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Konflikte und Bedürfnisse

Berater und Seelsorger berichten: Diese Themen bewegen die Gaggenauer in der Corona-Krise

Die Familie managen, soziale Kontakte auf Null fahren, um den Job und Verwandte bangen: Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen einiges abverlangt. Auch an den Menschen in Gaggenau ist die außergewöhnliche Situation nicht spurlos vorübergegangen.

Rolf Bienwald und sein Team standen auch während des Lock-Down in der Psychologischen Beratungsstelle Gaggenau für Gespräche zur Verfügung. Seinem Eindruck nach wirkt die Krise wie ein Katalysator.
Rolf Bienwald und sein Team standen auch während des Lock-Down in der Psychologischen Beratungsstelle Gaggenau für Gespräche zur Verfügung. Seinem Eindruck nach wirkt die Krise wie ein Katalysator. Foto: Christiane Widmann

Die Familie managen, soziale Kontakte auf Null fahren, um den Job und Verwandte bangen: Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen einiges abverlangt. In Gaggenau war der Druck offenbar nicht so groß, dass Murgtäler gezielt auf Beratungsstellen und Seelsorger zugegangen sind. Doch die außergewöhnliche Situation ging nicht spurlos an ihnen vorüber.

Die Corona-Krise hat Konflikte und Probleme sowohl eingefroren als auch befeuert, beobachtet Rolf Bienwald. Er ist Leiter der Psychologischen Beratungsstelle in Gaggenau, die sich Familien und jungen Erwachsenen widmet.

Bei manchen Familien sind Konfliktthemen angesichts der neuen Herausforderungen in den Hintergrund getreten. Mehr noch, sagt Bienwald: „Einige konnten einen Gewinn rausziehen.“ Sie hatten mehr Zeit füreinander, konnten Probleme lösen und gemeinsam schöne Erfahrungen sammeln.

Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas auf schwelende Konflikte

Doch bei anderen Familien hat der zusätzliche Druck Probleme verschärft. Beispielsweise ist die Belastung für Alleinerziehende gestiegen. Auf schwelende Konflikte zwischen Eltern wirkte die Krise wie ein Brennglas.

Die Gesamtleitung der Beratungsstellen im Kreis Rastatt berichtet von Trennungen und vermehrten Auseinandersetzungen zwischen Eltern, die schon länger kein Paar mehr sind. Kinder, die gezielte Förderung brauchen, mussten zudem monatelang ohne pädagogische Unterstützung auskommen und auch in ihrer Freizeit viel Verzicht üben, berichtet der Gesamtstellenleiter Johannes Baumann.

Warum also sind die Beratungszahlen in Gaggenau nicht sprunghaft angestiegen? Rolf Bienwald vermutet, dass Menschen grundsätzlich versuchen, erst einmal selbst mit einer neuen Situation fertig zu werden. Außerdem könnte er sich vorstellen, dass einige das Angebot der Beratungsstelle schlicht nicht auf dem Schirm haben.

Nichtsdestotrotz kommt die Corona-Krise immer wieder bei seinen Beratungen zur Sprache. Momentan dominieren praktische Fragen, zum Beispiel wie Kinder wieder von einem hohen Medienkonsum wegkommen.

Berater lenken den Blick von Sorgen auf Chancen

Auch Belastung ist ein Thema. Gerade die Unsicherheit, wie es in den kommenden Monaten weitergeht, „ist nicht leicht auszuhalten“, sagt er. „Die Belastung ergibt sich nicht nur aus objektiven Umständen, sondern aus Ängsten.“ Ihm ist wichtig, „da wieder etwas Luft reinzubringen“ und Chancen aufzuzeigen.

Die Bedrohungslage war gefühlt nicht so dramatisch.
Tobias Merz, Pfarrer in der katholischen Seelsorgeeinheit Gaggenau

Der katholische Pfarrer Tobias Merz hat ebenfalls keine erhöhte Nachfrage nach Seelsorge wahrgenommen. „Wir hatten in Gaggenau ja keinen massiven Ausbruch, die Bedrohungslage war gefühlt nicht so dramatisch“, sagt er. Nichtsdestotrotz weiß er von Menschen, die an der Pandemie und ihren Folgen zu knabbern hatten. Dabei geht es nicht nur um familiären Organisationsstress.

Spagat zwischen Sorge und Entmündigung

Einzelne Fälle, in denen Angehörige sich nicht von Sterbenden in Pflegeheimen oder Krankenhäusern verabschieden konnten, machen ihn besonders betroffen. „Das war schlimm“, sagt er. „Das ist hart für die Angehörigen.“

Auch die Frage, ob Menschen alten Verwandten den Ausgang verbieten können, sei schwer gewesen. Wo hört Sorge auf, wo beginnt Entmündigung?

Was mir wichtig ist im Leben: Das hat man gemerkt im Lock-Down.
Nicola Friedrich, Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Gaggenau

Auf der anderen Seite kennt Merz aber auch Menschen, die die gewonnene Zeit für kreative Projekte und Hobbys genutzt haben. Die erzwungene Entschleunigung habe ihnen gut getan.

Das ist auch der evangelischen Pfarrerin Nicola Friedrich aufgefallen. „Was mir wichtig ist im Leben: Das hat man gemerkt im Lock-Down.“ Und „wie gut es uns im Vergleich zu anderen geht“.

Die evangelische Pfarrerin Nicola Friedrich hat während der Isolation viele Gemeindemitglieder in Gaggenau angerufen. Doch „die meisten, besten Gespräche entstehen zwischen Tür und Angel“, betont sie.
Die evangelische Pfarrerin Nicola Friedrich hat während der Isolation viele Gemeindemitglieder in Gaggenau angerufen. Doch „die meisten, besten Gespräche entstehen zwischen Tür und Angel“, betont sie. Foto: Christiane Widmann

Einsamkeit in der Isolations-Zeit

Doch auch das Thema Einsamkeit hat sie beschäftigt. Gerade ältere Gaggenauer vermissten Familienbesuche und den Plausch nach dem Gottesdienst, sagt sie. „Da haben sie schon drunter gelitten.“

Auch jungen Menschen fehlte der Kontakt: Mütter vermissten Treffen mit anderen Eltern, Jugendliche langweilten sich. „Durch die Lockerungen ist schon viel Druck raus.“

Nur wenige sind gezielt auf die Seelsorgerin zugekommen, um über ihre Gefühle und Sorgen zu sprechen. „Selbst aktiv zu werden, war eine zu hohe Schwelle“, vermutet Nicola Friedrich. Sie beobachtet immer wieder „eine Hemmung, sich jemandem zuzumuten“.

Sie und ihr Mann Hartmut Friedrich haben deshalb nicht nur auf Begegnungen zwischen Tür und Angel oder Anrufe von außen gesetzt, sondern haben selbst zum Hörer gegriffen.

Das Wesentliche war, wahrgenommen zu werden.
Nicola Friedrich, evangelische Pfarrerin

Das Ottenauer Pfarrerspaar hat von den Kirchenältesten eine Liste mit Vorschlägen bekommen, wer sich über einen Anruf freuen könnte, und sie systematisch abtelefoniert.

Das kam gut an, sagt Friedrich. „Das Wesentliche war, glaube ich, wahrgenommen zu werden und reden zu können. Ein Stück: Ich gehöre dazu.“

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