Unser Mitarbeiter Karl-Heinz Fischer hat mit ihm über die Entwicklung der Schullandschaft im Lauf seiner Amtszeit gesprochen.
In Ihrer elfjährigen Amtszeit als Rektor der Realschule Gernsbach haben Sie sich immer wieder neuen Entwicklungen und Herausforderungen stellen müssen. Was waren die einschneidendsten Veränderungen während Ihrer Zeit als Schulleiter in Gernsbach?
SchneiderDie größten Veränderungen gab es auf fünf Feldern: Das erste ist der neue Bildungsplan von 2016 mit neuen Fächern, teils neuen Fachinhalten und darauf aufbauend neuen Prüfungsformen. Das zweite ist die „neue Realschule“ mit dem Bildungsziel Hauptschulabschluss neben dem bisherigen Realschulabschluss. Dies bedeutet Unterricht auf zwei Niveaustufen. In den meisten Fällen sind Schüler beider Niveaustufen in einer Klasse. Das dritte Feld ist die Aufhebung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Das führte in allen bisherigen aufbauenden Schularten dazu, dass Schüler nach einer unpassenden Entscheidung überfordert waren und später die Schule wechselten. Die Realschule berührt das insofern, als gymnasialgeeignete Schüler abnahmen und solche mit Werkrealschulempfehlung zunahmen. Erst in jüngster Zeit werden wieder eher die passenden Bildungswege beschritten. Durch die Auflösung von Werkrealschulen gehen jetzt manche Schüler den Weg zum Hauptschulabschluss über die Realschule. Das vierte Feld ist der Aufbau der Ganztagsschule. Vorplanungen liefen seit 2012. Bis zum Start 2015 mussten zumindest provisorische Voraussetzungen geschaffen werden. Mit den Baumaßnahmen konnte 2019 der Vollbetrieb bis Klasse 7 starten. Die baulichen Notwendigkeiten wurden durch die Stadt Gernsbach in enger Planungs- und Ausführungszusammenarbeit vorangebracht. Damit ist das fünfte Feld angesprochen. Die gesamten Baumaßnahmen stellten große Herausforderungen an die Schulorganisation.
Wie haben sich der Unterrichtsstil, wie hat sich das Verhalten von Lehrern und von Schülern während Ihrer schulischen Laufbahn verändert?
SchneiderIn den ganzen Jahrzehnten blieb die gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Individualität und weniger Gemeinsinn nicht vor der Schultüre stehen. Im Verhalten hat sich das zunehmend, zum Glück bei uns eher auf niedrigem Niveau, niedergeschlagen. Der Wechsel der Sozialformen, eine breite Methodenvielfalt hatte sich schon Ende der Sechzigerjahre entwickelt und gehörte zum Standard der 68er. Die Übertreibungen konnten sich relativieren lassen. Die Vielfalt statt der reinen Frontalunterrichterei blieb in vernünftigen Rahmen bestehen.
Welche aktuellen Entwicklungen im Schulbetrieb sehen als positiv, welche als negativ?
SchneiderDer reformpädagogische Ansatz des gemeinsamen Lernens wurde in den Zehnerjahren anfangs viel zu ideologisch aufgeladen. Das Ergebnis ist mehr Verschiedenheit und damit leider auch Ungleichheit, u.a. in der Versorgung mit Geld und anderen Ressourcen. Positiv bleibt, dass in Baden-Württemberg jeder Abschluss seinen Anschluss hat. In Gernsbach ist das räumlich zu greifen in unserem „Bildungscampus“.
Wie sind Sie als Rektor und wie ist die Schule insgesamt bisher mit den Bedingungen der Corona-Krise zurechtgekommen?
SchneiderWir haben zügig ein Kommunikationssystem entwickelt, auf das praktisch jeder Haushalt zugreifen konnte. Außerdem konnte man bei entsprechender technischer Ausstattung mit Endgeräten auch Video-Fernunterricht erproben. Inzwischen ist das System verfeinert und kann, falls nötig, schon vorbereitet eingesetzt werden. Der Unterricht in fast allen Fächer im gewohnten Umfang in der Präsenzwoche half, Defizite einzugrenzen.
Hat die Krise digitales Lernen vorangetrieben?
SchneiderSie hat jedenfalls deutlich gemacht, wie notwendig das als Ergänzung zu anderen Unterrichtsformaten ist.
Welchen Chancen und welche Risiken sind mit dem Home-Schooling verbunden?
SchneiderMehr Risiken als Chancen. Nur motivierte Schülern bzw. deren wirksame Eltern konnten Strukturen bilden und erhalten. Am anderen Ende der Wahrnehmungsskala gab es solche, die sich in Ferien wähnten.
Noch eine ganz persönliche Frage: Wie werden Sie die Freiheiten ihrer neuen Situation als Pensionär für sich selbst nutzen?
SchneiderVermutlich etwas Entschleunigung, aber auf keinen Fall ins Nichtstun verfallen. Ein Indiz kann sein, dass ich beide abonnierten Zeitungen schon morgens lesen kann. Meine Ehrenämter und die persönlichen Projekte bieten jede Möglichkeit, die Zeit sinnvoll zu füllen.