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Youtube-Kanal in Corona-Zeiten

Digitales Lernen: Gaggenauer Schulleiter dreht in seinem Keller Lehrvideos für Schüler

Der Gaggenauer Schulleiter Rudolf Retzler dreht in seinem Keller Lehrvideos für Schüler. Auf seinem Youtube-Kanal können sie unter Anleitung Unterrichtsstoff nachholen und Aufgaben lösen. Retzler spricht sich für eine staatliche Online-Schule aus, die den regulären Schulbetrieb ergänzt. Durch die Corona-Pandemie ist seine Vision hochaktuell.

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Rudolf Retzler und Hündin Chelsea im Keller-Klassenzimmer. Foto: Körner

Wenn die Schüler nicht zur Schule können, kann die Schule doch zumindest zu ihnen - via Internet. Der Gaggenauer Schulleiter Rudolf Retzler dreht daher in Zeiten des Coronavirus Unterrichtsvideos in seinem Keller - und verfilmt dabei ganze Mathebücher.

Wenn Rudolf Retzler vor der Kamera sitzt, ist Hündin Chelsea nicht weit. Während Herrchen Erstklässlern Mathematik erklärt, frisst der Vierbeiner Würstchen aus einer Schale. Chelsea trägt bei Dreharbeiten den Künstlernamen Max, spielt aber nur eine Nebenrolle.

Der Hauptdarsteller ist Rudolf Retzler. Im Keller seines Hauses nimmt der Gaggenauer Schulleiter Youtube-Lehrvideos für Schüler auf. Seine Vision einer Online-Schule erfährt durch die Corona-Pandemie eine große Aktualität.

Idee entstand schon in der Flüchtlingskrise

„Wir könnten unseren Schülern jetzt über das Netz Lerninhalte vermitteln“, sagt Retzler, „aber leider sind die Schulen noch nicht so weit.“ Seit eineinhalb Jahren dreht der Leiter der Hans-Thoma-Schule in Gaggenau Lehrvideos im Keller seines Rastatter Hauses.

Mittlerweile hat er 200 Buchseiten aufgenommen. Unter Anleitung können Schüler auf seinem Youtube-Kanal Aufgaben lösen und Rechenwege nachvollziehen. Hinter der Kamera: Retzlers Frau. Der 52-Jährige dreht sechs Stunden in der Woche.

Die Idee dazu kam ihm durch die Flüchtlingskrise: „Ich hatte Schüler, die dem Unterricht sprachlich nicht folgen konnten“, sagt Retzler. „Sie können den verpassten Stoff online nachholen.“

Auch Schüler, die lange krank waren, könnten so wieder den Anschluss herstellen. Seite für Seite, Aufgabe für Aufgabe, arbeitet sich Retzler durch das Arbeitsbuch der Klasse 1.

Retzler ist Fan des Digital-Unterrichts

In seinem Kellerklassenzimmer steht ein Schreibtisch, an der Wand hängt eine Tafel. Scheinwerfer, Kameras und ein Mikrofon verwandeln den Raum in ein kleines Filmstudio.

Indes: Retzler denkt weiter als bis zur Kellertür. Er will den Impuls für eine staatliche Online-Schule geben.

„Sie würde in der aktuellen Situation sehr helfen“, sagt Retzler mit Blick auf die Schulschließungen wegen der Corona-Pandemie. Man könne den Kindern eine bestimmte Seitenzahl vorgeben, die sie bearbeiten müssen.

Erstes Mathebuch verfilmt

Die Vision des engagierten Pädagogen ist eine zentrale Landesschule, an der Lehrer hauptberuflich Videos für mehrere Fächer und Klassenstufen aufzeichnen.

Er selbst kann diese Aufgabe nicht alleine stemmen. Bislang hat er gerade mal eines von mehreren Mathebüchern für Erstklässler verfilmt.

Ich will kein Nestbeschmutzer sein. Wir haben eines der besten Bildungssystem der Welt.
Rudolf Retzler sieht seine Lehrvideos als Ergänzung zum regulären Schulbetrieb.

Retzler, seit 25 Jahren Lehrer, versteht seine Videos ausdrücklich als kostenlose Nachhilfe – und damit als Ergänzung zum Schulbetrieb. „Ich will kein Nestbeschmutzer sein“, betont er und fügt an: „Wir haben eines der besten Bildungssysteme der Welt.“

Angst, dass Schüler seine Videos zum Abschreiben missbrauchen, hat Rudolf Retzler übrigens nicht: „Die guten haben das überhaupt nicht nötig. Und die schlechten beschäftigen sich so immerhin mit den Aufgaben, die sie sonst komplett ignorieren würden.“

Schwierige Absprache mit dem Verlag

Die Vorbereitung auf sein Projekt dauerte mehrere Monate. Nur ein Verlag sagte zu, die anderen winkten ab. „Die Zusammenarbeit ist nicht einfach“, erklärt Retzler, „da geht es auch um das Urheberrecht für die Bilder in den Büchern.“

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Leere Klassenzimmer: Die Schulen in Deutschland sind wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Foto: Güttler

Das Schulamt habe ihm die Erlaubnis erteilt – unter einer Bedingung: Er dürfe nicht in seiner Eigenschaft als Schulleiter für seine Videos werben. „Daran halte ich mich“, beteuert Retzler. Im Unterricht spreche er seinen Youtube-Kanal nicht an.

Wenige Abonnenten trotz Corona-Homeschooling auf Youtube-Kanal

Vor seine Erklärfilme schaltet er keine Werbung. Laut eigener Aussage verdient er an seinen Videos nichts. Im Gegenteil. „Für die technische Ausstattung zahle ich drauf“, sagt er.

Retzler geht es um die Sache. Und dafür braucht er mitunter eine große Frustrationstoleranz. Bislang hat sein Kanal gerade einmal 18 Abonnenten: „Katzenvideos und Influencer werden häufiger geklickt.“

Kultusministerium begrüßt Lehrvideos

Im baden-württembergischen Kultusministerium sieht man Retzlers Vorstoß durchaus positiv. „Die Videos können eine sinnvolle Ergänzung zum Unterricht sein“, teilt Pressesprecher Fabian Schmidt auf BNN-Anfrage mit.  Davon profitierten gerade Kinder mit Sprachdefiziten. Sie könnten den Schulstoff in Ruhe zu Hause wiederholen.

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Das digitale Lernen soll die Auswirkungen der Schulschließungen abfedern. Foto: Murat

Eine reine Online-Schule hält man in Stuttgart dagegen nicht für ideal: „Studien zeigen, dass das gemeinsame Lernen und Arbeiten im Unterricht für die Wissensvermittlung sehr wertvoll ist.“

Ministerium sieht Verlage in der Verantwortung

Auch Retzlers Idee, Lehrer hauptamtlich zur Aufnahme der Erklärvideos anzustellen, erteilt das Ministerium eine Absage: „Aus unserer Sicht müsste das individuell an den Schulen organisiert werden“, so Schmidt.  Beispielsweise könne man einen Lehrer damit zu betrauen, Unterrichtsinhalte online aufbereiten.

Allerdings sehe man diese Aufgabe ohnehin eher bei den Schulbuch-Verlagen. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie das Angebot künftig zur Verfügung stellen“, sagt Schmidt. Man müsse aber „zuerst abwarten, wohin die Entwicklung beim digitalen Lernen geht.“

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