Die deutschen Hockey-Asse sind zuverlässige Medaillen-Lieferanten bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Zu Beginn des Jahres begeisterte die Herren-Nationalmannschaft in Indien und wurde zum dritten Mal Weltmeister. Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte dem Team zu dem dramatischen 5:4-Sieg im Endspiel über Belgien.
In Indien werden Feldhockeyspieler als Stars gefeiert und spielen vor bis zu 20.000 Zuschauern. Hat der WM-Titel auch dem Hockeyclub (HC) Gernsbach zusätzlichen Zulauf beschert?
Der Hockeyplatz liegt entlang einer historischen Strecke: Hier unternahm Freiherr Karl von Drais seine zweite Testfahrt und stellte 1817 bei der abschüssigen Fahrt zwischen Gernsbach und Baden-Baden fest, dass es dringend einer Bremse an der Draisine bedarf. Jetzt laufen mehr als 20 Kinder über den grünen Kunstrasen neben dem Vereinsheim des HC.
Ans Fahrrad denken sie in diesem Moment nicht: Unter Anleitung von Trainer Robin Weiser umkurven sie kleine Hütchen. Der weiße Kunststoffball soll dabei möglichst eng am Holz- oder Kunststoffschläger kleben, damit im Spiel der Gegner einem die Kugel nicht abnimmt.
Nicht bange um die Zukunft
Lea Lang gefällt es, „gut mit dem Schläger umgehen“ zu können. Zudem schwärmt die Achtjährige von der „Geschwindigkeit“ ihres Sports, dem sie seit zwei Jahren frönt. Ihre Mannschaftskollegin Pia Hehl ist ebenso lange dabei und bestätigt Lea: Feldhockey mag die Leichtathletin mehr als das Spiel in der Halle, weil „es schneller ist“.
Eliah Heberle, der bereits ein Drittel seines neunjährigen Lebens den „Spaß“ am Hockey genießt, gefällt Feldhockey vor allem deshalb besser, weil man „draußen härter schießen kann!“ Das macht Amelie Petralia „keine Angst“, wenn der 156 bis 163 Gramm schwere Ball auf sie zu saust. „Ich bin ja gut gepolstert“, stellt die Elfjährige bei ihrer Premiere als Torhüterin fest.
Bei so viel Begeisterung muss dem HCG nicht bange um die Zukunft sein. Vereinsboss Ralph Neumann sieht daher den Nachwuchs wieder auf einem guten Weg. In der A-Jugend klafft zwar ein kleines Altersloch, weshalb die 16-Jährigen gleich ins Herren-Team aufrücken müssen.
Aber sonst hat sich der einzige Hockeyclub zwischen Karlsruhe und Lahr nach der Pandemie wieder berappelt: „Während Corona haben wir zwar ein paar Kinder verloren, aber 2022 kamen viele neue dazu, sodass wir nun wieder an die 80 Kinder haben“, freut sich der 54-Jährige, der 2021 die Vereinsführung übernahm, und ergänzt, „wir liegen stabil bei 260 Mitgliedern.“
WM-Triumph ohne große Auswirkungen
Der WM-Triumph im Januar brachte keinen Schub. „Es war zwar schön und wir freuten uns alle“, sagt Weiser, der schon die Hälfte seiner 28 Lebensjahre als Jugendtrainer fungiert, „aber an große Auswirkungen glaube ich nicht.“
Im frei empfangbaren Fernsehen wird die Randsportart schließlich nur bei Highlights wie in Indien oder bei Olympischen Spielen gezeigt, „obwohl Hockey wie zum Beispiel Tischtennis zu den Medaillen-Garanten zählt“, bedauern Neumann wie Weiser. Der Jugendtrainer und Spieler der ersten Mannschaft befindet daher: „Unsere Schnupperkurse an den Schulen bringen mehr als der WM-Titel!“
Daher geht der HC regelmäßig in die Grundschulen in Gernsbach. „Wir hatten am Albert-Schweitzer-Gymnasium eine AG, aber da sind nur noch vier Schüler übrig geblieben“, erzählt Neumann und schließt nicht nur daraus, „wir müssen in die Grundschulen, sonst bist du heutzutage zu spät dran.“
Das während Corona in die unterste Hallen-Klasse abgestürzte Herren-Team soll umgehend wieder aufsteigen. „Das ist das Ziel, auch wenn es die vergangenen zehn Jahre schwierig war“, bedauert der Vereinsvorsitzende. Wegen der weiten Fahrten mangels Vereinsdichte im Land gehen regelmäßig Stammspieler verloren.
Es herrscht innige Stimmung, egal, wo wir hinkommen“Robin Weiser, Jugendtrainer
So bleibt dem einstigen Jugendtrainer Neumann und seinen treuen Mitgliedern vorerst nur eins: von der guten, alten Zeit zu schwärmen. 1986 nahm die A-Jugend an der deutschen Meisterschaft teil, und die Herren spielten in der Regionalliga, der damals zweithöchsten Klasse. Drei Gernsbacher wechselten zum Bundesliga-Traditionsclub Dürkheimer HC. Mit diesem wurden Torhüter Martin Wehrle vier-, Ralf Olinger und Patrick Schwab je zweimal deutscher Meister.
Die Gernsbacher freuten sich trotz der Abwerbung und dem Verlust der Topkräfte mit, denn wie betont Jugendtrainer Weiser: „Wir haben zwar keine Derbys in Loffenau oder Gaggenau – aber egal, wo wir hinkommen, herrscht eine innige Stimmung, die ich so im Fußball nicht erlebte! Wir spielen gemeinsam Hockey.“