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Grundsatzbeschluss gefasst

In Bühl soll Alban Stolz vom Straßenschild verschwinden

Das Thema ist seit Jahren immer wieder aktuell. Jetzt aber hat der Bühler Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss gefasst: Die Alban-Stolz-Straße soll umbenannt werden. Ob es auch dazu kommt, hängt von den Anliegern ab, die nun gehört werden sollen.

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Seit neun Jahrzehnten ist eine Bühler Straße nach Alban Stolz benannt. Damit könnte es bald vorbei sein. Foto: Lienhard

Die Alban-Stolz-Straße in Bühl soll einen anderen Namen erhalten. Der Gemeinderat hat am Mittwochabend einstimmig beschlossen, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Als mögliche neue Namensgeberin wurde die Bühler Ehrenbürgerin Anneliese Knoop-Graf vorgeschlagen, die wertvolle Arbeit für die Erinnerung Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ leistete.

Damit reagiert der Gemeinderat auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen Alban Stolz ein prominenter und einflussreicher Vertreter des Antijudaisums der katholischen Kirche war. Stolz wurde 1808 in Bühl geboren, er war Theologe und Volksschriftsteller, als Vikar wirkte er auch in Neusatz, wo heute der Alban-Stolz-Weg an ihn erinnert. Gestorben ist er 1883 in Freiburg; in seiner Heimatstadt ist neben der Straße auch das Gemeindezentrum der katholischen Gemeinde nach ihm benannt. Die Kapelle auf dem Stadtfriedhof wird im Volksmund zwar Alban-Stolz-Kapelle genannt, ihr offizieller Name lautet indes „Maria zum Trost“. Dort ist Stolz auch begraben.

Straßenname seit 1928

Seit 1928 trägt die Straße im damals neu bebauten Oberamthof-Areal seinen Namen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Stolz mehr und mehr in Vergessenheit geraten; in der Wissenschaft rückten seine antisemitischen Ausfälle gleichwohl erst spät in den Blickpunkt. Die Literatur aus dem geistigen Umfeld von Stolz habe das Thema Judenfeindschaft konsequent verschwiegen, stellte 1994 Michael Langer in seiner Habilitationsschrift „Zwischen Vorurteil und Aggression. Zum Judenbild in der deutschsprachigen katholischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts“. Die Vernachlässigung von Stolz in der Forschung zum Antisemitismus sei umso erstaunlicher, „wenn man sich die Breitenwirkung und Vieldimensionalität der Judenfeindschaft des Pädagogen in Erinnerung ruft“, so Langer, der seine Erkenntnisse vor 20 Jahren bereits bei einem gut besuchten Vortrag im Stadtgeschichtlichen Institut vorstellte; der Anlass war die große Ausstellung „Jüdisches Leben in Bühl“ gewesen.

Insekten- und Seuchenmetaphern

Einen größeren Nachklang hatte das in Bühl aber nicht; der Anstoß kam schließlich 2016 von außen, als die Stadt Freiburg beschloss, unter anderem auch die dortige Alban-Stolz-Straße umzubenennen. Dies ging zurück auf die Arbeit einer Expertenkommission. Bekannt gemacht hätten Stolz seine „Kalender für Zeit und Ewigkeit für das gemeine Volk und nebenher für geistliche und weltliche Herrenleute“. Dessen zahlreichen Auflagen belegten den großen Einfluss, den Stolz in seiner Zeit gehabt habe; die Freiburger Experten sprechen von einem „der wichtigsten antisemitischen Publizisten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“. Seine Sprache sei durchzogen von Insekten- und Seuchenmetaphern, und er gehe weit über die in seiner Zeit verbreiteten antijüdischen Vorurteile hinaus. Die Rede ist von einem „antisemitischen Wahnsystem“, das er „letztlich erbbiologisch und damit rassisch“ begründet habe.

Bürger beantragte Umbenennung

Im März 2018 beantragte schließlich ein Bühler Bürger, die Alban-Stolz-Straße umzubenennen. Der Historiker Volker Ilgen, der der Freiburger Expertenkommission angehörte hatte, führte im September 2018 den Gemeinderat in das Thema ein und referierte auch bei einer Bürgerinformationsveranstaltung im Juni 2019. Die sich anschließende Fragerunde habe gezeigt, „dass sich auch hier, wie im Gemeinderat, eine breite Mehrheit für eine Straßenumbenennung ausspricht“, heißt es in der Verwaltungsvorlage.

Anlieger werden gehört

Nun müssen zunächst die betroffenen Anlieger gehört werden. Ihre Stellungnahmen bilden die Grundlage für eine erneute Behandlung im Gemeinderat. „Die Anlieger haben dabei ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und auf Berücksichtigung ihrer gegen eine Änderung des Straßennamens sprechenden Interessen“, heißt es in der Vorlage der Stadtverwaltung an den Gemeinderat. In einer weiteren Sitzung könne dieser, die Zustimmung der Anwohner vorausgesetzt, den eigentlichen Beschluss zur Straßenumbenennung fassen und gleichzeitig den künftigen Namen festlegen.

Zunächst keine Kosten

Kosten verursache die Entscheidung zunächst nicht, sagte Reinhard Renner vom zuständigen Fachbereich auf eine Frage von Georg Schultheiß (FW). Das komme erst nach dem nächsten Beschluss, und dann blieben sie bei zwei Straßenschildern übersichtlich. Mit Blick auf die Anwohner sagte er, dass die Änderungen von Reisepass und Ausweis bei einer solchen Umbenennung kostenlos seien.

Anneliese Knoop-Graf neue Namenspatin

Der Wunsch, die Alban-Stolz-Straße umzubenennen, war einmütig; stattdessen den Namen von Anneliese Knoop-Graf zu wählen, wurde einhellig begrüßt; man müsse aber weitere Schritte unternehmen: Das waren die Eckpunkte der Stellungnahmen der Fraktionen.

"Offensivster Antisemitismus"

Georg Feuerer (CDU) nannte personenbezogene Straßennamen „immer schwierig“, weil sie oft dem Zeitgeist geschuldet seien. Alban Stolz sei zwar ein Kind seiner Zeit gewesen, aber dieser Zeitgeist habe auch das antisemitische Denken befeuert. Ein Straßenname sei eine Ehre; mit den heutigen Kenntnissen sei eine Alban-Stolz-Straße nicht mehr tragbar. Barbara Becker (SPD) erinnerte daran, dass das Thema seit Jahren auf der Tagesordnung stehe. Sie verlas einschlägige Zitate aus Stolz’ Schriften und fragte: „Darf Bühl ihm die Ehre einer Straßenbenennung machen?“ Es gehe nicht um die historische Wertung der Person, sondern um seinen „offensivsten Antisemitismus“. Sein rassisch und biologisch begründetes Denken habe er im Freiburger Priesterseminar an die „Multiplikatoren seiner Zeit“ weitergegeben. Das Thema sei auch bedrückend aktuell: „Diese Ideologie ist noch nicht begraben.“ Becker regte aber auch an, auf einer Tafel an der Straße den ehemaligen Namen zu nennen und die Hintergründe zu erläutern.

Der Prozess soll weitergehen

Johannes Moosheimer (FW) sagte, dass die Dinge heute anders bewertet würden als zum Zeitpunkt der Straßenbenennung: „Wir beurteilen die Vergangenheit aus der Sicht der Gegenwart.“ Er wies auf weitere Benennungen nach Stolz hin, etwa den Alban-Stolz-Weg in Neusatz oder eine Hinweistafel an der Bühler Friedhofskapelle. Dies solle zusammengetragen und das weitere Vorgehen beraten werden. Lutz Jäckel (FDP) freute sich, in Anneliese Knoop-Graf eine „überzeugte Liberale“ ausgewählt worden sei. Sie sei ein Garant für einen wachsamen Blick gewesen. Walter Seifermann (GAL) nannte die Entscheidung „längst überfällig. Der Antisemitismus von Stolz habe am Anfang eines Wegs gestanden, der im Völkermord geendet sei. Der Prozess müsse aber weitergehen: „Wir haben noch weitere kritische Straßennamen.“ Peter Schmidt (AfD) sagte, dass Antisemitismus in seiner Partei keinen Platz habe. Seine Ausführungen zur internationalen Politik kommentierte Barbara Becker: „Wir bleiben besser im Ländle.“

Kommentar: Gut und Böse

Die Umbenennung eines Straßennamens ist oft eine zwiespältige Angelegenheit. Selten geht sie ohne Diskussionen über die Bühne, und eine pauschale Aussage ist kaum möglich, weil die Bedingungen von Ort zu Ort unterschiedlich sind. Das beste Beispiel dafür ist der Name Hindenburg. In Bühl ging die Umbenennung 2013 vergleichsweise reibungslos über die Bühne, auch wenn es in der Öffentlichkeit Gegenstimmen gab. Das war aus zwei Gründen möglich: Weil mit dem neuen Namen Herbert-Odenheimer-Straße der Fokus von Tätern auf Opfer wechselte und weil es vor allem nicht einmal alle Finger einer Hand brauchte, um die betroffenen Anlieger aufzuzählen. Wie eine solche Initiative wohl in Bühlertal ausgehen würde? Nun also Alban Stolz. Dass es drei Jahre gedauert hat, bis aus der ersten Diskussion ein Grundsatzbeschluss wurde, zeigt, wie schwer man sich mit dieser Frage getan hat. Dabei liegen die Gründe für eine mögliche Umbenennung seit vielen Jahren auf der Hand. Ob man Stolz nun judenfeindlich nennt, wie es Michael Langer tut, oder ihn wie die Freiburger Expertenkommission antisemitisch heißt, ist zwar durchaus mehr als eine akademische Diskussion, es tut aber im Kern nichts zur Sache. Stolz‘ Auslassungen sind an vielen Stellen einfach widerwärtig, und seine Veröffentlichungen hatten eine große Resonanz, womit er zum Judenbild breiter katholischer Bevölkerungsschichten entscheidend beigetragen hat. Deshalb hat der Gemeinderat eine gute Entscheidung getroffen.

Argumente zu seiner Verteidigung gibt es indes auch. Sie zielen darauf, die gesamte Person zu sehen. Stolz habe auch seine guten Seiten gehabt, der Bühler Pfarrer Wolf-Dieter Geißler etwa erinnerte vor drei Jahren an den Einsatz für die Idee Adolph Kolpings. Ins Feld geführt wird zudem, dass auch andere Paten von Straßennamen teils inakzeptable Äußerungen über Juden gemacht haben, Martin Luther ist das wohl prominenteste Beispiel dafür. Kaum ein Mensch aber ist ohne Widersprüche, und am Ende ist es eine Abwägung zwischen Gut und Böse. Im Fall Alban Stolz senkte sich die Waagschale zur bösen Seite. Eine endgültige Entscheidung ist damit noch nicht getroffen. Sollte es aber soweit kommen, dürfte sich die Enttäuschung der Stolz-Verfechter in Grenzen halten. Sein 200. Geburtstag im Jahr 2008 ging in Bühl völlig unbemerkt vorüber. Der einstmals als größter Sohn der Stadt gepriesene Stolz ist den Bühlern gleichgültig geworden.

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