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Ärger wegen Schulbeginn an der Mooslandschule

Kein Lockdown für Kinder mit geistiger Behinderung: Macht das Sinn?

Markus Tolksdorf, Geschäftsführer der Lebenshilfe für die Region Baden-Baden, Achern und Bühl, kritisiert die Ausnahmeregelung als inkonsequent.

Körperliche Nähe ist für Schüler in Einrichtungen der Lebenshilfe Alltag, Hygieneauflagen sind schwer umsetzbar.
Körperliche Nähe ist für Schüler in Einrichtungen der Lebenshilfe Alltag, Hygieneauflagen sind schwer umsetzbar. Foto: David Maurer

Der Alltag an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit dem Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ (GENT) ist geprägt von Nähe, von intensiven persönlichen Beziehungen, von vergleichsweise viel Körperkontakt, sagt Markus Tolksdorf.

Der Geschäftsführer der regionalen Lebenshilfe bezieht sich damit auch auf die Mooslandschule Ottersweier, deren Trägerschaft die Lebenshilfe innehat. Ihren Schülern, unterstreicht Tolksdorf, seien Corona-Risiken und damit verbundene Hygieneauflagen wie das Tragen von Masken und das Einhalten von Abstand je nach Behinderung kaum zu vermitteln. Bei manchen sei das Maskentragen auch rein physisch gar nicht realisierbar, „zum Beispiel, wenn die Kinder viel speicheln“.

Wir haben schon beim ersten Lockdown Konzepte zum Fernlernen erstellt und erprobt.
Markus Tolksdorf, Geschäftsführer der Lebenshilfe für die Region Baden-Baden, Achern und Bühl

Dass die Politik die Linie der Kontaktreduzierung verfolge und Schulen wie Kindergärten schließe, um die Infektionszahlen zu senken, andererseits aber etwa die erwähnten „SBBZ GENT“ von der Regel ausnehme, sei für ihn nicht nachvollziehbar. Er greift die Argumente auf, die zur Begründung angeführt werden.

„Zum Einen heißt es, dass Schulpflicht bestehe, Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen aber nicht über digitale Medien beschult werden können“, sagt er. Das stimme so nicht. „Wir haben schon beim ersten Lockdown Konzepte zum Fernlernen erstellt und erprobt.“

Zugleich werde den Eltern freigestellt, ob ihre Kinder die Einrichtung besuchten. An der Mooslandschule, erwähnt er in dem Kontext, hätten die Eltern einer ganzen Klasse beschlossen, ihre Kinder zu Hause zu lassen. Ein weiteres Argument des Kultusministeriums sei die „unzumutbare“ Überlastung der Eltern. „Das impliziert, dass unsere Schulen nicht etwa einen Bildungs-, sondern einen Pflegeauftrag wahrnehmen, dem ist aber nicht so“, erklärt Tolksdorf.

Zudem sei er überzeugt, dass das Gros der Eltern von Kindern mit geistigen Behinderungen nicht stärker belastet sei als andere Eltern, deren Nachwuchs im Zuge des zweiten Lockdowns erneut daheim zu betreuen sei. „Was aber sagt diese Argumentation über den Blick der Gesellschaft auf Menschen mit Behinderungen? Dass sie eine große Belastung darstellen“, konstatiert er.

Die hohe Corona-Ansteckungsgefahr, die sich aus dem von Tolksdorf geschilderten Alltag ergibt, belegt der Geschäftsführer mit Zahlen. „Im November gab es an der Mooslandschule, wo 130 Kinder unterrichtet werden, vier infizierte Schüler und fünf infizierte Mitglieder des Personals, sieben Personen mussten darüber hinaus in Quarantäne“, sagt Tolksdorf.

„Im Dezember erkrankten vier weitere Schüler sowie fünf weitere Mitarbeiter, von denen zwei noch immer nicht dienstfähig sind. 26 Personen mussten in Quarantäne. In keiner anderen unserer Einrichtungen gab es ein so hohes Infektionsaufkommen.“

Die Mitarbeiter mit Schutzausrüstung auszustatten, die der von Pflegepersonal gleichkomme, sei auch keine Lösung. „Wie reagieren Kinder mit geistiger Behinderung wohl, wenn zum Beispiel eine Lehrerin entsprechend geschützt und somit entfremdet vor ihnen steht?“ Kurz: „Wenn in Deutschland ernsthaft Kontakte drastisch reduziert werden sollen, um die Pandemie zu bekämpfen, ist eine Schließung aller SBBZ und ihrer Kindergärten genauso unumgänglich wie die von Regelschulen und -kindergärten, wenn nicht gar noch viel entscheidender“, resümiert Tolksdorf.

Sollte es bei den Kindern Einzelfälle mit außergewöhnlich hohem Pflegebedarf geben, könne Tolksdorf sich vorstellen, diese in die Notbetreuung zu nehmen, wie man sie bereits an anderen Einrichtungen der Lebenshilfe anbiete. „Das müsste man gegebenenfalls prüfen.“ Doch nun möchte Tolksdorf erst einmal beim leitenden Schulamtsdirektor anrufen. „Ich werde ihm an erster Stelle die Zahlen nennen“, sagt er. Die seien doch an sich schon aussagekräftig genug.

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