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26 jüdische Bühler wurden deportiert

Die Deportation raubte Bühl einen großen Reichtum

Ein Rundgang spürt der einst blühenden jüdischen Gemeinde nach.

Historisches Bild
Stammsitz eines Erfolgsunternehmens: In der Hauptstraße begann die Geschichte von Wolf Netter & Jacobi. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Es beginnt mit dem Ende. Am Rande des Zentralen Omnibusbahnhofs steht ein Gedenkstein, der seit 2005 an die 26 Menschen erinnert, die am 22. Oktober 1940 aus ihrer Heimatstadt Bühl verschleppt wurden. Ihre „Reise“ führte nach Gurs, in ein Lager in den französischen Pyrenäen, das für viele von ihnen eine Zwischenstation auf dem Weg in den gewaltsamen Tod in einem deutschen Konzentrationslager war. Dieser Tag, der sich an diesem Donnerstag zum 80. Mal jährt, bedeutete das Ende der Bühler jüdischen Gemeinde.

Der Rundgang „Auf jüdischen Spuren“, der seit 2008 ausgeschildert ist, zeigt deutlich, dass damit ein großer kultureller und wirtschaftlicher Reichtum für immer verloren gegangen ist. Dass die Deportation am Anfang des Rundwegs thematisiert wird, ist deshalb ein kluger Einfall gewesen: Wer den Rundgang abgeht und den Flyer zur Hand hat, der die jüdische Bühler Geschichte skizziert und die notwendigsten Informationen zu den einzelnen Stationen liefert, dem wird immer wieder bewusst, dass er gewissermaßen auf archäologischen Spuren wandelt, er hält Ausschau nach den Zeugen einer versunkenen Zeit.

Ehrenbürger der Heimatstadt

Etliche Mitglieder der Bühler jüdischen Gemeinde waren sehr erfolgreiche Unternehmer, und es war eine jüdische Familie, die mit zahlreichen Spenden das Bild der Stadt veränderte und es bis heute prägt. Die Baumwollspinnerei und -färberei Massenbach, in die später die Realschule einzog, beschäftigte zeitweise mehr als 300 Arbeiter; das 1818 gegründete Unternehmen existierte bis 1890. Im benachbarten Stadtgarten finden sich Hinweise auf die Familie Netter. Ihr Stammhaus stand in der Hauptstraße.

Jüdischer Friedhof Bühl
Jüdischer Friedhof Bühl Foto: Wilfried Lienhard

Aus einem Schrotthandel wurde zunächst ein Eisengroßhandel und dann eine Feinblechproduktion. Das Unternehmen Wolf Netter & Jacobi expandierte, 1912 war es mit 60.000 Tonnen Waren und fast 3.000 Beschäftigten eines der größten seiner Art in Europa. 1938 musste das Unternehmen an Mannesmann verkauft werden. An ihrem Erfolg hatte die Familie die Stadt stets teilhaben lassen. Der Stadtgarten samt dem Großherzog-Friedrich-Denkmal ist ihr zu verdanken, sie engagierte sich finanziell für die Realschule und die Gewerbeschule, und auch den Aussichtsturm am Affentaler Weg gäbe es ohne die Familie Netter nicht. Zum Dank stellte die Stadt 1906 im Stadtgarten einen Granitfindling auf, im gleichen Jahr, in dem der in Berlin lebende Carl Leopold Netter zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt ernannt wurde.

Vorbei am 1876 erbauten Haus der Familie Maier Alexander Wertheimer, die in der Eisenbahnstraße ein Wein- und Bankiergeschäft betrieb, geht es zum Kaufhaus Dreyfuß an der Ecke Hauptstraße/Bühlertalstraße. Isak und Samuel Dreyfuß waren 1894 nach Bühl gekommen. In den 1930er Jahren führte Isaks Witwe Flora das Geschäft, 1939 flüchtete sie nach Chile. Das Schuhhaus Lion war 1920 in der Schwanenstraße gegründet worden und entwickelte sich trotz großer Konkurrenz sehr gut, bis die antijüdischen Gesetze immer größere Schwierigkeiten bereiteten. In der Reichspogromnacht wurde der Laden zerstört. Der Familie gelang im März 1939 die Flucht, die über Kuba in die USA führte.

Auf dem heutigen Johannesplatz: Hier standen neben der Sonne auch die Lehrerschule und die Mikwe.
Auf dem Johannesplatz: Hier standen neben der Synagoge auch Lehrerwohnung und die Mikwe. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Lion ist auch ein Beispiel dafür, wie Konkurrenten versuchten, jüdische Unternehmen aus dem Markt zu drängen. So schrieben die „christlichen Schuhhändler der Stadt Bühl“ schon am 23. März 1933, also noch vor dem reichsweiten Boykott vom 1. April, in einem Brief an die Stadtverwaltung, „ob es sich mit der doch gewiß auch nationalen Gesinnung – oder sollte das nicht der Fall sein? – der Herren Gemeinderäte vereinbaren läßt, dass die Lieferung der Arbeitsschuhe für die Wohlfahrt dem Juden Lion zugeschoben wurde. Da der Ruf ‘Kauft nicht bei Juden’ durch das Volk geht, können die Unterzeichneten es nicht zulassen, dass gerade dieser Jude (der nicht einmal Umlage bezahlt) bevorzugt wird.“

Von der Synagogenstraße zum Johannesplatz

Direkt neben Lion war seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Schreibwarenhandlung Berthold Schweizer angesiedelt. Zuvor hatte dort Elias Darnbacher die Spirituosenfabrik Darnbacher-Ries betrieben. 1892 war Darnbacher der erste Bürger jüdischen Glaubens im Bühler Gemeinderat. Aus der Familie Schweizer überlebte nur Herbert Odenheimer, der sich später Ehud Loeb nannte und nach dem in Bühl eine Straße benannt ist, den Holocaust.

Der Johannesplatz und das angrenzende Hänferdorf waren das Zentrum des jüdischen Lebens in Bühl. Auf dem Johannesplatz, der bis Ende der 1920er Jahre Synagogenstraße hieß, waren die wichtigsten Einrichtungen der Gemeinde konzentriert. Dazu zählten die Synagoge, und die „Judenschul“, ein Betsaal, in dem sich die Juden versammelten und den nach dem Bau der Synagoge der Metzger Judas Meier nutzte.

Neben Mikwe, Schule und Lehrerwohnung befanden sich am Johannesplatz auch einige Geschäfte wie die Bäckerei Heimann und die Eisenhandlung Weil. Alfred Weil war Soldat im Ersten Weltkrieg, in Bühl war er mehr als 25 Jahre lang für die Feuerwehr aktiv, aus der 1935 wie alle jüdischen Mitglieder ausgeschlossen wurde. Das Ehepaar Weil wurde 1940 deportiert, Alfred Weil starb in Gurs, seine Frau Thekla wurde in Auschwitz ermordet.

Am Eingang der Mühlenstraße verkaufte August Bloch Stoffe und Kurzwaren, später Damen und Herrenbekleidung. 1905 übernahm sein ältester Sohn Hermann das Kaufhaus, dessen Geschichte in den 1930er Jahren endete. Auf der anderen Seite der Mühlenstraße existierte schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Gastwirtschaft „Zum König David“, in der koscher zubereitete Mahlzeiten angeboten wurden.

Mitten in der Stadt: Im Eckhaus Hauptstraße/Eisenbahnstraße war der Textilladen Edesheimer-Baer zuhause.
Mitten in der Stadt: Im Eckhaus Hauptstraße/Eisenbahnstraße war der Textilladen Edesheimer-Baer zuhause. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Ein paar Schritte weiter, in der Hänferstraße 7, gab es den Hausierhandel Zivy. Robert Zivy und seine Frau Hilde führten zunächst einen Laden für Steingut, Glas- und Porzellanwaren in der Blumenstraße. Nach dem Tod ihres Mannes verlegte sich Hilde Zivy auf einen Hausierhandel mit Wäsche und Kurzwaren. 1940 nach Gurs deportiert, wurde sie später nach Polen gebracht, wo sie bei Gleisarbeiten erschossen wurde.

Einen eigenen Friedhof erkämpft

Vom Hänferdorf führt der Weg zum jüdischen Friedhof auf der Honau; wer ihn besuchen möchte, muss sich bei der Tourist-Information den Schlüssel für das Friedhofstor ausleihen. Den Friedhof hatte sich die jüdische Gemeinde in einem langen Briefwechsel erkämpft. Bis 1833 hatte sie ihren Toten in Kuppenheim begraben müssen. Im Dritten Reich wurde der Friedhof mehrfach geschändet.

Zurück in der Innenstadt, stehen wieder Kaufleute im Blickpunkt. In der Hauptstraße 71 handelten Leopold und Gustav Wertheimer mit Mehl und Getreide. 1888, zwei Jahrzehnte nach dem Kauf des Gebäudes, übernahm Leopold das Geschäft allein. Die Feuerwehr, der er spätestens seit 1866 angehörte, ernannte ihn zum Ehrenmitglied. Als er 1912 starb, hatte schon sein Sohn Max das Geschäft übernommen. Das Haus wurde 1928 verkauft. Der Eisenhandel war das Metier des 1830 geborenen David Moses Wertheimer, der auch den Vorstand der israelitischen Gemeinde leitete. Das Geschäft befand sich in der Hauptstraße 68.

Die Altwarenhandlung Bierig-Rosenfeld in der Poststraße 5 handelte vor allem mit Papier, Metall, Knochen und ausrangierten Uniformstücken, später wurden Versicherungen vertrieben. Seit 1857 war die Hauptstraße 53 der Sitz des Bankhauses Wertheimer, dessen Geschichte mit Bertold Wertheimer endete. Die letzte Station des Rundgangs führt in die Geschichte der Trikotfabrik Edesheimer-Baer. Das Textilunternehmen beschäftigte zeitweise 20 Mitarbeiter und weitere 30 in Heimarbeit.

Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 geriet das Unternehmen in Bedrängnis, Maximilian Edesheimer musste 1888 das Anwesen versteigern lassen. Aus der Versteigerungsmasse erwarb seine Ehefrau das Eckhaus Hauptstraße/Eisenbahnstraße, in dessen Erdgeschoss ein Textilladen einzog. Es ist just das Geburtshaus von Alban Stolz, dessen Antisemitismus in der jüngsten Vergangenheit ein viel diskutiertes Thema war.

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