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50 Jahre Radikalenerlass

Mehrere Berufsverbote: Bühler Lehrer stand in den 1970er-Jahren im Fokus des Verfassungsschutzes

Klaus Lipps war Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), als er 1971 seine erste Dienststelle am Bühler Windeck-Gymnasium antrat. Eine ARD-Dokumentation schildert, wie er in den Fokus des Verfassungsschutzes geriet.

Auch Zeitungsartikel und Flugblätter von damals haben Klaus und Christina Lipps aufgehoben.
Auch Zeitungsartikel und Flugblätter von damals haben Klaus und Christina Lipps aufgehoben. Foto: Nina Ernst

Die Slogans könnten nicht unterschiedlicher sein und gelten doch ein und demselben Mann: „Lipps raus!“ und „Klaus Lipps muß Lehrer bleiben!“

Der Baden-Badener Klaus Lipps hat in seinem Berufsleben viele Kämpfe gefochten. Nun ist er Teil einer ARD-Dokumentation. Am 17. Januar soll der 45-minütige Beitrag auf dem „Geschichtsplatz“ im Ersten zu sehen sein.

Das Thema: 50 Jahre Radikalenerlass. Oder Extremistenbeschluss. Oder Ministerpräsidentenerlass. Egal, welchen Begriff Filmemacher Hermann Abmayr auch wählt, er ist sperrig. Und dieser Erlass vom 28. Januar 1972 sollte genau das, erläutert Abmayr: bestimmte Menschen aus ihrem Beruf aussperren.

Klaus Lipps ist nicht alleine mit seinem Schicksal

Beschäftigte im öffentlichen Dienst sollten auf ihre Verfassungstreue überprüft werden. Nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Personen ohne Parteizugehörigkeit standen fortan im Fokus der Bundesregierung.

Behörden bekamen vom Innenministerium – beziehungsweise vom Landesamt für Verfassungsschutz – Auskunft darüber, ob gegen bestimmte Personen etwas vorliegt. Es traf unter anderem Postboten, Lokführer, wissenschaftliche Hilfskräfte. Und eben Lehrer. Lehrer wie Klaus Lipps.

Hermann Abmayr bringt ihn und andere Betroffene aus ganz Deutschland vor die Kamera. Der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Journalist beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit zeitgeschichtlichen Themen, erzählt er.

2006 drehte er „Als der Staat rot sah – Justizopfer im Kalten Krieg“. Und „Als der Staat rot sah“ ist auch der Arbeitstitel für die jetzt neueste Dokumentation, für die Hermann Abmayr selbst der Ideengeber ist.

Rot wird verbunden mit dem Kommunismus. Klaus Lipps war Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), als er 1971 seine erste Dienststelle am Bühler Windeck-Gymnasium antrat.

Also stellte sich laut Abmayr die Frage: „Ist er als Extremist, als Radikaler, als Kommunist akzeptabel für den Schuldienst?“ Für das zuständige Oberschulamt Karlsruhe lautete die Antwort damals „Nein“.

Lipps übersteht mehrere Berufsverbote

1974 folgte die erste Anhörung, 1975 der erste Prozess, 1977 der erste Sieg für Lipps vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Damit war das „erste Berufsverbot vom Tisch“, blickt Klaus Lipps’ Ehefrau Christina zurück.

Sie war auch Lehrerin, „immer dabei“, aber aus taktischen Gründen kein Mitglied der DKP. 1979 folgte die zweite Entlassung, erneut war die Klage von Klaus Lipps dagegen erfolgreich, und erneut legte das Oberschulamt Berufung dagegen ein.

Wir sind keine Verfassungsfeinde, ganz im Gegenteil.
Klaus Lipps, Lehrer

Aber 1986 war dann auch das zweite Berufsverbot vom Tisch. Zur vom damaligen Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) angekündigten dritten Entlassung sollte es dann nicht mehr kommen, mit der Ernennung von Klaus Lipps im Herbst 1986 zum Studienrat und Beamten auf Lebenszeit könnte das Kapitel beendet sein. Könnte. Ist es aber nicht – bis heute.

Der Kampf ging weiter

Denn hinter der stupiden Aufzählung, wann was stattgefunden hat, und der Tatsache, dass Klaus Lipps außer beim ersten Vorgang immer arbeiten durfte, stecken unzählige Anhörungen, Gegenwehr mit juristischen und politischen Mitteln, Unwohlsein im Lehrerzimmer, Kämpfe unter vermeintlichen Kollegen, böse Schmierereien am Schulgebäude in Bühl, Flugblätter und Zeitungsanzeigen gegen Klaus Lipps.

Alles „sehr belastend“ für den passionierten Lehrer, wie Abmayr nach dem Dreh mit der Familie Lipps zusammenfasst.

Aber: „Wir haben immer maximalen Krach geschlagen“, verdeutlicht Christina Lipps den Kampfgeist des Ehepaars. Dass Klaus Lipps 1988 aus der DKP ausgetreten ist, sollte seine ganz eigene Entscheidung sein, die Entscheidung eines „badischen Dickschädels“, wie Abmayr sagt, und nicht die, die ihm vom Staat aufgedrückt wird.

Lipps erfährt Unterstützung von FDP Politiker

Neben viel Gegenwind erfuhr die Familie Lipps aus verschiedenen Richtungen auch Unterstützung – Eltern, Lehrer, Schüler, Politiker erhoben die Stimme. Vor allem Hinrich Enderlein (FDP).

Er war von 1990 bis 1994 Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und hat „sich schon gegen Berufsverbote eingesetzt, als ich noch gedacht habe, dass mir das nicht passieren kann“, sagt Klaus Lipps. Das Treffen mit dem mittlerweile 80-jährigen Liberalen war das „Highlight am Drehtag“.

Dieser hat begonnen am Windeck-Gymnasium in Bühl, setzte sich fort mit Gesprächen bei Familie Lipps zu Hause in der Cité, mit dem Treffen mit Enderlein am Bahnhof in Oos und mit Szenen am Richard-Wagner-Gymnasium (RWG) in Baden-Baden. Dort unterrichtete Klaus Lipps von 1976 bis zur Pensionierung 2006 Mathe, Französisch und Sport.

Und unterrichten will Klaus Lipps auch die Bundesregierung – als Sprecher des Bundesarbeitsausschusses der Initiativen gegen die Berufsverbote. Vor zehn Jahren, zum 40-Jährigen, haben Klaus und Christina Lipps mit weiteren Betroffenen begonnen, die Berufsverbote aktiv wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Betroffene wollen eine Entschuldigung der Bundesregierung

Man wollte das Jahr 2012 zum Gedenkjahr mit verschiedenen Aktionen machen, und „das Jahr läuft immer noch“, schmunzelt Klaus Lipps. Denn die Forderungen an die Regierung sind noch immer aktuell. Man will laut Klaus Lipps, „dass man sich bei uns und unseren Familien entschuldigt und uns rehabilitiert. Wir sind keine Verfassungsfeinde, ganz im Gegenteil.“

Warum es niemals eine offizielle Entschuldigung gegeben hat? „Wir können es auch nicht verstehen“, sagt Klaus Lipps schulterzuckend. Und Christina Lipps fügt an, dass ein „finanzieller Ausgleich stattfinden“ soll.

Wir haben immer maximalen Krach geschlagen.
Christina Lipps, Ehefrau von Klaus Lipps

Viele, gegen die damals Berufsverbote verhängt worden waren, könnten von ihrer Rente nicht leben. Denn, „die allermeisten Fälle sind damals negativ ausgegangen“. Der Fall ihres Ehemannes sei einer der wenigen, die positiv beschieden wurden.

Und so sei es für viele „einfach nur schmerzhaft“ an die teilweise vernichtenden Vorgänge in den 70er Jahren zu denken. Für Klaus Lipps, der im Dezember seinen 80. Geburtstag feiern darf, sei auch deshalb sofort klar gewesen, beim Film mitzuspielen und auf diese Art und Weise weiter seine Stimme zu erheben.

Und nach der Ausstrahlung am 17. Januar sollen mit einem Tagesprogramm dann am Jahrestag, am 28. Januar, in Berlin weitere Stimmen laut werden mit Forderungen der Berufsverbote-Initiative.

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