Die Stadt Gernsbach will trotz der Corona-Pandemie an der Ausrichtung des Altstadtfestes festhalten. In einem Schreiben, das den BNN vorliegt, fragt die Stadtverwaltung die Bereitschaft der Vereine ab, sich auch in der Krise am Fest zu beteiligen. Dieser Vorstoß ist umstritten: Mehrere Gemeinderatsfraktionen sprechen sich für eine Absage aus. Vereinsvorsitzende kritisieren die Stadt.
„Unser erklärtes Ziel ist es, so lange wie möglich an der Durchführung des Festes festzuhalten“, heißt es in dem städtischen Schreiben an die Vereine.
Verweis auf dynamische Lage
Man befinde sich in einer „dynamischen Lage, die sich in den nächsten Wochen zum Positiven oder Negativen verändern kann.“ Um eine Entscheidung zu treffen, müsse man die Rahmenbedingungen „möglichst genau kennen“.
Stadt will Entscheidung hinauszögern
Nach Auskunft der Stadt sollen die Planungen für das Altstadtfest regulär im Mai beginnen. Man wolle „die endgültige Entscheidung so lange wie möglich hinauszögern, in der Hoffnung, dass eine Absage nicht nötig sein wird.“
Vereine sollen Hygieneauflagen vorschlagen
Im Mittelpunkt des Schreiben steht die Frage: „Wären Sie grundsätzlich wieder mit Ihrem Stand auf dem Altstadtfest dabei, auch wenn die Möglichkeit einer kurzfristigen Absage besteht?“ Für diesen Fall müssten Verträge mit Dritten, Festzelt-Verleihern und Bands, unter Vorbehalt geschlossen werden.
Zudem ruft die Stadt die Vereine dazu auf, Angaben zu gewünschten Sicherheits- und Hygieneauflagen zu machen – etwa einer Begrenzung der Besucherzahl und einer Maskenpflicht für Standbetreiber.
Die Stadt wälzt die Verantwortung auf die Vereine ab.Thorsten Bach, Vorsitzender des FC Gernsbach
„Für die Auflagen sind nicht die Vereine verantwortlich“, sagt indes Thorsten Bach. Der Vorsitzende des FC Gernsbach kritisiert: „Ich hätte von der Stadt eine klare Kante erwartet.“ Nach seiner Ansicht wird die „Verantwortung auf die Vereine abgewälzt.“
FC Gernsbach sagt Teilnahme ab
Bach rechnet, falls das Fest überhaupt stattfindet, mit einem „Riesen-Aufwand“. Die Einhaltung der Abstände und eine mögliche Maskenpflicht für Besucher dürften, so Bach, viele dazu bewegen, nicht zu kommen.
„Dann bleiben wir auf den Kosten sitzen“, sagt er. Der FC Gernsbach hat sich deshalb bereits festgelegt: „Wir werden nicht am Fest teilnehmen.“
Stadtkapelle befürchtet Verlustgeschäft
Die Stadtkapelle hat bereits abgesagt. „Wir haben eine Fürsorgepflicht für unsere Mitglieder“, betont Vorsitzende Martina Mary: „Die Stadt müsste diese Entscheidung treffen, schiebt sie aber an die Vereine ab.“
Auch interessant:Auch Mary befürchtet, „dass wir am Ende drauf legen.“ Wo früher acht Biergarnituren standen, wäre wegen des Abstands nur noch Platz für zwei. „Das hat wirtschaftlich keinen Sinn“, sagt Mary.
Ich verstehe nicht, warum die Stadt das Fest in dieser gefährlichen Zeit mit Gewalt durchziehen will.Martina Mary, Vorsitzende der Gernsbacher Stadtkapelle
Außerdem könne man „niemanden zwingen, den ganzen Tag mit Maske hinter dem Grill zu stehen.“ Mary verweist auf andere Kommunen. So wurden das Bühler Zwetschgenfest und das Dorffest in Michelbach wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Mary: „Ich verstehe nicht, warum die Stadt das Fest in dieser gefährlichen Zeit mit Gewalt durchziehen will.“
Skepsis im Landratsamt
Auch im Landratsamt hat man Zweifel am Gernsbacher Vorgehen: „Ich bin skeptisch“, sagt Pressesprecherin Gisela Merklinger auf BNN-Anfrage: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Fest stattfindet, wünsche den Gernsbachern aber viel Glück.“ Das Landratsamt selbst plant laut Merklinger derzeit keine Großveranstaltungen.
Biergärten, Restaurants und Geschäfte dürfen wieder öffnen. Warum sollte dann ein Marktfest nicht stattfinden?Josef Elter, Vorsitzender der Gernsbacher Murgflößer
Deutlich optimistischer gibt sich dagegen Josef Elter. „Biergärten, Restaurants und Geschäfte dürfen wieder öffnen. Warum sollte dann ein Marktfest nicht stattfinden?“, fragt der Vorsitzende der Gernsbacher Murgflößer. Er findet: „Die Bevölkerung hat ein Anrecht darauf.“
Die Abstandsregeln könnten mit Absperrungen an den besonders belebten „Hotspots“ durchgesetzt werden, etwa in der Waldbachstraße und am Stadtbuckel. Elter spricht sich außerdem für eine Aufsichtsgruppe aus, die die Einhaltung der Regeln sicherstellt.
Reduzierte Passagierzahl auf dem Floß
Auch für das eigene Floß, mit dem Gäste beim Altstadtfest auf der Murg fahren können, hat Elter ein Sicherheitskonzept im Kopf. Es sieht eine Reduzierung der Passagierzahl von 70 auf 30 und eine Trennung der Menschen durch aufgeklebte Linien vor.
Ärger über Vereine
„Ich glaube, dass viele Besucher kommen werden“, sagt Elter, „die Leute sind festhungrig.“ Die Situation in Gernsbach sei nicht mit dem Bühler Zwetschgenfest vergleichbar – dort gebe es „mehr vertragliche Verpflichtungen“ mit Bands und Verleihern.
Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick
Dass einige Vereine auch nach einer Woche noch nicht über eine Teilnahme am Fest entschieden haben, ärgert Elter: „Dafür habe ich kein Verständnis.“
CDU-Fraktion warnt vor "zweitem Ischgl"
Das Festhalten der Stadt am Fest ist auch im Gemeinderat umstritten. Die CDU-Fraktion warnt in einer öffentlichen Stellungnahme davor, die Gefahren durch das Coronavirus zu unterschätzen: „Uns wäre nicht wohl bei dem Gedanken, mit unserer Stadt überregional in die Schlagzeilen zu geraten. Auf ein zweites Ischgl kann Gernsbach gut verzichten.“
CDU schlägt Schutzschirm für Vereine vor
Man müsse die Verantwortung gegenüber den Menschen wahrnehmen und dürfe kein Risiko gehen. Der einmalige Verzicht auf das Fest sei zu verkraften.
Die CDU-Fraktion bringt einen kommunalen Schutzschirm ins Gespräch, um die wegbrechenden Einnahmen der Vereine abzufedern. Denkbar sei es, die Vereinsförderung in diesem Jahr einmalig zu erhöhen.
Grüne kritisiert die Stadt
„Ich finde es nicht verantwortungsbewusst, das Fest auszurichten“, sagt auch Grünen-Sprecherin Birgit Gerhard-Hentschel. „Die Vereine tragen jetzt die Last der Entscheidung, ob sie daran teilnehmen wollen“, kritisiert sie: „Die Stadt hätte als verantwortungsvolle Kommune das Fest absagen müssen.“
AfD befürwortet Fest-Absage
Auch Ernst-Dieter Voigt (AfD) spricht sich gegen die Ausrichtung des Altstadtfestes aus. Bundesweit seien Großveranstaltungen abgesagt worden. „Da können wir es den Vereinen und Standbetreibern nicht zumuten, auf Verdacht mit den Vorbereitungen zu beginnen.“
SPD und Freie Bürger unterstützen Stadt
SPD und Freie Bürger unterstützen hingegen den Kurs der Stadt. „Es ist richtig, auf Sicht zu fahren“, betont SPD-Sprecherin Irene Schneid-Horn. Man müsse die Entscheidung hinauszögern, um den aktuellen Stand der Corona-Verordnungen in Baden-Württemberg zu kennen.
Wir wollen den Menschen in dieser Zeit etwas Abwechslung und Normalität bieten.SPD-Fraktionsvorsitzende Irene Schneid-Horn
„Wir wollen den Menschen in dieser Zeit etwas Abwechslung und Normalität bieten“, sagt Schneid-Horn. Gleichwohl räumt sie ein: „Das Altstadtfest wird anders sein als bisher.“ Man benötige zum Beispiel mehr Abstände zwischen den Ständen.
Freie Bürger: Kurzfristige Ausrichtung möglich
„Ich finde es gut, dass der Bürgermeister die Vereine mit ins Boot geholt hat“, sagt Uwe Meyer (FBVG): „Wir werden erst kurz vorher wissen, ob das Fest stattfinden kann.“
Mit der Entscheidung müsse man so lange warten wie möglich. „Viele Vereine sind oft beim Fest dabei“, sagt er, „eine Organisation wäre im Ernstfall auch in vier Wochen möglich.“
Verantwortung gegenüber den Betrieben
Stadt und Gemeinderat müssten auch die Situation der Betriebe im Blick haben, etwa Bäcker und Metzger, die ohne das Altstadtfest wichtige Einnahmen verlören: „Es wäre ein Offenbarungseid, wenn man das Fest jetzt vorschnell absagt.“