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Experte für soziale Medien

Warum das Internet Lehrer überprüfbar macht und für Verunsicherung sorgt

Das Internet verändert den Unterricht. Was der Lehrer vorne an der Tafel erzählt, können Schüler schnell im Internet überprüfen. Das verunsichert Kollegen, berichtet Bob Blume, Oberstudienrat am Windeck-Gymnasium in Bühl, Fachbuchautor und Blogger.

Smartphone
Immer online: Das Smartphone spielt im Leben von jungen Menschen eine wichtige Rolle. Der Gymnasiallehrer Bob Blume erklärt, warum YouTube und Wikipedia auch für das Lernen große Bedeutung haben. Foto: Ulrich Coenen

Youtube und Wikipedia bestimmen längst das Leben und Lernen von Schülern. Bob Blume, Oberstudienrat am Windeck-Gymnasium in Bühl, Fachbuchautor und Blogger, erklärt im Gespräch mit unserem Redaktionsmitglied Ulrich Coenen wie Kinder und Jugendliche im Unterricht und in der Freizeit damit sinnvoll und kritisch umgehen.

Bob Blume
Lehrer und Experte für soziale Medien: Bob Blume ist Oberstudienrat am Windeck-Gymnasium in Bühl. Foto: Ulrich Coenen

Es ist eine wichtige Frage für alle Eltern: Ab welchem Alter darf ein Kind ein internetfähiges Smartphone besitzen?
Blume

Eigene internetfähige Geräte sollte es nach Meinung einiger Experten frühestens in der fünften Klasse geben. Ich habe aber immer Schwierigkeiten, allgemeine Empfehlungen zu geben. Ich glaube, dass viele Faktoren eine Rolle spielen, beispielsweise die Absprachen zwischen Eltern und Kindern oder deren Fähigkeit der Einschätzung von Gefahren. Wichtig sind kontrollierbare Nutzungszeiten. Das Smartphone gehört nicht neben das Bett, damit die Kinder nicht dauerhaft abgelenkt werden und nicht schlafen können. Vereinbarte Regeln sollten von den Eltern konsequent und ohne Kompromisse durchgesetzt werden.

Ist das Internet für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eher negativ oder positiv?
Blume

Die Antwort lautet in beiden Fällen: Ja. Der Pädagoge Jöran Muuß-Merholz nennt das Internet einen großen Verstärker. Das hat sich auch während des digitalen Fernlernens in der Pandemie gezeigt. Diejenigen, die gut selbstständig lernen, können das mit dem Internet fantastisch. Diejenigen, die sehr schnell ablenkbar sind, können sich mit dem Internet wahnsinnig schnell ablenken lassen. Jugendliche, die gerne in die Natur gehen, können damit wunderbar Pflanzen bestimmen. Wer schnell auf der Couch versinkt, kann das mit dem Internet auch wunderbar. Das Internet verstärkt das, was Jugendliche ohnehin am liebsten tun. Das ist die Schwierigkeit. Menschen sind nun einmal unterschiedlich.

Lässt sich das Internet trotzdem in den Unterricht und in die Hausarbeiten integrieren?
Blume

Absolut! Dafür muss es allerdings eine Haltungsänderung geben. Vor nicht allzu langer Zeit war der Lehrer noch das einzige Medium im Raum und damit Träger der wichtigsten Informationen. Und natürlich die Schulbücher. Die können Schüler nun mithilfe des Internets ohne großen Aufwand schnell überprüfen. Ich verstehe, dass Kollegen das zunächst als grenzüberschreitend sehen können und Angst davor haben. Das Interessante daran ist aber, herauszufinden, was es bedeutet, dass das Internet jetzt da ist.

Wie meinen Sie das?
Blume

Ich gebe ein Beispiel. Wenn der Unterricht darauf aufgebaut ist, dass der Lehrer alleine spricht und die Fakten nennt, brauchen wir kein Internet. Doch so einfach ist die Sache nicht. Wenn wir die Frage „War Napoleon ein guter Europäer?“ googeln wollen, stellen wir nämlich fest, dass das gar nicht so einfach ist. Es reicht nicht, die Suchmaschine zu starten. Man muss wissen, welche Informationen man benötigt und wie man diese bewertet. Das ist ein unglaublicher Kompetenzgewinn. Aber stellt auch neue Anforderungen an Schule.

Wie gestaltet sich dieser Lernvorgang im Detail?
Blume

Wir schauen uns Youtube-Videos eben nicht nur an, weil in diesem Filmen jemand anderes etwas erklärt. Nach der Unterrichtseinheit beurteilen wir das Video. Wir stellen uns die Frage, ob wir die Inhalte richtig finden oder ob Informationen fehlen. Wir überlegen, wie wir das Video strukturiert hätten. Das ist auch eine Kompetenzerfahrung, indem Schüler merken: Ich bin in der Lage, das Gesehene einzuordnen.

Informationen aus dem Internet sind nicht immer richtig. Schüler und auch Lehrer saugen ihr Wissen beispielsweise sehr oft aus der Wikipedia, die nicht beim jedem Lemma zuverlässige Informationen liefert.
Blume

Ich halte Wikipedia mittlerweile schon in vielen Fällen für eine zuverlässige Quelle, wenn man weiß, worauf man achten muss. Das müssen wir bei anderen Dingen auch. Machen wir uns nichts vor. Das Gatekeeping einer professionellen Redaktion, die im Enzyklopädie-Bereich Standard war, fehlt natürlich. Aber Wissen entsteht heute anders. Wir dürfen deshalb nicht nur Wissen aus der Wikipedia beziehen. Wir müssen diese Diskurs-Geschichten im Unterricht diskutieren. Das ist sehr spannend. Wir müssen uns fragen: Wer will denn, dass was und wie in der Wikipedia veröffentlicht wird?

Wie beziehen Sie die Wikipedia in den Unterricht ein?
Blume

Das Problem der Wikipedia für Schülerinnen und Schüler ist meist nicht die mangelnde Zuverlässigkeit, sondern dass die Artikel oft sehr komplex und schwer zu verstehen sind. Ich will, dass Schüler mit der Wikipedia produktiv, aber kritisch denkend umgehen. Ich will kein Powerpoint-Karaoke. Ein Schüler soll nicht so tun, als ob er etwas begriffen hat und tatsächlich hat er seine Informationen nur aus der Wikipedia gezogen. Ich bin für Offenheit bei Schülerinnen und Schülern. Sie sollen nicht nur so tun, als ob sie etwas verstanden haben, und tatsächlich stammt der nicht begriffene Stoff nur aus der Wikipedia. Bei Ausdrucken aus der Wikipedia frage ich Schüler deshalb sehr gerne nach den blau unterstrichenen Wörtern, also den Links.

Was bedeutet das für die Schüler?
Blume

Ich habe Schülern schon mal den Auftrag für ein Referat gegeben mit der Vorgabe, ausschließlich die Wikipedia zu benutzen. Das hat natürlich für Erstaunen gesorgt. Mir geht es darum, dass die Schüler ein Gefühl für dieses Online-Lexikon bekommen. Sie sollen nicht irgendetwas unkritisch übernehmen. Die Zuverlässigkeit von Wikipedia- Artikeln, an denen so viele Leute freiwillig und ohne Bezahlung mitarbeiten, ist nicht so niedrig, wie man meint.

Wie sieht die Zukunft aus?
Blume

Jedenfalls hätte Nordrhein-Westfalen die 2,6 Millionen Euro, die dort in den digitalen Brockhaus investiert wurden, besser in andere Maßnahmen investiert. Beispielsweise in Expertise, mit Online-Quellen umzugehen. Ich wünsche mir, dass Lehrer ihre Schüler in die Wikipedia einleiten können, damit diese damit kritisch umgehen können. Ich möchte, dass Schüler mit der Wikipedia reflektiert arbeiten. Wir müssen die Mechanismen hinter dem Online-Lexikon verstehen. Das ist übrigens kein Plädoyer gegen Bücher oder gedruckte Enzyklopädien. Ich empfehle Schülern immer, die Inhalte zu vergleichen.



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