Die Corona-Pandemie trifft die Kinos in Gaggenau-Ottenau und in Gernsbach gleich in mehrfacher Hinsicht. Es ist nicht nur die Schließung, die ihnen zu schaffen macht. Es ist auch der Siegeszug der Streaming-Dienste. Die Pandemie beschert ihnen viele neue Kunden. Netflix knackte zuletzt die Marke von 200 Millionen Nutzern.
Der Höhenflug setzt sich bei den Oscars fort – traditionell das Hoheitsgebiet der Kinofilme. Doch 2021 können auch Produktionen von Netflix und Co an der Verleihung des größten Filmpreises der Welt teilnehmen. Die Ausnahme in diesem Jahr ist vorläufig ausgelegt: Sie gilt nur, solange die Kinos geschlossen sein müssen.
Jens Merkel, Inhaber des Merkur-Filmcenters in Gaggenau-Ottenau, kritisiert die Entscheidung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. „Die traditionellen Filmpreise wie der Oscar oder die Goldene Palme sollten nur an richtige Kinofilme verliehen werden“, sagt er. Filme der Streaming-Anbieter kämen dagegen für andere Preise wie die Grammy Awards infrage.
Namhafte Regisseure wie Martin Scorsese arbeiten mit Netflix zusammen
Auch Roland Julius, Pächter des Gernsbacher Kinos, sieht die Regelung mit Sorge. Der Aufwärtstrend der Streaming-Dienste gefährde die Zukunft des klassischen Kinos. Selbst namhafte, altgediente Regisseure wie Martin Scorsese arbeiteten mittlerweile mit Netflix, Amazon Prime und Co zusammen, sagt Julius.
Scorseses letzter Film „The Irishman“ wurde von Netflix finanziert, lief nur kurz in ausgewählten US-Kinos und war knapp einen Monat später schon auf Netflix verfügbar. Der Film war 2020 für neun Oscars nominiert, gewann aber keinen. „The Irishman“ zeigte, dass Netflix-Produktionen mit Hollywood mithalten können.
Das war nicht der einzige Film, der den Kulturkampf zwischen Kino und Netflix befeuerte. Bereits 2019 hatte Alfonso Cuaron mit seinem Drama „Roma“ drei Oscars geholt – darunter auch als bester fremdsprachiger Film. Schon vier Monate nach der Premiere lief „Roma“ auf Netflix. Das verursachte einen großen Aufschrei in der Filmwelt.
Das normale Auswertungsfenster für Kinofilme betrage normalerweise mindestens sechs Monate, betont Jens Merkel. Vorher dürften sie nirgendwo anders laufen. Eine frühzeitige Veröffentlichung auf den Streaming-Plattformen führe zu einer finanziellen Ungleichheit. „Ein Kino-Ticket kostet so viel wie der Zugang für eine Streaming-Plattform im Monat“, sagt der Inhaber des Merkur-Filmcenters und fügt an: „Das Erlebnis Kinofilm wird für billiges Geld verhökert.“
Die Kinos zahlen an die Produzenten des Films mehr Geld als die Streaming-Anbieter. Diese Regelung sei in einer Zeit entstanden, in der noch nicht klar gewesen sei, welch große Rolle Streaming in Zukunft spielen würde. Das Filmstudio Universal Pictures einigte sich 2020 mit der US-Kinokette AMC darauf, dass Filme künftig fast zeitgleich mit dem Kinostart auf den Streaming-Plattformen verfügbar sind.
Wenn die Kinos weiter existieren wollen, brauchen sie das Erstspielrecht.Roland Julius, Pächter des Gernsbacher Kinos
Roland Julius sagt: „Das ist doch Blödsinn. Wenn die Kinos weiter existieren wollen, brauchen sie das Erstspielrecht.“ Der Film „Mulan 2“ habe gezeigt, dass Streaming nicht die Lösung sein könne. Er erschien 2020 direkt auf Disney Plus, der Streaming-Plattform von Disney. Dort sei „Mulan 2“ nur ein mäßiger Erfolg gewesen. Bei einem Start in den Kinos hätte das anders ausgesehen, ist sich Julius sicher.
Als positives Beispiel, wie Kino und Zweitverwertung zusammenarbeiten, nennt er die „Die Känguru-Chroniken“. Der Film legte den besten Start einer deutschen Produktion in 2020 hin. Nach wenigen Wochen im Kinoprogramm kam Corona. „Die Känguru-Chroniken“ wurde digital veröffentlicht – nur zum Kauf. Die Erlöse landeten direkt bei den deutschen Kinos, die den Film normalerweise gezeigt hätten.
Aus Sicht von Roland Julius war das eine tolle Geste, um die von der Krise gebeutelten Kinos zu unterstützen. Aber wäre das ein Konzept, das in Zukunft funktionieren könnte? Jens Merkel denkt, dass es weder den Verleihern noch den Lichtspiel-Theatern helfe. „Da müssen jedesmal die Anteile am Gewinn abgeklärt werden. Am Ende kommt da aus meiner Sicht nur wenig rum.“
Kinobetreiber wollen künftig umdenken
Aktuell fehlen Julius und Merkel wegen Corona sämtliche Einnahmen. Beide sind deshalb froh, dass sie neben dem Kinobetrieb noch einen anderen Job haben. Trotzdem nimmt sie die Schließung mit. Der Inhaber des Kinocenters in Gernsbach hat jüngst seinen Popcorn-Verkauf aufgegeben. Wirtschaftlich hat es sich nach seiner Aussage nicht gelohnt.
Mit Blick auf die gleichzeitig boomenden Streaming-Dienste sind sich Julius und Merkel einig: In Zukunft müssten die Kinos umdenken, um attraktiv zu bleiben. Julius setzt auf exklusive Vorpremieren und Sneak Previews, wo zufällige Filme zum Schnäppchenpreis gezeigt werden. „Kino ist Kino. Die besondere Atmosphäre, das gemeinsame Lachen und Mitfiebern und das gute Popcorn hat man zuhause nicht“, sagt Julius.
Werner will auf Film-Reihen setzen, etwa zum Thema Reisen. Auch Heimatfilme sieht er für sein Programmkino vor. „Einen Film vom Westweg schaut sich niemand aus dem Norden Deutschlands im Stream an“, sagt er.