Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland sind im Umbruch. Die Zahl der Mitglieder ist stark rückläufig, die Kirchensteuer schwindet. Viele Sakralbauten, die das Bild von Stadt und Dorf bisher geprägt haben, werden verkauft oder sogar abgerissen. Auch denkmalgeschützte Gebäude sind betroffen.
Die Konzentration auf weniger Standorte führt überraschenderweise aber auch zu Neubauten, beispielsweise in Karlsruhe. Die evangelische Kirche Petrus Jakobus nach einem Entwurf von Peter Krebs ersetzt zwei Vorgängerbauten, die abgebrochen wurden. 2020 erhielt der schöne Sakralbau mit Gemeindezentrum den Hugo-Häring-Landespreis.
In Gaggenau haben die drei evangelischen Gemeinden zwei Standorte aufgegeben und sich auf die Markuskirche konzentriert. Die heutige Kirche entstand nach der Kriegszerstörung des Vorgängerbaus von 1891 in den Jahren 1952 und 1953. Sie knüpft stilistisch an die neuromanischen Sakralbauten der 1930-er Jahre von Dominikus Böhm und Albert Boßlet an. Diese Wiederaufnahme romanischer Formen hat Holger Brülls in seiner 1994 erschienen Dissertation als „Neue Dome“ bezeichnet.
Diese Sakralarchitektur erlebte in den 1950-er Jahren eine kurze Spätphase, beispielsweise mit der katholischen Pfarrkirche St. Michael im Baden-Badener Stadtteil Neuweier (Architekten: Anton Ohnmacht, Fridolin Bosch) und eben in Gaggenau. Äußere Schlichtheit und kubische Bauformen, die vor allem durch den mächtigen Vierungsturm bestimmt werden, prägen die Architektur. Die Markuskirche ist allerdings nicht denkmalgeschützt.
MoRe Architekten aus Freiburg mit den Partnern Fee Möhrle und Tobias Reinhardt haben die Markuskirche mit dem Gertrud-Hammann-Gemeindehaus kongenial ergänzt. Dieses erhielt jetzt die Hugo-Häring-Auszeichnung des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA).
Das Projekt in Gaggenau ist vergleichbar mit dem Gemeindehaus der evangelischen Friedenskirche in Baden-Baden, das nach einem Entwurf von K9 Architekten entstanden ist und 2021 die Hugo-Häring-Auszeichnung erhalten hat.
Auch in Baden-Baden wurde der bisherige Gebäudebestand, der sich auf drei verschiedene Orte verteilte, auf die Friedenskirche konzentriert. Im Grundriss ähneln sich die beiden fast gleichzeitig entstandenen Gemeindezentren in Baden-Baden und Gaggenau.
Die große Qualität liegt in der städtebaulichen Lösung.Preisgericht des
Wettbewerbs 2017
Das Gertrud-Hammann-Gemeindehaus ist das Ergebnis eines Wettbewerbs im Jahr 2017. Die winkelförmige flach gedeckte Anlage stößt im Norden an die Markuskirche und umschließt gemeinsam mit dieser an drei Seiten einen rechteckigen Hof, der sich zur Eckenerstraße öffnet.
Das hat bereits dem Preisgericht für den Wettbewerb gefallen: „Die große Qualität liegt in der städtebaulichen Lösung.“
Die Architekten haben die Baukörper geschickt gestaffelt. Der mittlere Trakt ist eingeschossig, der Seitentrakt, der mit der Kirche korrespondiert und einen Gegenpol bildet, zweigeschossig.
Der Hof, der 80 Zentimeter über dem Niveau der Straße liegt, ist in voller Breite über eine Freitreppe zugänglich und grenzt das schöne Ensemble zum schwierigen städtebaulichen Umfeld ab.
Der Gemeindesaal befindet sich in einem eingeschossigen Trakt in der Verlängerung des Hofes. Der Besucher betritt durch eine große Glasfassade zunächst das Foyer, das wiederum mit großen Glaselementen mit dem Saal verbunden ist. Auch die Saalwand zum rückwärtigen Garten ist verglast.
Die transparenten Räume fließen ineinander und in die Außenbereiche. Die Wände im Inneren sind aus unbehandeltem Sichtbeton, das Tragwerk des Saals besteht aus Weißtanne aus dem Schwarzwald. Der Außenbau ist verklinkert. Im zweigeschossigen Seitentrakt befinden sich Büros und Seminarräume.
Gertrud Hammann musste vor den Nazis fliehen
Die puristische Formensprache des Gemeindezentrums ist klar. Die formale Askese besticht durch eine geradezu spirituelle Ausstrahlung. Das Ensemble wirkt einladend und verleiht der neuen Adresse der Kirchengemeinde eine angemessene Gestalt. Markuskirche und Gemeindehaus bilden eine Einheit, dennoch wird die Selbstständigkeit der beiden Baukörper betont. Die Lösungen der Architekten sind bis ins Detail gelungen, unter anderem der kurze Galerietrakt auf zwei schlanken Pfeilern, der das Gemeindezentrum mit der Sakristei der Markuskirche verbindet.
Das 2022 fertiggestellte Gemeindehaus wurde nach der Kindergärtnerin Gertrud Hammann benannt, die 1940 als uneheliche Tochter eines Juden vor den Nazis nach Frankreich floh und dort in den Lagern Lodére und Gurs interniert wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland war sie ab 1955 Geschäftsführerin der Frauenarbeit in der evangelischen Landeskirche.
Die Jury des BDA urteilt: „Die gewählte Materialität des Neubaus und die sorgfältige Fügung der einzelnen Teile erzeugen eine angenehme Wertigkeit. Das Projekt ist in allen Belangen vorbildlich, vom städtebaulichen Konzept bis zur baulichen Umsetzung in Materialität und Fügung.“