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Gernsbach

Kritik an Imagefilm: Kommt die Kultur zu kurz?

Die Stadt Gernsbach hat einen Imagefilm produzieren lassen. Eine Komponente findet man in dem dreiminütigen Hochglanz-Video allerdings nicht: die Kultur in der Region. Kulturschaffende kritisieren nun das Video und Veranstalter fühlen sich übergangen.

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Kreativer Kopf: Der Gernsbacher Puppenspieler Frieder Kräuter. Foto: pr

Überrascht, enttäuscht, verärgert: Gernsbacher Kulturschaffende kritisieren den städtischen Imagefilm, der bereits beim Neujahrsempfang der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Das dreiminütige Hochglanz-Video zeigt Gernsbach von seiner Schokoladenseite: Kulinarik in den Weinbergen, Badespaß im Freibad und Wandern mit Ausblick. Marktszenen, Aufnahmen im Klassenraum und von der Papierherstellung geben einen Einblick in den Alltag vieler Gernsbacher. Kein Platz war offenbar für die Kultur. Sie findet im Imagefilm nicht statt und das, obwohl sie auf der städtischen Homepage als besonders facettenreich angepriesen wird. Hans-Christoph Graf von Nayhauss-Cormons, Vorsitzender der Kulturgemeinde, kann das nicht nachvollziehen: „Ich finde das kriminell.“

Die Gernsbacher Kulturszene, das verdeutlicht eine BNN-Umfrage, fühlt sich von der Stadt mehrheitlich übergangen. Von einer „verpassten Chance“ spricht etwa Puppenspieler Frieder Kräuter mit Blick auf den Imagefilm: „Ich finde es schade, dass die Kulturschaffenden darin nicht vertreten sind.“ Dabei sei die von ihm organisierte Puppentheaterwoche ein „Alleinstellungsmerkmal der Stadt.“ Sie hatte Bürgermeister Julian Christ bei der Programmvorstellung vor wenigen Wochen als „Aushängeschild“ und „kulturelles Highlight“ gewürdigt.

Ich finde es schade, dass die Kulturschaffenden darin nicht vertreten sind.
Frieder Kräuter, Puppenspieler aus Gernsbach

Kultur als weicher Standortfaktor

Kräuter bedauert, dass die Kultur im Imagefilm zu kurz kommt: „Sie zählt zu den weichen Standortfaktoren, durch die eine Stadt für Menschen lebenswert wird.“ Laut von Nayhauss-Cormons trägt Gernsbach seinen Titel als „Perle des Murgtals“ gerade wegen des vielfältigen kulturellen Angebots. „Da verwundert es natürlich, wenn plötzlich das Wort Kultur nicht mehr vorkommt“, erklärt er gegenüber den BNN. Diese Mentalität könne man am besten mit den Worten Bertolt Brechts beschreiben: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“

Auch Martin Rheinschmidt, künstlerischer Leiter des „Theater im Kurpark“, übt Kritik an der Stadt: „Ich war sehr überrascht und enttäuscht, dass die Kultur im Imagefilm völlig ausgeklammert wurde.“ Weder die Puppentheaterwoche, noch Konzertveranstaltungen, Lesungen oder das Theater kämen darin vor. „Wie kann es sein, dass eine Stadt wie Gernsbach ihre kulturellen Alleinstellungsmerkmale in einem solchen Film nicht herausstellt?“

Ich war sehr überrascht und enttäuscht, dass die Kultur im Imagefilm völlig ausgeklammert wurde.
Martin Rheinschmidt, künstlerischer Leiter "Theater im Kurpark"

Hendrik Pape ist Geschäftsführer des Theaters in der Alten Turnhalle in Hilpertsau. Über den Imagefilm sagt er: „Das wäre eine tolle Gelegenheit gewesen, uns zu präsentieren.“ Falls wieder gedreht werde, sei man an einer Teilnahme interessiert. „Wir können schöne Bilder liefern“, ist Pape überzeugt. Als nicht-städtische Kultur-Einrichtung könne man allerdings „keinen Anspruch geltend machen“, im Film berücksichtigt zu werden.

Christ: "Tolles Appetithäppchen"

Bereits bei dessen Präsentation hatte Rathauschef Christ eingeräumt, die Zeit reiche nicht aus, „um alle Vorzüge unserer schönen Stadt zeigen zu können.“ Der Werbefilm sei ein „tolles Appetithäppchen“, mit dem man Einheimische, potenzielle Neu-Bürger und Gäste gleichermaßen ansprechen wolle.

Stadt gab Inhalte vor

Aus der städtischen Pressestelle heißt es auf BNN-Anfrage, die Stadt habe der Produktionsfirma die Inhalte vorgegeben. Und weiter: „Drehbeginn war erst nach der Puppentheaterwoche 2018. Da der Film von Live-Aufnahmen lebt, konnte sie leider keine Berücksichtigung finden.“ Man sei „auf eine kurze Zeitdauer beschränkt“, da falle es schwer, alle Höhepunkte unterzubringen.

Auswahl musste getroffen werden

Weil auch städtische Themen wie Bildung, Schwimmbäder oder touristische Schwerpunkte, etwa das Wandern und die Sternegastronomie, untergebracht werden sollten, habe man eine Auswahl treffen müssen. Die abschließende Bewertung aus dem Rathaus: „Diesen Querschnitt an Themen zeigt der Imagefilm sehr gut, insbesondere wurde Kultur mit unserem Altstadtfest und dem Weihnachtsmarkt gezeigt.“

Kommentar
Kommentar Foto: N/A

Verdreht

Bildgewaltig rückt ihr neuer Imagefilm die Stadt Gernsbach ins rechte Licht. In drei kurzweilig geschnittenen Minuten will man Touristen und potenzielle Neubürger für sich einnehmen. Dagegen ist gewiss nichts einzuwenden, zumal der Film an sich gelungen wäre – hätte man da nicht eine Kleinigkeit vergessen.

Kulturgemeinde, Kirchl und Co. finden im Hochglanz-Video schlichtweg nicht statt. Selbst die Puppentheaterwoche, einer der Publikumsmagneten Gernsbachs, wurde bei der Produktion links liegen gelassen. Erstaunlich, da sie die Stadt unlängst als einen ihrer kulturellen Höhepunkte beworben hatte. Der Einwand, man habe erst nach Ende der Veranstaltungsreihe gedreht und daher keine Live-Aufnahmen machen können, überzeugt nicht – schließlich wurde die Idee zum Film kaum über Nacht geboren.

Wenig schlüssig auch der Hinweis auf die begrenzte Videolänge. Hätte man doch an der üppigen Präsentation der Kulinarik sparen oder stellvertretend eines statt gleich alle vier Freibäder abbilden können, um den emsigen Kulturschaffenden die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdienen. Wollte man es sich etwa nicht mit der Bäder-Lobby verscherzen?

Ob es sich nun um Ignoranz oder nur ein menschliches Versäumnis handelt: Die Außenwirkung ist – mit Blick auf den Stellenwert der Kultur – zumindest unglücklich. Fazit: Gut gedacht, schlecht gemacht. Dominic Körner

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