Die Entwicklungen bei den größten Bühler Arbeitgebern beobachtet Rainer Domin sehr genau. Schon längere Zeit betrachtete er die Abhängigkeit der Stadt von Bosch und Schaeffler mit großer Skepsis, noch im Frühjahr sprach er von einer Gefahr für die Beschäftigungssituation.
Spätestens mit der Nachricht, dass Bosch bis zu 1.700 Arbeitsplätze nach Serbien verlagern könnte, sah er sich bestätigt. Umso wichtiger sei es, mit der städtischen Wirtschaftsförderung auf die Veränderungen zu reagieren.
Domin ist seit vielen Jahren an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Industrie unterwegs und versteht sich als Vermittler, der zusammenbringt, was zusammenpasst. Er arbeitete zunächst als Werkzeugmacher und dann als Einkäufer bei Bosch, ehe er sich vor 35 Jahren als Vertreter selbstständig machte, der vorwiegend für ausländische, aber europäische Hersteller von Bauteilen neue Kundenbeziehungen zur Automobilindustrie aufbaute.
Großes Wachstum bis Mitte der 1990er Jahre
Stets habe das Augenmerk auf die zukünftigen Chancen von Produkten gelegen. Bis Mitte der 90er Jahre wuchs das Unternehmen und beschäftigte bis zu acht Mitarbeiter. Seit 2003 hat er ein Scouting aufgebaut, das gezielt die besonders gelungenen Lösungen der Teilehersteller an neue Kunden vermittelt. Außerdem betreute er Start-ups, untersuchte Chancen von Patentanmeldungen und meldete selbst Patente an, auch gemeinsam mit Herstellern.
2007 erlebte Domin die Ausgründung einer Solarzellenentwicklung einer Universität. Ein Großunternehmer investierte 32 Millionen Euro in eine neue Firma, die Solarmodule in Künzelsau produziert. An diesem Punkt habe er sich gefragt: „Warum nicht in Bühl?“ Das sei der Startschuss gewesen, ein Konzept zu erarbeiten, das er Oberbürgermeister und den Wirtschaftsförderern der IHK in Karlsruhe vortrug.
Es wird nur verwaltet, und es fehlt am technischen Verständnis.Rainer Domin Wirtschaftsexperte
Das Denken der Bühler Wirtschaftsförderung folge aber noch zu stark alten Mustern. „Es wird nur verwaltet, und es fehlt am technischen Verständnis“, kritisiert Domin. Es müsse aktiv nach Firmen gesucht werden, die auch zum Standort passen.
Betrachte man die Bosch-Entwicklung, stelle man fest, dass beispielsweise legendäre Produkte wie Generatoren und Starter 2018 an einen chinesischen Investor verkauft worden seien: „Es ging um 8.000 Personen!“, sagt Domin. Gleichzeitig entwickle sich Bosch zu einem Elektronikhersteller.
Die Transformation verstärke den Druck auf mechanische Einspritzsysteme, was die Frage aufwerfe, welche Bedeutung Kleinmotoren zukünftig hätten? „Daher müssen Firmen und Produkte gesucht werden, die zu den Fähigkeiten der Beschäftigten passen, sollten diese arbeitslos werden“, sagt Domin. Es habe keinen Sinn, ein Zentrum für künstliche Intelligenz aufzubauen, hier aber nicht die Mitarbeiter dafür zu haben.
Chancen sieht Domin für jene Kommunen, die den Blick auf die Hochschulen des Landes richten. Viele Universitäten hätten mittlerweile Beauftragte für die Vermittlung wissenschaftlicher Produkte. An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen habe er sich das Konzept erläutern lassen.
Die kreativen Köpfe an der Grenzlinie Universität/Industrie abzuholen, könne ein erfolgreicher Ansatz einer modernen Wirtschaftsförderung sein. Offen zu sein für Neues, das ist aus Domins Sicht die entscheidende Voraussetzung – und die aktive Suche.
Ein einfaches Mittel wäre es, die Publikationen der Hochschulen nach guten Ideen zu durchforsten und den Kontakt herzustellen. Dazu komme die Jagd nach Fördermitteln. Domin berichtet von einem Unternehmen, mit dem er bereits Projekte bearbeitet habe, das Firmen und Kommunen bei der Suche nach Fördermitteln unterstütze: „Mehr als 100 Mitarbeiter beobachten die etwa 1.200 Fördertöpfe in Brüssel und wann sich welche öffnen. Mehrere hundert Mitarbeiter bereiten Förderprojekte vor, damit diese vergabebereit sind.”
Es fehlt eine Überlebensstrategie.Rainer Domin Wirtschaftsexperte
Welcher Weg auch eingeschlagen werde, es müsse jedenfalls auf die sich verändernden wirtschaftlichen Bedingungen reagiert werden. Die Entwicklungen auch in Bühl müssten Angst machen, sagt Domin mit den Erfahrungen aus mittlerweile sieben Rezessionen, die er erlebt habe: „Es fehlt eine Überlebensstrategie.“
Die Bosch-Pläne zur Verlagerung hätten dies deutlich gezeigt und müssten ein Weckruf auch für die Kommunalpolitik sein, die sich bisher zu wenig für das Thema interessiert habe. Für die Wirtschaft nach der Corona-Pandemie brauche es ein tragfähiges Fundament: „Das kann es aber nur geben, wenn die Stadt in Vorleistung tritt.”