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Die körperliche Berührung fehlt

Sterbebegleitung in Pandemie unter erschwerten Bedingungen: Bühler Verein berichtet

Die Begleitung von Sterbenden hat sich in der Pandemie wegen strenger Corona-Auflagen deutlich verändert. Zwei Mitarbeiter des Vereins „Pallium“ in Bühl berichten über ihre Erfahrungen.

Ineinander verschränkte Hände
Abschied: Direkte physische Nähe ist für Sterbende, insbesondere auch für Demenzkranke, sehr wichtig, aber wegen Corona derzeit kaum möglich. Foto: Canva

Seit Jahren begleiten Jacqueline Schulz und Reiner Schindler vom Verein „Pallium“ im Hospizbereich Sterbende und ihre Familien.

Corona hat ihr Wirken auch wegen strenger Auflagen verändert: Während des ersten Lockdowns durften sie außer im häuslichen Bereich gar nicht mehr zu diesen Menschen. „Inzwischen wird es in Altenpflegeheimen und Krankenhäusern unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen zugelassen“, sagt Schulz.

Schnelltests des Personals gäben zusätzliche Sicherheit. Von Angehörigen höre man indes immer wieder, dass sie ihre Partner im Krankenhaus nicht besuchen dürften. Tabu bleibt ihr zufolge in allen Institutionen das Berühren der Menschen. „Jemanden in den Arm nehmen und ihm Kraft schenken, das fehlt.

Auch, den Familien selbstverständlich die Hand zu geben.“ Längst habe niemand mehr den Impuls, das zu tun. „Manchmal nehmen wir auf Abstand kurz die Maske ab“, so Schindler: Gesicht zeigen als Geste der Nähe.

Viele wollen zu Hause sterben

Der Tod, holt er aus, habe wohl etwa bis zur Nachkriegszeit zum Leben dazu gehört. „Die Menschen starben meist daheim, es gab Abschiedsrituale.“ Dank der medizinischen Entwicklung und der Tendenz hin zum Wohnen in Altenpflegeheimen sei diese Beziehung zu Sterben und Tod ein Stück weit verloren gegangen.

Ein bisschen, sagt er, kehre der Wunsch, zu Hause zu „gehen“, angesichts der Isolation in den Institutionen zurück: „Da wird dann doch mal auf eine weitere Therapie verzichtet, die das Leben, oft aber auch das Leiden, eventuell verlängern könnte.“ Die Entwicklung sieht er durchaus positiv. Weitere Begleiterscheinungen der Pandemie seien indes traurig.

Abschiednehmen ist unglaublich wichtig, um die Trauer zu bewältigen.
Reiner Schindler, Mitglied im Verein „Pallium“

Schulz nennt das Beispiel eines Patienten im Krankenhaus, der bald sterben wird. „Er vereinsamt, denn Angehörige dürfen erst in den letzten Stunden zu ihm.“ Doch: „Wann fängt das Sterben an? Meistens schon viele Tage vor dem Tod.“

Aus ihrer Sicht sollte etwa Partnern erlaubt werden, den Prozess zu begleiten. „Abschiednehmen ist auch unglaublich wichtig, um anschließend die Trauer zu bewältigen“, sagt Schindler. Er würde sich freuen, wenn Krankenhäuser Angehörigen die Möglichkeit gäben, sich testen zu lassen.

Das sähe er als „Akt der Menschlichkeit“, ebenso einen letzten Besuch beim Toten im gewohnten Umfeld, „und sei es ein Heimzimmer“. Eine weitere Lockerung wünschten sich beide mit Blick auf hochgradig Demenzkranke. „Wir haben Ehrenamtliche, die diese begleiten, doch sie fühlen sich hilflos: Das Einzige, was sie noch für die Kranken tun könnten, wäre Körperkontakt, vielleicht eine Massage“, erzählt Schulz. „Das dürfen sie aber nicht.“

Für jemanden, der nichts mehr verstehe, bringe es wohl kaum etwas, wenn eine Person auf Abstand und mit Maske am Bett sitze. „Auch hier halte ich das Infektionsrisiko für gering, wenn unser Personal sich vorab testen lässt und die Hygieneauflagen einhält“, sagt Schindler.

Da, ergänzt Schulz, spiele indes noch die Angst der Betreuer eine Rolle, womöglich Krankheitsüberträger zu sein. „Wenn die Schuldfrage ins Spiel kommt, wird es schwierig. Das verstehe ich auch.“

Wir können nur das Beste aus der Situation machen.
Rainer Schindler, Mitglied im Verein „Pallium“

Lange seien die Sterbenden respektive ihre Angehörigen verunsichert gewesen, ob sie Hilfe von Pallium in Anspruch nehmen sollten, so Schulz. „Auf der einen Seite wünschten sie sich, das Leid des geliebten Menschen zu lindern, auf der anderen hatten sie Angst vor Corona.

Sie haben doppelt gelitten.“ Erst jetzt kämen wieder verstärkt Anfragen. Manche Familien, sagt Schindler, erkundigten sich: „Kommen Sie noch?“ Wenn er bejahe, „poltern geradezu Steine vom Herzen“. Schulz resümiert: „Natürlich hoffen wir auch generell auf Lockerungen.

Momentan können wir aber nur das Beste aus der Situation machen.“ Es sei derzeit besonders wichtig, im Jetzt zu leben statt in eine ungewisse Zukunft zu schauen, rät Schindler. Ein Blick auf die Vergangenheit hingegen mache gerade alte Menschen froh. „Sie sollten sich bewusst machen, wie einzigartig ihr Leben gewesen ist. Und wenn dann noch jemand zuhört – und zwar nicht am Telefon – könnte die Freude kaum größer sein.“

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