Vor dem Friseursalon Class in Gaggenau bildet sich am Montagvormittag eine lange Schlange. Berisa Nersi aus Loffenau wartet schon seit einer Stunde – und hat trotzdem noch vier Wartende vor sich. „Vor Kurzem habe ich meine Frau dazu überredet, mir die Haare mit der Bastelschere zu schneiden. Das hat nicht so ganz geklappt“, sagt der 56-Jährige und lacht.
Umso glücklicher zeigt er sich darüber, dass die Friseure ab dem 1. März wieder offen sind. Der Stammkunde will seine Haare sehr kurz schneiden lassen – praktisch auf Vorrat. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass die Salons irgendwann plötzlich wieder schließen müssen.
Vor allem ältere Männer gehen jetzt zum Friseur
Ähnliche Sorgen hat Aktas Sileyman, der Geschäftsführer des Friseurstudios Class. Doch bei ihm überwiegt die Freude über die Wiedereröffnung. „Vorher war es eine Katastrophe“, sagt er. Trotz fehlender Einnahmen habe er laufende Kosten bezahlen müssen.
Am Montagmorgen kommen nach seiner Aussage viele ältere Männer zu ihm. „Jüngere Menschen haben in den vergangenen Monaten eher die Möglichkeit gehabt, sich die Haare beispielsweise von Freunden schneiden zu lassen“, sagt Sileyman. Er stellt auch fest, dass mehr Männer als Frauen zu ihm kommen. „Frauen müssen aufgrund ihrer längeren Haare nicht so häufig zum Friseur gehen“, sagt er. Bei Männern sei das etwas anderes.
Corona-Verordnung schreibt Terminabsprache vor
Normalerweise schneiden die Friseure im Salon Class ohne vorherige Terminabsprache. In der neuesten Corona-Verordnung steht aber, dass diese erforderlich ist. Die Macht der Gewohnheit schlägt etwa bei Kai Ruf aus Gaggenau zu. Er hat sich nach eigener Aussage im Voraus nicht angemeldet.
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass hier so viele Menschen warten“, sagt Ruf. Der 32-Jährige trägt ein Stirnband über seinen langen schwarzen Haaren. „Das ist eine Art Schadensbegrenzung. Ohne das Stirnband sieht meine Frisur total verwildert aus“, sagt er und lacht.
Ohne das Stirnband sieht meine Frisur total verwildert aus. Es ist eine Art Schadensbegrenzung.Kai Ruf, Kunde eines Friseurs in Gaggenau
Auch Ilhan Fejzov aus Gaggenau hat sich nicht bei Sileyman und seinem Team angemeldet. Der 15-Jährige nimmt dafür eine lange Wartezeit in Kauf. „Das Selbstschneiden war mehr schlecht als recht“, meint der Gaggenauer. Seine dunklen Locken hängen ihm zum Teil schon im Gesicht. Diese sollen kürzer werden. „An den Seiten lasse ich mir die Haare ganz abschneiden“, sagt Fejzov. Als er sich an das Ende der Schlange einreiht, sind fünf Leute vor ihm und im Salon ist jeder Platz besetzt.
Der Geschäftsführer des Class bilanziert: „Der Andrang war heute Morgen zu groß.“ Um eine zu lange Schlange und das damit einhergehende Infektionsrisiko zu vermeiden, habe er mit einigen Wartenden einen Termin für einen späteren Zeitpunkt vereinbart. Sileyman wundert es aber nicht, dass die Nachfrage so groß ist.
Ich könnte die Friseurin geradezu umarmen.Rudolf Fischer, Rentner aus Gaggenau
„Die Salons werden jetzt alle überrollt“, sagt Rudolf Fischer. Der 66-Jährige wartet zusammen mit einer Frau vor dem Eingang des Friseurladens Coiffure Velly in Gaggenau. Dort ist normalerweise keine vorherige Terminabsprache notwendig. Fischer hat sich aufgrund der Hinweise des Salons, die auf einem Plakat an der Scheibe zu sehen sind, für einen Termin angemeldet. Er sagt: „Ich bin himmlisch froh über die Wiedereröffnung. Ich könnte die Friseurin geradezu umarmen.“
Zuletzt hat Fischer nach eigener Aussage selbst ein wenig „rumgeschnippelt“ – vor allem an den Augenbrauen. Doch es gehöre zum Grundbedürfnis der Körperpflege, seine Haare professionell schneiden zu lassen. Schließlich wird Fischer von einer Friseurin aufgerufen. Ein Interview will sie am Montag nicht geben. „Es warten zu viele Kunden“, erklärt sie. Nur wenige Meter weiter zeigt sich das gleiche Bild. Auch beim Männer-Friseur Starlife sind alle Plätze besetzt und mehrere Leute warten sehnsüchtig auf ihre neue Frisur.