Bei Uwe und Marianne Thies herrscht Leben im Hause: Die Enkel aus Sandweier sind zu Besuch. Der dreijährige Nick hämmert gerade an einer Spielzeugwerkbank und seine einjährige Schwester Mariella krabbelt durchs Wohnzimmer, gefolgt von Dackel Cleo.
Nur Jonah sitzt müde bei seinem Opa auf dem Schoß. Der Fünfjährige ist schwerstbehindert und hat, genau wie seine Eltern und Großeltern, eine harte Zeit hinter sich: Zwei Lungenentzündungen folgten aufeinander, Jonah musste mehrere Wochen in der Klinik verbringen und geriet durch einen heftigen epileptischen Anfall vorübergehend in Lebensgefahr. „Zum Glück war er zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus“, sagt Marianne Thies.
Eigentlich wären sie und ihr Mann momentan mit Jonah in einer Spezialklinik in der Slowakei, wo er regelmäßig und mit Erfolg behandelt wird.
Dank moderner Therapien machte Jonah in der Slowakei Fortschritte
Das Kind, dem von deutschen Ärzten praktisch keine Chancen auf die Entwicklung motorischer Fähigkeiten eingeräumt wurden, machte dank modernster Therapiemethoden permanent Fortschritte, lernte, das Köpfchen aufrecht zu halten und folgte Vorgängen im Umfeld bald aufmerksam.
Reaktionen wie spontanes Lachen lassen erkennen, dass Jonah deutlich mehr mitbekommt, als man zunächst erwartet. Er hatte sogar mit Stolz begonnen, allein zu essen, als er erkrankte, wie Uwe Thies erzählt. „Die Krankheit hat ihn in der Entwicklung zurückgeworfen.“
Obwohl Jonah inzwischen genas, riet das hiesige Krankenhauspersonal vom Aufenthalt in der Slowakei vorläufig ab, da er dort körperlich sehr gefordert wird. Nun hat die Familie in den Ferien für den Jungen Ergo-, Logo- und Physiotherapie vor Ort organisiert.
Behandlungen bezahlt seine Familie über Spenden
Das bezahlt sie mit den Spenden, die sie – wie üblich – für die kostenintensive Behandlung in der Slowakei vorab gesammelt hatte. „Ohne finanzielle Hilfe wäre das alles für uns nicht denkbar“, sagt Marianne Thies. „Es ist deshalb wunderbar, dass wir bereits mehrfach von Vereinen und Privatpersonen großzügig bedacht wurden. Vielen Menschen liegt das Schicksal Jonahs am Herzen.“
Wäre Jonah stationär in einer Einrichtung, übernähme die Krankenkasse alles – monatlich um die 4.000 Euro.Marianne Thies, Oma von Jonah
Auf institutioneller Seite hingegen, bedauert Uwe Thies, herrsche Handlungsbedarf. Er macht das an Beispielen fest: „Der Kindergarten, den Jonah besucht, schließt über die ganzen Schulferien hinweg.“ Und nur der Bruchteil der Kosten für eine ambulante Pflegekraft werde von der Krankenkasse übernommen.
Familie möchte den Jungen zuhause betreuen
Jonahs Eltern, Tim und Kerstin Schmidt, haben ihm zufolge eine Einliegerwohnung eingerichtet, in der jederzeit eine solche Person einziehen könnte, ohne Miete zu zahlen; sie muss aber erst einmal gefunden und ihr Gehalt finanziert werden.
„Wir sind weiter auf unsere Mitmenschen angewiesen, auch wenn uns das nicht angenehm ist. Wäre Jonah stationär in einer Einrichtung, übernähme die Krankenkasse alles – monatlich um die 4.000 Euro“, berichtet Marianne Thies und fügt an: „Ist es so unverständlich, dass wir das Kind in der Familie haben möchten? Im vertrauten Umfeld ist Jonah glücklich, das sehen und spüren wir doch.“
Man lässt Menschen mit Behinderung und ihre Familien in Deutschland ziemlich allein.Uwe Thies, Opa von Jonah
Als traurig wertet sie auch, dass die Gesellschaft auf Kinder mit Behinderungen bisher kaum eingestellt ist. „Man redet viel von Inklusion, aber in der Region kenne ich nicht einen Spielplatz mit behindertengerechter Schaukel. Kein Angebot bei den Ferienprogrammen steht Kindern wie Jonah offen.“
Kurz: Die Familie widmet sich dem Kind mit Liebe und Geduld; schmerzlich erfährt sie jedoch die mangelnde Unterstützung auf verschiedensten Ebenen. „Man lässt Menschen mit Behinderung und ihre Familien in Deutschland ziemlich allein“, sagt Uwe Thies. „Wir können nur hoffen, dass sich endlich ein Bewusstseinswandel vollzieht.“ Nun aber möchte Nick zu Mittag essen. Jonah folgt dem agilen Bruder mit den Augen. Für seine Geschwister ist Inklusion Alltag.