
Der Kirchturm von Sankt Laurentius ist schon gut zu erkennen. Im wahrsten Wortsinne malerisch überragt er die Baumwipfel, an die Sergej gerade Hand anlegt: Mit einem feinen Pinsel tüpfelt er Lichtreflexe in die grüne Masse. Am Ende ist der Kirchturm eins von vielen Motiven. Sie zieren künftig die Unterführung, die Bad Rotenfels mit seinem Schloss verbindet.
Seit gut einer Woche sind hier Schüler der Realschule Gaggenau am Werk. Noch bis zum 9. Juli haben sie Zeit, um ihre Motive fertigzustellen. Danach übernimmt das Goethe-Gymnasium und gestaltet die gegenüberliegende Seite des Rad- und Fußgängertunnels unter der B462.

Brücken, Tunnel und Unterführungen sind immer wieder Hotspots für Schmierereien. Auch in Gaggenau. „Häufig und vor allem wild beschmiert“, so schildert die Stadt Gaggenau die Situation. „Die Unterführungen werden schon allein, weil sie oftmals den schnellsten und einfachsten Weg bieten, dennoch genutzt“, erklärt die städtische Pressestelle. „Egal, ob sie verschmiert sind oder nicht.“ Beschwerden habe es aber immer wieder gegeben – wahlweise wegen des Inhalts oder der „Sinnlosigkeit“.
Gaggenauer Realschüler malen im Polaroid-Stil
Bisher hat die Stadt vor allem politische Parolen und Symbole beseitigt und auch Schmierereien auf Verkehrsschildern. „Ansonsten wird es gerade bei Brücken und Unterführungen belassen“, heißt es aus der Pressestelle.
Das soll sich jetzt aber ändern: Das Projekt, an dem auch der 15-jährige Sergej mitmacht, könnte der Auftakt sein für eine ganze Reihe Verschönerungen nach dem Motto „Kunst gegen Graffiti“. „Wir wollen erst einmal Erfahrungen sammeln“, heißt es von der Stadt.
Ich habe direkt zugesagt.Ellen Fischer
Kunstlehrerin an der Realschule Gaggenau
Den Auftakt bildet nun also die Unterführung bei Schloss Rotenfels. Ellen Fischer ist Kunstlehrerin an der Realschule und war gleich Feuer und Flamme, als die Anfrage kam. „Ich habe direkt zugesagt“, erzählt sie lachend und zeigt auf die Wand, an der gerade rund 20 Schüler aus den Klassen acht und zehn arbeiten. Auch ihre eigene sechste Klasse ist mit von der Partie.
Probleme, Interessierte zu finden, gab es keine. Ganz im Gegenteil. „Am Anfang standen wir hier mit 40 Leuten und niemand hatte Platz zum Malen“, sagt Fischer. Deshalb verteilen sich die Schüler jetzt in Gruppen über den Vormittag hinweg.
Vorgaben von der Stadt gab es laut Fischer nur wenige: Helle Farben sollten es sein, gemalt und nicht gesprüht – und wenn möglich, dann mit einem Bezug zu Gaggenau.
Vor allem die Murg ist ein beliebtes Motiv – und Tiere
Am Ende werden es 32 Motive im Polaroid-Stil sein: Viele zeigen die Murg, Brücken oder auch Fahrzeuge. Andere haben die Realschule ausgewählt. Oft sind Tiere zu sehen, die an der Naturparkschule gehalten werden. „Auf diese Weise konnte ich möglichst viele Schüler gleichzeitig malen lassen.“

Hanna und Antonia haben sich einen roten Traktor als Motiv ausgesucht. „Ich musste da sofort an diese Kinderserie von früher denken“, sagt Hanna. Und Antonia ergänzt: „An unserer Schule gibt es außerdem einen Lehrer, der immer mit so einem Traktor herumfährt und die Schafe versorgt.“
Zweimal waren die beiden jetzt schon vor Ort, um ihr „Polaroid“ zu malen. Bis sie am Ende ihre Namen auf den weißen Rand gesetzt haben, werden wohl zehn Arbeitsstunden in das Bild geflossen sein.
An unserer Schule gibt es einen Lehrer, der immer mit einem Traktor die Schafe füttert.Antonia
erklärt, warum sie als Motiv einen roten Traktor gewählt hat
Ein Stück weiter stehen drei Mädchen auf Leitern und Stühlen und hantieren mit einem Lineal. „Die Linien müssen gerade werden“, sagt Lena und grinst verlegen. „Manche sind ein bisschen krumm geworden.“
Mit ihren Freundinnen Kim und Larissa hat sie sich ein eigenes Motiv ausgedacht: Eine Hand hält ein Handy, auf dem die Realschule zu sehen ist. Die Linien des Fotos gehen nahtlos in die Linien der echten Schule im Hintergrund über. Zumindest meistens ...
Bis zum 9. Juli haben Ellen Fischer und ihre Schüler noch Zeit, ihre Motive fertigzustellen. Den hinteren Teil Richtung Murg will Fischer im neuen Schuljahr angehen. Am 10. Juli startet dann das Goethe-Gymnasium auf der anderen Seite der Unterführung. Damit der Tunnel nicht komplett gesperrt werden muss, ist paralleles Arbeiten nicht möglich.
Goethe-Schüler starten am 10. Juli mit der Graffiti-Aktion
Während die Realschüler über gut zwei Wochen verteilt an ihren Kunstwerken arbeiten, wollen die zehnten Klassen des „Goethe“ in zwei Tagen fertig werden. Und auch die Motive werden sich deutlich voneinander unterscheiden, wie Kunstlehrerin Franziska Döser erklärt.
„Als Idee greifen wir die Holzspuren der Schalung, die auf der Betonoberfläche sichtbar sind, auf und verwandeln sie in einen Zaun“, verrät Döser. Über den werden Personen klettern, springen, sich an ihn lehnen oder sich dahinter verstecken.
„Unsere Schüler dürfen dafür selbst Modell stehen“, freut sich Döser. Aus ihren Fotos werden Schablonen entwickelt – sogenannte Stencils, mit denen auch der berühmte Streetart-Künstler Banksy arbeitet, um dann die Menschen an die Wand zu kriegen.