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Verheerendes Hochwasser

Nach der Flutkatastrophe: Paar aus dem Kreis Ahrweiler erholt sich gratis in Bühler Hotel

Ein Ehepaar aus dem Kreis Ahrweiler hat die Silvestertage im Hotel am Froschbächel in Bühl verbracht. Das Hotel bietet Gratis-Erholungstage für Betroffene der Flutkatastrophe an. Im Gespräch erzählen die beiden von Plünderern und Katastrophentouristen.

Vier Personen an Tisch im Hotel
Melanie und Jürgen aus Mayschoß (links) waren über Silvester zu Gast bei der Familie Haag, die das Hotel am Froschbächel leitet (im Bild Renate und Robert). Foto: Katrin König-Derki

Blass sehen sie aus, Melanie und Jürgen (Nachname der Redaktion bekannt) aus Mayschoß im Landkreis Ahrweiler. Das Paar verbringt einige Tage im Hotel am Froschbächel: Es nutzt dessen Angebot, Abstand zu den traumatischen Ereignissen der vergangenen Monate zu nehmen.

In Bühl und Umgebung offerieren insgesamt fünf Hotels solche Gratis-Erholungstage für Betroffene der Flutkatastrophe; etwa 50 weilten bisher in der Region, junge Familien inklusive.

Am Silvesterabend nehmen sich Renate Haag und ihr Sohn Robert als Gastgeber und das Paar Zeit für ein Interview – kurz vor dem edlen Dinner, zu dem die Haags auch einige wenige Verwandte und Freunde geladen haben.

Psychotherapie und Tabletten: Wie die Flutkatastrophe Betroffene verändert hat

Melanie und Jürgen erzählen wechselweise vom 14. Juli, der ihr Leben verändern sollte. Sobald einer nicht weitersprechen kann, übernimmt der andere. „Wir sind seither so nah am Wasser gebaut“, sagt Melanie. Dabei wirkt sie eigentlich wie eine taffe Frau; auch ihr Mann hat etwas Solides. Ihre Schilderungen lassen indes erahnen, warum sie den Boden unter den Füßen verloren, nachts fast nur noch mit Hilfe von Tabletten schlafen können, zur Psychotherapie gehen.

Sie selbst kehrten an jenem Abend von einem Besuch bei der Tochter zurück, konnten ihr Haus aufgrund der überfluteten Straßen aber nicht mehr erreichen und erlebten das Geschehen entsetzt von einem Weinberg aus. Sie sahen aufgrund der Dunkelheit wenig, hörten aber die Menschen auf dem unten angrenzenden Campingplatz schreien, bis sie verstummten und die Lichter verschwanden.

„Die konnten da nicht weg“, sagt Jürgen, und stockt. Melanie beschreibt, wie Wohnwagen von den Wassermassen mitgerissen wurden und mit solcher Wucht gegen Brücken knallten, dass die „wie Spielzeuge“ wegbrachen. Auch ein Gas-Tank schwamm vorbei: Er löste wegen der Explosionsgefahr Panik aus.

Ehepaar aus Ahrweiler erlebte zerstörte Häuser, tödlich verunglückte Menschen, Tierkadaver

Das ganze Ausmaß der Katastrophe wurde erst am Folgetag sichtbar. Zerstörte Häuser, Straßen, Autos, tödlich verunglückte Menschen, Tierkadaver. Ihr Haus sei ausschließlich unten voller Wasser gewesen, so Jürgen. „Wir verloren nur Materielles.“ Beide beteiligten sich an den Aufräumarbeiten.

Schlimm war der Gestank nach Verwesung.
Melanie, Betroffene der Flutkatastrophe

„Da guckst du nicht mehr, was du anpackst, auch wenn im Schlamm plötzlich Leichen auftauchen. Schlimm war der Gestank nach Verwesung.“ Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei überwältigend gewesen, ergänzt Melanie. Auch Bundeswehrsoldaten hätten auf eigene Faust geholfen, Ärzte Impfungen organisiert. „Ansonsten war Corona kein Thema mehr.“

Den Hilfsorganisationen werfen beide vor, sich im Ahrtal vor allem zu bereichern. Versicherungen wiederum hätten alles getan, um nicht zahlen zu müssen. „Das Geld, das Geld“, sagt Melanie. Und: „Plünderer kamen und drangen in die gesperrten Häuser ein. Die nahmen alles mit, vom Schmuck bis zum Heizkörper.“

Betroffene aus dem Ahrtal sauer über Katastrophentouristen

Längst arbeitet Jürgen wieder wie früher im Nachbarort. Das Paar setzt sich weiter ehrenamtlich für jene ein, die es schlimmer getroffen hat. Bis heute sei man in der Region von Normalität weit entfernt, betont Jürgen. „Die Straßen sind grob geteert, aber fast täglich müssen weitere Häuser abgerissen werden.“

Wir erzählen unsere Geschichte, damit das Ahrtal nicht vergessen wird.
Melanie, Betroffene der Flutkatastrophe

In den Medien werde die Lage inzwischen oft verharmlost. Regelmäßig reisten Katastrophentouristen an, um auf Ruinen Selfies zu machen. Melanie: „Wir erzählen unsere Geschichte, damit das Ahrtal nicht vergessen wird.“

Beim Silvesteressen soll ihr Trauma kein Thema sein, sie hoffen auf unbeschwerte Stunden bei ihren „super“ Gastgebern. „Ich kann hier auch endlich mal wieder durchschlafen“, sagt Melanie. Und ihr Hund, der im Ahrtal das Futter verweigere, fresse mit Appetit. „Klingt verrückt. Ist aber so.“ Für einen Moment verscheucht Melanies Lächeln die unendlich große Müdigkeit in ihrem Gesicht.

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