Die Toten vom Gaggenauer Erlichwald sind nicht tot. Wirklich tot, sagt ein jüdisches Wort, ist nur der, an den sich niemand mehr erinnert. An die 27 Menschen, die die Lagerpolizei des Sicherungslagers Rotenfels Ende 1944 erschossen hat, erinnert bereits seit 1947 ein Denkmal mit der Inschrift: „Hier wurden im Jahre 1944 26 Männer und eine Frau ermordet, die für Freiheit, Demokratie und Frieden gekämpft haben. Besucher, gedenke Ihrer!“ Jetzt hat es in einer würdigen Gedenkfeier eine bedeutende Erweiterung erfahren. Eine Tafel nennt die Namen und zeigt die Gesichter.
Auch die Würde sollte genommen werden
Welche Bedeutung das hat, machte im Bürgersaal des Rathauses der evangelische Pfarrer i. R. Hartmut Friedrich deutlich. „Der Name gehört zur Würde des Menschen“, sagte er. Die SS-Mörder hätten ihren Opfern auch die Würde nehmen wollen, sie in Bombenkratern verscharrt. „Diesen zweiten Tod, diesen Versuch, die Opfer in das ewige Vergessen zu stoßen, den können wir rückgängig machen.“ Die neue Gedenktafel entreiße die Ermordeten der Namenlosigkeit: „Wir geben ihnen ihre Würde zurück. Niemand kann und soll die Erinnerung an sie zunichtemachen.“
Auch Bürgermeister Michael Pfeiffer betonte dies: „Wir geben diesen Menschen einen Namen und ein Gesicht“. Das Erinnern an Menschen, die ihr Leben für eine andere, eine bessere und freie Welt ließen, sei auch eine Aufforderung, „tagtäglich den Weg des Friedens zu gehen“.
Gaggenauer Gefangene sollten spurlos verschwinden
Mireille Hincker, Ehrendelegierte des Vereins Souvenir francais, erläuterte das Geschehen in jenem Kriegsjahr 1944. Nach der Landung der alliierten Truppen in der Normandie habe auch bei Gefangenen die Hoffnung gekeimt. Doch sie sei angesichts der weiteren Radikalisierung des Nazi-Regimes wieder erloschen.
NN: Dieser Gefangenen-Kategorie gehörten die Gaggenauer Gefangenen an. Das hieß: Sie sollten spurlos verschwinden. Auf das Vorrücken der Alliierten reagierte das Regime auch mit der Verlegung der Häftlinge aus dem Konzentrationslager Natzweiler-Struthof und das Sicherungslager Schirmeck-Vorbrück an andere Orte. Einer davon war das Sicherungslager in Rotenfels.
Der Befehl, alle NN-Gefangene umzubringen, führte auch zur „Blutwoche des Schwarzwalds“. Sie begann am 23. November 1944 in Kehl und endete am 1. Dezember 1944 in Gaggenau. An drei Tagen starben hier vier amerikanische Soldaten, neun britische Soldaten, vier Widerstandskämpfer aus den Vogesen, neun Mitglieder des Netzwerks „Réseau Alliance“ sowie drei unbekannte Männer und eine Frau. Bei der Verlesung ihrer Namen stellten Schülerinnen und Schüler Bilder der Opfer auf legten weiße Rosen davor.
„Wir haben nicht das Recht, sie zu vergessen“, sagte Hincker. Sie erwähnte auch die Bombardierungen Gaggenaus mit 205 Toten. „Versöhnung könne dann entstehen, „wenn Männer und Frauen es wollen und sich erheben, um sie voranzubringen“. Schüler des Gaggenauer Goethe-Gymnasiums thematisierten die französisch-deutsche Freundschaft. Menschenrechte, Frieden und Völkerfreundschaft seien nicht selbstverständlich, sondern müssten immer wieder erkämpft und verteidigt werden.
Kranzniederlegungen im Erlichwald
Ludovic Joriot, dessen Vorfahr 23-jährig erschossen wurde, dankte für die Erinnerung an die „Helden des Widerstands“. Sie hätten mit ihrem Leben für das bezahlt, „was am Anfang aller Werte steht: Freiheit“. Die Gedenkstätte im Erlichwald sei „für uns und unsere Kinder ein Ort, an den wir zurückkehren können, um eines Verwandten zu gedenken“. Die Fotos regten kommende Generationen zu Fragen an und legten, „so hoffen wir, ein dauerhaftes Zeugnis ab für das, was sich nie wiederholen darf“.
Direkt beim Denkmal, nahe dem Waldfriedhof, enthüllte Michael Pfeiffer gemeinsam mit Guy Caraes von „Réseau Alliance“ die neue Gedenktafel. Fünf Kranzniederlegungen folgten, ehe sich die Fahnen von Souvenir francais senkten und Alfred Hess ehrende Trompetensignale aus Frankreich, Großbritannien und den USA spielte. Der letzte Ton verhallte, Stille legte sich über den Erlichwald. Nur die Vögel sangen.