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Betriebsrat im Interview

Daimler in Gaggenau 2020: Vorstandsvorsitzender kommt und Mitarbeiterprämie kann weiter fallen

Michael Brecht (54), Betriebsratschef im Benz-Werk Gaggenau und Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Daimler, geht davon aus, dass die aktuelle Mitarbeiterzahl am Standort Gaggenau auch in den nächsten Jahren Bestand haben wird. Allerdings: Mit Blick auf die hohen Kosten, die unter anderem der Anlauf in die Elektromobilität verursacht, sei die aktuelle Situation im Konzern „wirklich schwierig“, sagt Brecht im BNN-Interview.

Betriebsrat Michael Brecht am Schreibtisch in Gaggenau
Ein Freund deutlicher Worte: Michael Brecht, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Daimler und Betriebsratschef in Gaggenau, will möglichst viele Arbeitsplätze erhalten. Foto: Thomas Dorscheid

Michael Brecht (54), Betriebsratschef im Benz-Werk Gaggenau und Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Daimler, geht davon aus, dass die aktuelle Mitarbeiterzahl am Standort Gaggenau auch in den nächsten Jahren Bestand haben wird.

Allerdings: Mit Blick auf die hohen Kosten, die unter anderem der Anlauf in die Elektromobilität verursacht, sei die aktuelle Situation im Konzern „wirklich schwierig“. Brecht geht im Interview mit BNN-Redakteur Thomas Dorscheid auf den Produktivitätsdruck bei den Angestellten, auf das anlaufende Sparprogramm und die anstehende Tarifrunde ein.

Schlägt jetzt in einer Phase, in der die Transformation und eine konjunkturelle Abkühlung im Automobilbau zusammenfallen, die Stunde der vor Jahren vereinbarten Murgtalstrategie des Werkes Gaggenau, die den Standort in seiner Produktpalette relativ breit aufstellt?

Brecht: Ja und nein, die Murgtalstrategie ist eine längerfristige Geschichte. Wir hatten bereits erste Erfolgsmomente wie die Erweiterung des Presswerks Kuppenheim oder die neue Flächennutzung für den Rohbau im Werkteil Rastatt nach dem Wegfall des Transporterschaltgetriebes.

In Gaggenau haben wir den Abriss und Neubau von Bau 50 für das Klappenteilegeschäft. Dies alles sind erste große Veränderungen für die Zukunft. Wir haben zwischenzeitlich 1.200 Beschäftigte im Presswerk und beim Rohbau, das ist eine ordentliche Größe unabhängig von den Antriebstechnologien. Andere Themen haben einen weit längeren Zeitrahmen, etwa 2023 bis 2025.

So gibt es weitere Gespräche zum Ausbau des Presswerks und ich bin überzeugt, dass wir bald auch verkünden können, in das Ersatzteilegeschäft von Batterien einzusteigen. Das sind alles Themen der Murgtalstrategie. Aktuell kämpfen wir zwar mit einem konjunkturellen Produktionsrückgang im Nutzfahrzeugbereich, aber solche strategischen Fragen sind unabhängig vom Tagesgeschäft.

Aktuell zählt das Werk Gaggenau samt den Werkteilen Rastatt und Kuppenheim rund 6.600 Mitarbeiter. Ihre Prognose: Wie viele werden es in fünf Jahren sein?

Brecht: Das abzuschätzen, ist schwierig. Eine interne Betriebsratsstrategie ging schon vor Jahren von einem Zielkorridor zwischen 6.500 und 7.000 Mitarbeitern aus. Ich gehe weiterhin davon aus, dass eine Zahl um die 6.500 haltbar ist, aber Garantien kann keiner geben.

Klar sein muss auch: Jede neue Investition bringt Produktivitätsfortschritte – zwar gut für den Standort, aber sie laufen zunächst gegen die Belegschaft. Wir haben seit Jahren den größten Produktivitätsdruck bei den Angestellten und in den indirekten Bereichen (das sind Bereiche außerhalb der unmittelbaren Produktion wie etwa die Instandhaltung oder Logistik, Anmerkung der Redaktion), und dort soll es weitere Optimierungen geben. Aber bevor man über die Arbeitsplätze redet, muss man über die richtigen Investitionen reden. Man muss das Ganze vom Produkt her denken.

Das vom Daimler-Vorstand vorgegebene milliardenschwere Sparprogramm kann zwar nicht in die Beschäftigungssicherung bis 2029 eingreifen, es wird aber ab 2020 durch die Instrumente Fluktuation, Altersteilzeit und Abfindungen zu einem größeren Personalabbau im Nicht-Produktionsbereich führen. Auch im Werk Gaggenau – gibt es schon Zahlen?

Brecht: Die Zahl der Angestellten und der Mitarbeiter im indirekten Bereich beträgt in Gaggenau rund 3.000. Natürlich wird es hier auch Effekte geben. Man sagt uns, dass der Wettbewerb es hinbekommen würde, mit weniger Fixkosten seine Geschäfte zu machen. Weil Kunden nicht bereit sind, für das in der Herstellung teure Elektrofahrzeug mehr zu bezahlen, kommt unser Geschäftsmodell unter Druck, da brauchen wir gar nicht drum herum zu reden.

Deshalb kommt vom Vorstand großer Druck, die Fixkosten zu senken, die variablen Kosten in der Produktion sind ja nicht betroffen. Das Ziel der Vereinbarung sieht eine deutliche Senkung in drei Jahren vor. Wenn die Zahl der Führungskräfte reduziert werden soll, dann geht das vom Direktor runter bis zur Teamleiterebene. Als Gesamtbetriebsrat reden wir aber nicht über Köpfe, wir müssen vielmehr Abläufe verändern. Es kann ja nicht sein, dass in einer Abteilung durch die Anpassungsinstrumente fünf Leute weg sind und der Rest alles wie bisher machen muss. Die Zahlen, die Ola Källenius genannt hat, haben wir als Betriebsrat nie bestätigt, aber wir sehen, dass die Situation wirklich schwierig ist.

Die entgeltwirksame Absenkung der Wochenarbeitszeit ist auch Teil des Daimler-Sparprogramms. Gibt es in Gaggenau eine größere Zahl an Beschäftigten, die 40 statt der tariflichen 35 Stunden arbeiten?

Brecht: Ganz wenige, in dieser Hinsicht ist beim Programm Stream vor rund drei Jahren schon einiges passiert. Jetzt sind in dieser Hinsicht kaum noch Effekte zu erzielen. Gaggenau hat in puncto Anzahl der Beschäftigten mit erhöhter Arbeitszeit eine der niedrigsten Quoten im Konzern. Bei uns sind es rund sieben Prozent der Belegschaft, im Regelfall Führungskräfte, der Tarifvertrag lässt bis zu 18 Prozent zu. Aber wir haben jetzt nicht eine Krisensituation wie 2008/2009, wo Aufträge quasi über Nacht weggebrochen sind. Wir haben ein strukturelles Problem, das anders gelöst werden muss.

Auch bei Daimler wird es ab 2020, wie schon bei BMW beschlossen, ein spürbares Absinken der jährlichen Erfolgsbeteiligung geben – richtig?

Brecht: BMW hat einen richtigen Eingriff in die Betriebsvereinbarung gemacht und hat die Höhe der Erfolgsbeteiligung für die Zukunft gedeckelt. Bei BMW ist die Höhe zudem an das Gehalt gekoppelt, bei uns bekommen alle, egal an welcher Stelle sie arbeiten, dieselbe Summe. Und dieses System bleibt auch. Was natürlich Auswirkungen hat: Wenn das Ergebnis geringer ausfällt, wird die Erfolgsbeteiligung nicht hochgehen können. Es muss akzeptiert werden, dass sie schwankt. Wie hoch sie sein wird, kann heute noch nicht gesagt werden. Sie wird aus zwei Tabellenwerten abgeleitet: Dem wirtschaftlichen Ergebnis und der Umsatzrendite. Die letzte Erfolgsbeteiligung betrug 4.950 Euro, ausbezahlt im April 2019 für das Jahr 2018. Viele andere Betriebe wären froh, sie hätten überhaupt eine Erfolgsbeteiligung.

Der aktuelle Tarifvertrag in der Branche läuft Ende März 2020 aus. Der Verband der Automobilindustrie hat bereits angedeutet, dass die Zeiten spürbarer Lohnerhöhungen vorbei sind. Beim Stichwort „Verzicht auf Lohnzuwachs“ reagieren IG Metall und Betriebsrat wohl allergisch…

Brecht: Ja, das ist so. Dass der Verband der Automobilindustrie jetzt schon aktiv ist, liegt auf der Hand. Die Situation kann so gut sein, wie sie will, für den Verband ist sie immer schlecht. Eines kann ich jetzt schon sagen: Es wird eine Forderung geben, das ist unstrittig. Natürlich keine wie in den Jahren, als in den Betrieben quasi rund um die Uhr gearbeitet wurde. Die Forderung ergibt sich aus den Faktoren Inflation, Produktivität und Gewinne/Umverteilungsfaktor. Alle drei Faktoren sind gegeben, wir werden das sorgfältig diskutieren, was man erreichen kann. Aber wir schauen nicht nur aufs Geld, wir werden auch die betriebliche Altersversorgung stärker in den Fokus nehmen, sie ist aus Gewerkschaftssicht sehr wichtig.

Der Autoexperte Stefan Bratzel vom Forschungsinstitut Center of Automotive Management hat der Firma Daimler vorgeworfen, die Weichen zu spät in Richtung E-Mobilität gestellt zu haben. Hat er damit recht?

Brecht: Ja und nein. Man muss sehen: Wenn heute strategische Entscheidungen getroffen werden, wirken sie erst in einigen Jahren. Annahme war, dass die Elektromobilität wohl erst später anläuft. Richtig aufgewacht ist man, als Tesla sein Modell 3 angekündigt hat. Aber man muss auch fragen: Wären wir erfolgreicher, hätten wir früher angefangen? Denn die Kunden sind nicht bereit, mehr Geld für die Elektromobilität auszugeben. Und es gehört auch dazu, mehr als nur ein Elektroauto anzubieten – das gesamte System muss sich entwickeln, siehe die Ladestationen oder der Abbau bürokratischer Hürden. 2021/2022 wird es sehr viele Angebote von E-Fahrzeugen geben. Aber auch Hybride mit ihrer höheren Reichweite sind wichtig.

Wie läuft es eigentlich atmosphärisch zwischen dem Gesamtbetriebsrat und dem neuen Daimler-Chef Ola Källenius im Vergleich zu Dieter Zetsche zuvor?

Brecht: Es sind zwei unterschiedliche Typen. Ola Källenius ist menschennah, wie auch Dieter Zetsche. Es läuft atmosphärisch gut, wir kommen gut miteinander zurecht, der Kontakt ist sehr intensiv. Die Atmosphäre war zu der Zeit, in der wir das Anpassungsprogramm verhandelt haben, etwas eisiger – weil aus unserer Sicht unnötige weitere Forderungen aufgenommen wurden, die nicht vereinbart waren und die unnötigerweise die Belegschaft emotionalisiert haben. Aber jetzt haben wir eine gemeinsame Lösung und sind, wie ich es nennen möchte, auf einer guten gemeinsamen Entwicklungsreise. In diesem Jahr wird er auch nach Gaggenau zu einer Betriebsversammlung kommen. Ich denke, mit ihm ist eine faire Debatte möglich.

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