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Am Bahnhof aufgewachsen

Zwei Seniorinnen hegen besondere Erinnerungen an das Gernsbacher Jugendhaus

Die Zwillingsschwestern Karin Aretz und Helga Ernst-Grote lebten als Kinder eines Eisenbahners einst dort, wo heute Jugendliche ihre Freizeit verbringen.

Helga Ernst-Grote (links) und Karin Aretz sind in Gernsbach aufgewachsen und kehren regelmäßig in ihre Heimatstadt zurück, um die neuesten Entwicklungen zu verfolgen.
Helga Ernst-Grote (links) und Karin Aretz sind in Gernsbach aufgewachsen und kehren regelmäßig in ihre Heimatstadt zurück, um die neuesten Entwicklungen zu verfolgen. Foto: Dagmar Uebel

An den großen Lokschuppen in der Schwarzwaldstraße in Gernsbach erinnern sich nur wenige. Das ihm einst angegliederte kleine Haus gegenüber dem Bahnhof kennt hingegen fast jeder Gernsbacher. Dort treffen sich seit Jahren Jugendliche im Jugendhaus, um sich altersgemäß sinnvoll zu beschäftigen und manchmal auch Party zu machen.

Außer den Heranwachsenden haben jedoch die wenigsten Bürger die Räume von innen gesehen. Im Gegensatz zu den Zwillingsschwestern Karin Aretz und Helga Ernst-Grote, die, wie ein Täfelchen an der Außenwand des Gebäudes ausweist, in diesem Häuschen geboren wurden und ihre ersten Lebensjahre darin verbrachten.

Obwohl die beiden Seniorinnern längst woanders ihr Zuhause fanden, haben sie eine enge und emotionale Verbindung zum Gebäude erhalten, das heute den Namen „Gleis 3“ trägt.

Zwei Zimmer mit Küche für sechs Personen

„Unser Vater, bei der Bahn beschäftigt, wurde nach Kriegsende nach Gernsbach versetzt. Die Familie fand hier in einer klitzekleinen Wohnung im Lokschuppengebäude eine vorübergehende Bleibe“, erzählt Karin Aretz. Zwei kleine Zimmerchen mit Küche für sechs Personen. Damals gehörten neben den Zwillingen auch Schwester Heidrun und Bruder Volker zur Kinderschar der Familie Ernst.

Ob sie wegen der Enge Angst hatten, daran erinnern sich beide Damen natürlich nicht, waren sie doch erst vier oder fünf Jahre alt.

Die Zwillingsschwestern geraten beim Erzählen eher ins Schwärmen, wenn sie sich an ihre glückliche Kindheit erinnern, den Garten auf der Fläche, wo jetzt Autos parken, und an die aus Sicht der Kinder riesengroße rote Lok. Eine Rangierlok, die auf Schienen in den großen Lokschuppen hinein- und wieder herausfahren konnte.

Fröhliche Mutter, strenger Vater

Als 1952 Günter geboren wurde, konnte die Familie zunächst in eine größere Wohnung in der Schwarzwaldstraße und später in ein eigenes Haus umziehen. Natürlich habe es manchmal auch Ärger gegeben, erinnert sich Karin Aretz mit einem Lachen: „Normal für eine siebenköpfige Familie, dessen Familienoberhaupt viel Wert auf strenge Erziehung legte.“ Doch die Mutter habe das durch ihre Fröhlichkeit immer wieder ausgeglichen.

Spätestens, als die Zwillingsschwestern nach dem Gernsbacher Progymnasium das Rastatter Tulla-Gymnasium besuchten, standen für Helga und Karin ihre Berufswünsche fest.

Beide wollten Lehrerinnen werden. Helga, „um zeitig selbstständig zu werden“, und Karin, weil ihr dieser Beruf aus eigener Anschauung vertraut war. Ihr Vater, der selbst eigentlich lieber Lehrer statt Bahner geworden wäre, bestärkte beide in ihren Plänen.

„Mädels-Wochenenden“ in Gernsbach

Noch bevor aus ihrem Wunsch berufliche Realität geworden war, trennten sich die Wege der Zwillingsschwestern. Karin Aretz fand im Rheinland eine pädagogische Anstellung und ihr neues Zuhause. Helga blieb durch Beruf und Familie Baden verbunden.

Aber beide schaffen es immer wieder, dass sich ihre Wege mehrmals im Jahr kreuzen, wenn sich die Zwillinge zu „Mädels-Wochenenden“ in Gernsbach treffen. Eine enge Beziehung, die Zwillingen gerne nachgesagt wird, und die gerade im Ruhestand noch an Intensität gewann, prägt sie.

Manchmal nur zu zweit, aber zu besonderen Anlässen auch mit ihren Geschwistern und den Familien treffen sie sich, um die Veränderungen in der Stadt zu beobachten, Pläne zu schmieden und sich an gemeinsame Erlebnisse zu erinnern.

Viele Erinnerungen an die Kindheit

Das sind die Laienspiel-Veranstaltungen in der Stadthalle, Feste auf der Murginsel, schulische Auftritte, die Begleitung der Mutter zum Marktstand auf dem Färbertorplatz. Und nicht zu vergessen Besuche im Igelbachbad, in der Eisdiele und im Gernsbacher Kino als besondere Höhepunkte. Manchmal treffen sich alle Geschwister und Anverwandten auf Schloss Eberstein, um familiäre Anlässe zu feiern, und auch manchmal kulturelle Ereignisse in Baden-Baden zu erleben.

Was stets dazugehört, ist ein Verweilen am und (nach Anmeldung) im Gernsbacher Jugendhaus. Eine gänzliche Rückkehr nach Gernsbach wäre für Karin Aretz und Helga Ernst-Grote zwar keine Option. Doch sind sich beide in einer Einschätzung einig: „Gernsbach wird für uns immer etwas Besonderes bleiben.“

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