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BNN-Serie zur Pflege IV

Experte aus Gaggenau: Das Pflege-System läuft ohne Anpassung gegen die Wand

Die Bewohner in Pflegeheimen müssen immer höhere Eigenanteile zahlen. Dabei gehen steigende Kosten in den Einrichtungen einseitig zu Lasten der Bewohner. Peter Koch, Vorsitzender des Pflegebündnisses Mittelbaden, spricht sich für eine Neuordnung des Systems aus.

Der Geschäftsführer der Gaggenauer Altenhilfe, Peter Koch, warnt davor, dass das derzeitige System der Pflegefinanzierung gegen die Wand läuft und spricht sich für eine grundlegende Reform aus.
Der Geschäftsführer der Gaggenauer Altenhilfe, Peter Koch, warnt davor, dass das derzeitige System der Pflegefinanzierung gegen die Wand läuft und spricht sich für eine grundlegende Reform aus. Foto: Dorscheid

Die Bewohner in Pflegeheimen müssen immer höhere Eigenanteile zahlen. Dabei gehen steigende Kosten in den Einrichtungen, beispielsweise wegen höherer Entgelte für die Pflegekräfte, einseitig zu Lasten der Bewohner; der Anteil der Pflegekasse bleibt , unabhängig von der Kostenentwicklung, konstant.

Im Gespräch mit BNN-Redakteur Thomas Dorscheid erläutert Peter Koch, Geschäftsführer der Gaggenauer Altenhilfe und Vorsitzender des Pflegebündnisses Mittelbaden, die einzelnen „Kostentreiber“ in den Heimen. Er spricht sich für eine konzeptionelle wie finanzielle Neuordnung des Systems aus.

Die Personalkosten dürften der größte Faktor in den Pflegeeinrichtungen ein...

Peter Koch: Das ist richtig. Mit Blick auf die Pflegesatzverhandlungen reden wir von rund 80 Prozent Personal- und 20 Prozent Sachkosten. Bei der Pflege handelt es sich eben um eine personalintensive Dienstleistung. Die hohe Tarifbindung der Häuser in Baden-Württemberg wirkt sich ebenso stark aus wie tarifliche Verbesserungen. Auch die Gaggenauer Altenhilfe zahlt nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes.

In vielen Heimen in Ostdeutschland erhalten die Pfleger deutlich weniger Lohn. Aber auch viele private Heimbetreiber zahlen unter Tarif. Zudem ist der Personalschlüssel wichtig; grundsätzlich gilt: Je mehr Pflegekräfte man in Relation zu den Bewohnern hat, desto besser ist die Versorgung, aber desto höher sind auch die Kosten. Bei der Versorgung der Bewohner im Helmut-Dahringer-Haus mit Pflegekräften liegen wir im oberen Drittel in Baden-Württemberg.

Sie ist ein Dauerthema in der politischen Diskussion: Die Pflege hat viele Facetten. Pflegekräfte kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, die Einrichtungen um ihre Wirtschaftlichkeit. Zu Pflegende und ihre Angehörigen müssen hohe Kosten schultern. Die BNN gehen in einer Serie auf verschiedene Aspekte des Themas Pflege ein.

Die Gaggenauer Altenhilfe hat das Dahringer-Haus komplett umgebaut und mit der Schaffung von Einzelzimmern in der Pflege die Landesheimbauverordnung umgesetzt. Dafür musste der Altenhilfeverein enorme Kosten schultern …

Ein weiterer Kostentreiber, ja. Auch uns hat die enorme Steigerung der Baukosten getroffen. Und doch haben wir beim Investitionskostensatz darauf geschaut, dass er für die Bewohner noch tragbar ist. Der Hintergrund ist doch: Im Jahr 2009 ist das Land Baden-Württemberg komplett aus der Investitionskostenförderung der Pflegeheime, die es in anderen Bundesländern teilweise noch gibt, ausgestiegen; das heißt, uns bleibt gar nichts anderes übrig, als die Kosten auf unsere Kunden umzulegen.

Stark ansteigende Eigenanteile haben dazu geführt, dass rund ein Viertel unserer Pflegeheimbewohner nunmehr Sozialhilfe benötigt – das ist übrigens dieselbe Zahl wie vor Einführung der Pflegeversicherung. Und die Tendenz ist steigend.

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Inwiefern haben die zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Verbesserungen für Pflege-Azubis die Kosten erneut ansteigen lassen?

Unter Gesundheitsminister Spahn hat sich bei der Reform der Pflegeberufe schon einiges getan, die einheitliche Pflegeausbildung gehört dazu. Die Entgelte für die Azubis und die Kosten der Ausbildung werden seit Jahresbeginn über einen neuen Fonds und eine Ausbildungsumlage finanziert.

Während in den Krankenhäusern diese Leistungen von den Krankenkassen erbracht werden, werden in den Heimen diese Kosten auf die Bewohner umgelegt. Diese Ungleichheit ist unverständlich und kaum vermittelbar. Wir reden über weitere 34 Euro Mehrkosten für jeden Bewohner jeden Monat.

Wir sind bei den Zahlen. Was verdient denn überhaupt ein Pflege-Azubi nach dem Tarifvertrag und was eine ausgebildete Pflegekraft?

Bei uns verdient ein Azubi im ersten Ausbildungsjahr 1.140 Euro brutto, dies steigt an auf 1.303 Euro im dritten Jahr. Das Einstiegsgehalt für eine Pflegefachkraft beträgt mit Zulagen, etwa für die Wochenenddienste, rund 3.000 Euro brutto und wächst nach Dienstaltersstufen an.

Auch die eigene Immobilie muss gegebenenfalls verwertet werden
Peter Koch, Geschäftsführer der Altenhilfe

Wie ist die rechtliche Situation: Muss ein Pflegeheimbewohner sein komplettes Einkommen für den Heimplatz einbringen?

Sein Einkommen, meist die Rente, und seine Ersparnisse, bis auf einen Freibetrag. Reicht das nicht aus, muss ein Antrag beim Sozialamt gestellt werden, das Amt prüft die Eigentumsverhältnisse sehr genau.

Auch die eigene Immobilie muss gegebenenfalls verwertet werden. Dies gilt nicht, wenn der Ehepartner weiterhin in der Wohnung lebt; aber das Sozialamt prüft in diesen Fällen die Zumutbarkeit, ob ein abgetrennter Wohnungsteil vermietet werden kann.

Wird Vermögen übertragen, etwa an die Kinder, so kann dies bis zu zehn Jahre zurückgefordert werden. Wir haben viele Gespräche mit Menschen, die nicht wissen, wie sie mit ihrer schlanken Rente auskommen sollen.

Wir müssen also über eine Systemanpassung reden. Oder das System läuft gegen die Wand
Peter Koch, Geschäftsführer der Altenhilfe

Fakt ist, dass die Eigenanteile für die Heimbewohner ständig steigen und kein Ende abzusehen ist. Wie lautet Ihr Lösungsvorschlag?

Wir müssen uns gesamtgesellschaftlich grundlegende Gedanken darüber machen, was uns die Pflege wert ist. Die Gaggenauer Altenhilfe unterstützt zu 100 Prozent das Reformgutachten der Initiative Pro Pflegereform.

Das heißt: Wenn aktuell der Sockel die Versicherungsleistung der Pflegekasse ist und die Spitze sind die Eigenanteile der Bewohner, dann strebt das Reformgutachten einen Sockel-Spitze-Tausch an. Das bedeutet, dass künftig mit den Pflegeaufwendungen der größte finanzielle Brocken für die Bewohner gedeckelt wird, also konstant bleibt, und nur die Unterbringungsleistung jährliche geringe Steigerungen mit sich bringen wird. Damit würden die Bewohner entlastet und im Gegenzug die Zahlungen der Pflegekassen ansteigen.

Dann reden wir von einer Beitragssteigerung von rund einem Prozentpunkt. Ohnehin werden die Beitragssätze steigen müssen, wenn für die geburtenstarken Jahrgänge mehr Pflegeleistungen erbracht werden müssen. Wir müssen also über eine Systemanpassung reden. Oder das System läuft gegen die Wand.

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