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Biografie mit zwetschgenblauer Tinte

Sammler, Kulturveranstalter und Muster-Bühler: Schüttekeller-Hausherr Rüdiger Schmitt blickt auf 70 Jahre zurück

Rüdiger Schmitt hat grade weniger zu tun, die Corona-Folgen lassen Veranstaltungen im Bühler Schüttekeller nicht zu. Unterkriegen lässt er sich deswegen nicht. Auch mit 70 Jahren möchte er die Kleinkunstbühne mit musikalischem Leben füllen.

Mann mit Rauschebart und Buch
Blättern im Gästebuch: Rüdiger Schmitt hat im Schüttekeller zahlreiche Künstlerinnen und Künstler empfangen. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Foto: Wilfried Lienhard

Der Mann mit dem ZZ-Top-Gedächtnisbart lacht. Ausgerechnet er, dessen Biografie mit zwetschgenblauer Tinte geschrieben werden müsste, muss auf die Frage nach seinem Geburtsort „Karlsruhe“ antworten. 70 Jahre sind an diesem Mittwoch vergangen, seit Rüdiger Schmitt in der Landesfrauenklinik seinen ersten Schrei tat.

Den „Makel“ der auswärtigen Geburt hat er längst getilgt, Schmitt hat Bühler Geschichte geradezu in sich aufgesogen und schreibt mit dem Schüttekeller ein eigenes Kapitel der Bühler Kulturgeschichte.

Mehr Bühl geht eigentlich nicht, wenn man wie Schmitt in der Marktstraße 1 aufwächst, hinter dem legendären Mandelgärtchen, zwischen der noch legendäreren Obstmarkthalle und der Volksschule. „Wenn ich über das Mäuerchen geklettert bin, stand ich im Hof der Markthalle“, erinnert sich Schmitt.

Gerade beim Zwetschgenfest wusste er das zu nutzen: „Die Kinder gingen vorne rein und, nachdem sie Wurst und Weck bekommen hatten, hinten raus. Ich bin gleich übers Mäuerchen, habe die Sachen abgelegt und ging wieder los.“

Dreimal habe er sich bedient, „und ich war stolz, zu Hause zum Abendessen beigetragen zu haben“, lacht Schmitt.

Schmitt wurde von der Sammelleidenschaft erfasst

Vielleicht war das schon ein Zeichen der Sammelleidenschaft, die ihn später erfassen sollte. Die Eltern sammelten die Bühler Blauen Hefte, die Jahr für Jahr Aufsätze zur Geschichte versammelten. Später entdeckte er im Baden-Badener Stadtmuseum elf Bände der „Ortenau“, in denen er auch etliches über Bühl fand.

Der Kauf der Bände war der Startschuss, Anfang der 70er Jahre trat Schmitt in den Historischen Verein ein – in dem er heute Schriftführer der Ortsgruppe Bühl ist –, und mittlerweile besitzt er vom ersten „Ortenau“-Band von 1911 sämtliche Ausgaben. Das „Freiburger Diözesan-Archiv“, eine weitere Jahresreihe, entdeckte er in einem Antiquariat – und schlug zu.

Bis heute hilft Schmitt in einem Baden-Badener Antiquariat aus: „Man lernt unheimliche viele Menschen mit speziellem Fachwissen kennen, das Allgemeinwissen wird weiter angefüttert.“ Solche Kontakte vermisst er jetzt, dass es aktuell keine Kongresse in der Kurstadt gibt, sei deutlich zu spüren.

Corona zwingt Schmitt auch im Schüttekeller zu weitgehender Untätigkeit, Musik und Kabarett haben Pause. Am 17. März 2000 stand in Gerd Birsner der erste Künstler auf der Bühne, am 5. März 2001 wurde der Verein gegründet. Beide 20er konnten nicht gefeiert werden. Da kann man schon mal den Blues kriegen.

Was sich gut anhört, probiere ich im Schüttekeller aus.
Rüdiger Schmitt, Kleinkunstveranstalter

Dabei ist diese Musik keineswegs nur für die Täler im Leben reserviert, für Schmitt ist sie pure Lebensfreude, Blues ist Unterhaltung, und wer etwa schon einmal die Blues Company aus Osnabrück im Schüttekeller erlebt hat, der weiß, was Schmitt damit meint.

Es brauchte ein bisschen, bis er den Blues, diesen Kosmos von Robert Johnson bis ZZ Top, für sich entdeckt hatte. Er hörte Beatles und Stones, dann Liedermacher und akustische Gitarre. Diese Offenheit für immer Neues spiegelt sich heute im Programm des Schüttekellers: „Was sich gut anhört, probiere ich aus. Die Musiker müssen eine Chance bekommen.“

Sie werden sie im Schüttekeller wieder erhalten und der Hausherr wieder ein Virus der besseren Art verbreiten: die Begeisterung für handgemachte Musik, für Wortwitz und den gemeinsamen Kleinkunstgenuss.

Schmitt lässt sich seinen Optimismus nicht nehmen, von etwaigen Ermüdungserscheinungen ist sowieso nichts zu spüren: „Mit 99 nach einem Blueskonzert von der Bühne fallen – so stelle ich mir das vor.“ Und wieder lacht er, der Mann mit dem ZZ-Top-Gedächtnisbart.

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