Leo Klär ist seit 1997 Kellermeister der Affentaler Winzer, ein Mann mit Erfahrung, der definitiv nicht mit Superlativen um sich wirft. Und dennoch spricht er mit Blick auf die beginnende Traubenlese von einem „Superjahrgang“.
Das gibt einen schönen, neuen Wein zum Zwetschgenfest.Leo Klär, Kellermeister
Angesichts der Nöte vieler Landwirte habe er aber fast ein bisschen Hemmungen, den 2022er auch so zu titulieren. Mit Findling und Müller-Thurgau ging es los. Das Mostgewicht liegt bei 85 Grad Oechsle, „das gibt einen schönen, neuen Wein zum Zwetschgenfest“.
Und während die Sonne noch mächtig auf Hochsommer macht, wird in den Reben rund um Steinbach so mancher Schweißtropfen vergossen. Siegfried Boos, Senior der Winzerdynastie Boos, ist mit Schere und Eimer in den Rebzeilen unterwegs. Den Chefposten überlässt er mit Mitte 80 längst Sohn Michael, aber bei der Lese ist er natürlich dabei.
Er kennt sie alle, die vielen Geschichten über die Jahrgänge, über die Hoffnungen, die nicht immer erfüllt wurden. Aber wie gesagt, dieses Jahr, da könnte es wirklich was Großes geben.
Kein Pilzbefall an den Trauben
Auch wenn die Winzer in Tag- und Nachtschichten das Wasser hektoliterweise vor allem in die jungen Anlagen fuhren, hat die lange Trockenperiode doch ein Gutes für die Trauben: Keine Probleme mit Pilzbefall und sonstigen Ärgernissen. Voriges Jahr war das ganz anders. Der Sommer war feucht, der Herbst ebenso, das begünstigte Botrytis (Grauschimmelfäule) und Co.
Nun der Gegenentwurf, Erinnerungen werden wach, und zwar an den Supersommer 2003. Damals philosophierten die Weinexperten Mittelbadens anfangs noch über einen Jahrhundertjahrgang, der sich dann letztlich so nicht einstellte. Zur Lese im September war es nicht nur hoch- , es war geradezu höchstsommerlich, was den Trauben nicht unbedingt bekam.
Der Oechslewert ging im Jahr 2003 durch die Decke, so etwas liest sich vordergründig erst einmal toll, fördert aber nicht unbedingt die Charaktermerkmale, die der Genießer gemeinhin vom badischen Wein verlangt: feine Weine mit komplexer Textur und vielschichtigem Aromenspiel. Das gab dem Spätburgburgunder satte 15,5 Volumenprozent Alkohol.
„Die wird es in diesem Jahr nicht geben“, konstatiert der Kellermeister der Affentaler Winzer mit einem Schmunzeln. Der Blick auf die Wetterprognosen für die kommenden Lesetage lässt hoffen. Es wird kühler, ein bisschen Regen soll es ebenfalls geben.
Findling und Müller-Thurgau stehen an
Aufatmen in den Rebbergen, denn in den nächsten Tagen geht es nicht nur an den Findling und den Müller-Thurgau, es folgen nun zügig auch Grau-und Weißburgunder. „Da sind wir in Hab-Acht-Stellung“, berichtet Klär.
Denn anders als beim Riesling, der nicht zum Überdrehen neigt, müssen die Winzer beim Grauburgunder schon darauf achten, dass er die Schallmauer nicht durchbricht. „90 Grad darf er haben“, so Klär, „mehr nicht.“ Denn das unumstößliche Credo lautet auch hier, der Wein soll fruchtig, frisch und elegant sein, was die Affentaler Winzer nachweislich mit Verve zelebrieren.
Spätburgundertrauben stehen am Zwetschgenfest-Wochenende ebenfalls auf dem Plan, für Rosé-Wein, wie der Kellermeister verrät, nicht zu vergessen der Regent, auch ein Roter, dessen Lese ebenfalls begonnen hat.
Apropos Rote: Die lieben solche Jahre, erklärt der Kellermeister, egal ob sie nun Spätburgunder, Cabernet Dorsa oder Regent heißen.
Und was vor Jahren noch undenkbar war, im schönen Mittelbaden lassen sich inzwischen selbst Cabernet-Sauvignon und Lagrein (Südtiroler Spezialität) kultivieren. „Wir haben inzwischen eine Witterung wie in Südtirol“, so Klär.
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So sind Horrorjahre wie 1984, 1985 und 1986 längst Stoff in der Weinbauhistorie Mittelbaden. Damals war es kalt und regnerisch, viele Trauben kamen nicht zur Reife.
Der 22er wäre wohl als Jahrhundert-Jahrgang in die Annalen eingegangen. Heutzutage ist er einfach nur super. Sorge um die Mostgewichte? Andersherum wird der berühmte Schuh draus, die Winzer müssen – wie gesagt – aufpassen, dass es nicht zu viel wird und der Wein Finesse und Eleganz verliert.
Neue Strategien im Weinbau
Mit einer ganzen Reihe an Maßnahmen versuchen die Affentaler Winzer da, das Optimale zu erreichen. „Da ist es die Herausforderung, nicht zu spät zu lesen.“ Dass aber künftig verstärkt Reben kultiviert werden, die eigentlich deutlich südlicher beheimatet sind, will Klär so nicht unterschreiben.
Die Affentaler Winzer, und nicht nur die, setzen weiter auf die Klassiker aus unseren Breiten. Was sich ändern könnte, ist eventuell die Lagen-Definition. In den Steillagen auf Granitverwitterungsboden hatten es Reben in diesem extrem trockenen Sommer sehr schwer. Und dorthin karrten die Winzer auch das meiste Wasser.
Es stelle sich die Frage, ob Neuanlagen günstig zwingend mit Bewässerung ausgestattet werden. Einfach ist das aber nicht, billig ebenfalls nicht. Wie viele Junganlagen durchkommen, ist auch offen.
Fest steht aber, der Jahrgang hat das Zeug zu einem besonders Guten: Und nach dem mauen Weinjahr 2021 wird guter Wein gebraucht: „Wir haben einige leere Fässer“, sagt der Kellermeister.