bedauerlich. „Für die Verbliebenen steckt viel Kraft in der Versammlung; sie zeigt Verbundenheit.“ Die „verhinderte“ Trauer in der Gemeinschaft wird aus seiner Sicht langfristige Folgen für die Menschen haben.

Körperliche Nähe ist für Angehörige wichtig – doch während Corona dominiert Abstand

Und der Tod, so Häuser, werde auf diese Weise zunehmend verdrängt. „Bei Beerdigungen ist jeder mit seiner Vergänglichkeit konfrontiert, man gedenkt immer auch eigener Verluste. Indem das entfällt, sehen wir den Tod zwar täglich in den Nachrichten und hören von Corona-Sterberaten, haben aber kaum noch direkt Berührung.“

Und: Körperliche Nähe, gerade in solch dunklen Lebensphasen überaus wichtig, sei seit Ausbruch der Pandemie mit Risiken behaftet. „Für die Trauernden erschwert das den Abschied zusätzlich.“ Die formalen Abläufe rund um die Bestattung seien hingegen längst Routine, sagt Scherer. „Mindestabstände, FFP-Masken in Innenräumen, Desinfektion: All das ist Normalität.“

Das Singen entfalle oder sei nur noch mit Maske möglich. „Das ist wirklich schade. Der gemeinsame Gesang als Protest gegen den Tod und das Verstummen wird oft durch Instrumente oder Musik vom Band ersetzt. Wir erklären im Trauergespräch, welche Optionen es gibt.“

Manche Angehörigen können nicht richtig Abschied nehmen

Generell, so Häuser, sei der Gesprächsbedarf der Angehörigen erhöht – nicht allein zur Klärung der geltenden Auflagen. „Wenn zum Beispiel das Sterben abgeschottet im Krankenhaus erfolgt ist und sie nicht richtig Abschied nehmen konnten, ist der Verlust für sie noch schwerer zu ertragen.“

Beide berichten von „grausamen“ Fällen; von Personen etwa, die nicht zur Beisetzung der Eltern kommen konnten, weil sie im Ausland leben und pandemiebedingt keine Ausreisegenehmigung erhielten. Scherer sagt: „Inzwischen kann eine Beerdigung selbstverständlich digital übertragen werden. Das ist dann wenigstens ein Trost.“

Wir versuchen, viel Menschlichkeit in diese Situation zu bringen.
Heribert Scherer, Pastoralreferent

Vom Heim- und Klinikpersonal über die Bestatter bis hin zu den Geistlichen sei man bemüht, den Betroffenen mit Einfühlungsvermögen und Zeit zur Seite zu stehen, resümiert er. „Wir versuchen, so viel Menschlichkeit wie möglich in diese Situation zu bringen. Und ich hoffe, wir finden gemeinsam gute Wege, um den Angehörigen den Umgang mit dem Schmerz zu erleichtern.“

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