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Babys ohne Lebenschance

Zwei Sternenkinder in einem Jahr: Julia Koch aus Rheinmünster verliert trotzdem nicht den Mut

Zweimal in einem Jahr wird Julia Koch aus Rheinmünster schwanger, beide Male sind die Kinder nicht lebensfähig. Mit ihrem Ehemann kämpft sie sich aus dem Schock – und erzählt ihre Geschichte, um anderen Betroffenen Mut zu machen.

Schwangere Frau, Mann
Erinnerungen: Nach der Diagnose haben Julia und Marco Koch eine Babyfotografin engagiert. Die Bilder sind für das Ehepaar sehr wichtig. Foto: Nina Raber

Abends schaut Julia Koch oft hinauf zum Himmel. Wo das Firmament am stärksten leuchtet, bleibt ihr Blick für eine Weile haften: „Die beiden hellsten Sterne, das sind meine Kinder“, sagt sie. Lukas heißt das eine, Sternchen das andere, und sie sind genau das: Sternenkinder. Innerhalb eines Jahres sind sie auf die Welt gekommen, die sie nie kennenlernen durften.

Die 34-Jährige aus Schwarzach geht offen mit dem Thema um – auch weil sie festgestellt hat: „Ich bin nicht allein mit meiner Geschichte. Viele aber trauen sich nicht, darüber zu reden.“

Indem sie selbst es tut, nach langer Zeit auch kann, möchte sie vor allem eines: Mut machen. Gerade auf Instagram habe sie Menschen gefunden, die Ähnliches erlebt haben. „Der Austausch tut gut, das Wissen, das Gefühl, nicht allein zu sein.“

Schwangerschaft verläuft scheinbar normal, dann zeigt der Ultraschall Auffälligkeiten

Anfang 2020 erfährt das Ehepaar Koch von der Schwangerschaft. Alles scheint normal zu sein, Julia Koch freut sich auf ihr erstes Kind. Bis zu jenem Tag in der 21. Schwangerschaftswoche: Der Ultraschall zeigt Auffälligkeiten an Kopf und Herz, die werdende Mutter muss zu einem Pränatalmediziner nach Baden-Baden.

Babybauch, Stern
Symbol: Den Stern hat Julia Kochs Neffe während der ersten Schwangerschschaft für sie gebastelt. Eine Woche später kam die Diagnose. Foto: Nina Raber

Sie ist zunächst noch optimistisch, doch auf der Fahrt beschleicht sie ein banges Gefühl. Dann die weltstürzende Diagnose: Trisomie 22, eine seltene Genmutation. Das Kind wird nicht lebensfähig sein, „es hat keinerlei Lebenschance“, hört Koch. Als hätte ihr Baby das Gespräch und die Diagnose mitgehört, ist der Abschied schneller als erwartet.

Am 17. Mai, in der 24. Woche, endet die Schwangerschaft durch eine stille Geburt im Städtischen Klinikum Karlsruhe. Die Eltern nennen ihr Sternenkind Lukas, sie lassen es segnen und auf dem Schwarzacher Friedhof bestatten.

Schnell fällt die Entscheidung für eine weitere Schwangerschaft. Das Ehepaar lässt sich intensiv untersuchen, das Ergebnis: „Wir sind beide gesund und in der Lage, gesunde Kinder zu bekommen“, sagt Julia Koch. Im März 2021 braucht es keinen Test, erinnert sie sich, „ich wusste, dass ich wieder schwanger bin“.

Zweites Sternenkind: Das gleiche Krankenhaus, die gleichen Ärzte, die gleiche Situation

Die Freude ist groß, aber auch Angst mischt sich hinein, „die Arztbesuche sind die Hölle“. In der zehnten Schwangerschaftswoche dann das fürchterliche Déjà-vu: „Ich habe gleich auf dem Ultraschallbild gesehen, was los ist“, berichtet Koch. „Das gleiche Krankenhaus, die gleichen Ärzte, die gleiche Situation. Alle schauen mich fragend an, die Ärzte sind schockiert.“ Die Diagnose: Trisomie 18. Am 15. Mai erleidet Julia Koch eine Fehlgeburt. Warum wieder wir? Warum schon zum zweiten Mal? Solche Fragen bleiben unbeantwortet, und auch das zehrt.

Die Kinder dürfen nicht leben, und die Mutter leidet psychisch und körperlich. „Die vier Wochen nach der zweiten Geburt waren der Tiefpunkt meines Lebens“, sagt Julia Koch. „Mir ging es sehr schlecht. Es war jetzt ein Kampf um mein Leben.“

Schon 2020 findet sie Hilfe beim Kinderhospiz Baden-Baden, nach dem zweiten Kind arbeitet sie das Trauma mit einer Psychologin auf. Doch es dauert ein Jahr, bis sie wieder vollständig zu sich findet: „Ich lebe wieder“. Bewusster lebe sie und habe zu innerer Stärke gefunden. Es gebe gute und schlechte Tage, wobei die guten überwögen. „Manchmal kommt man sich so fremd vor, wie in einem Film. Wenn man es ausspricht, ist es wieder da“, sagt Koch.

Ehepaar aus Rheinmünster-Schwarzach kämpft sich durch dunklen Tunnel

Gemeinsam mit ihrem Mann Marco kämpft sie sich durch den dunklen Tunnel: „Wir weinen oft gemeinsam, stärken uns aber auch gegenseitig“. Geholfen habe auch eine Idee aus dem Kinderhospiz: „Wir haben für unsere Kinder einen symbolischen Rucksack gepackt, mit unseren Gefühlen, Erfahrungen und Geschichten.“

Zu den Geburtstagen der Kinder schreibe jeder einen Brief. Sie werden dann mit Luftballons in den Himmel entlassen. Wichtig sei auch, zu akzeptieren, „dass jeder unterschiedlich trauert“. Während sie sehr viel über ihre Kinder rede, trauere ihr Mann mehr für sich: „Für das erste Kind hatten wir ein Kuscheltier gekauft, das jetzt bei uns im Bett liegt. Wenn es runterfällt, hebt er es liebevoll auf und küsst es.“

Wir können prinzipiell gesunde Kinder bekommen, und wir glauben an das Wunder.
Julia Koch, Mutter von Sternenkindern

All das erzählt Julia Koch ruhig, gefasst, auf eine gewisse Art auch heiter. Immer wieder aber blitzt in einer kleinen Geste, in kurz geschlossenen Augen, in einem kleinen Schweigen der Schmerz auf. Auch im Alltag ist er präsent. Erst am Wochenende habe sie eine Glückwunschkarte geschrieben, für einen Verwandten, der zum zweiten Mal Vater wurde: „Es hat mir das Herz zerrissen. Ich schreibe über das Wunder und weiß selbst nicht, ob ich es jemals in den Händen halten werde.“

Zwei Sternenkinder in einem Jahr: Aus Schmerz wird Stärke

Den Schmerz in Stärke zu verwandeln, das scheint ihr zu gelingen. Die Frage nach einer möglichen dritten Schwangerschaft muss nicht gestellt werden. Nicht, weil die große Kraft, die Julia Koch ausstrahlt, sie fast schon beantwortet, nein, Koch spricht sie von sich aus an. „Wir können prinzipiell gesunde Kinder bekommen, und wir glauben an das Wunder.“

Sie bereite sich auf eine weitere Schwangerschaft vor und sagt: „Ich freue mich auf mein drittes Kind, auch wenn es wieder ein Sternenkind sein wird.“ Die Frage, woher sie die Kraft nimmt, die aus solchen Worten spricht, kennt sie gut, sie wird ihr oft gestellt. Es ist die Liebe zu ihren Kindern, die sie am Abend am Firmament sucht, sagt Julia Koch: „Ich weiß, meine Kinder sind da, sie sind bei mir. Immer.“´

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