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Jochen Ritter im Interview

„Wenn Helene Fischer anruft, müsste ich da durch“

Mit einer Genesis-Legende stand er im Tonstudio, mit Carlos Santana und Rammstein teilte er sich die Bühne: Jochen Ritter verließ vor 30 Jahren das Murgtal, um von der Musik zu leben. Mit BNN-Redakteur Dominic Körner sprach er über Castingshows, Gagen und ein Frühstück mit Peter Gabriel.

Leidenschaft Musik: Als Schlagzeuger spielte Jochen Ritter mit den Großen der Szene. Für sein Poprock-Projekt „Schmid & Ritter“ steht der gebürtiger Gernsbacher auch als Sänger am Mikrofon.
Leidenschaft Musik: Als Schlagzeuger spielte Jochen Ritter mit den Großen der Szene. Für sein Poprock-Projekt „Schmid & Ritter“ steht der gebürtiger Gernsbacher auch als Sänger am Mikrofon. Foto: privat

Mit einer Genesis-Legende stand er im Tonstudio, mit Gitarren-Gott Carlos Santana und den Krawallrockern von Rammstein teilte er sich die Bühne: Als Jochen Ritter vor 30 Jahren das Murgtal verließ, um von der Musik zu leben, war der Schlagzeuger in der Szene noch ein unbeschriebenes Blatt. Durch zahllose Auftritte bei Festivals und im Fernsehen hat sich der gebürtige Gernsbacher seither einen Namen gemacht. Bis heute behauptet sich der 52-Jährige in einer Branche, die fortwährend in Bewegung ist. Mit BNN-Redakteur Dominic Körner sprach Ritter über Castingshows, Gagen und ein Frühstück mit Peter Gabriel. Er erklärt, weshalb Soulsänger Seal für ihn sein Zimmer räumen musste – und warum Schlagzeuger bei den weiblichen Groupies einen schweren Stand haben.

Herr Ritter, können wir zunächst mit einem Klischee aufräumen? Rockmusikern wird gerne ein Hang zum Exzess nachgesagt. Zurecht?

Ritter: Ich muss gestehen: Wenn ich mit Bands auf Tour war, haben wir es gerne krachen lassen. Im Bus floss der Alkohol in Strömen und davor haben die Groupies gewartet. Allerdings nicht wegen mir.

Als Drummer stand ich weniger im Mittelpunkt.

Warum das denn?

Ritter: Bis ich meine Ausrüstung abgebaut hatte, hatte der Sänger schon die hübschesten Mädels klargemacht. Als Drummer stand ich weniger im Mittelpunkt, aber damit konnte ich gut leben.

An unvergesslichen Erfahrungen mangelt es Ihnen dennoch nicht: Sie saßen mit Peter Gabriel am Frühstückstisch…

Ritter: Eine verrückte Geschichte. Mit der Band Zikato habe ich in seinem Tonstudio in England eine Platte aufgenommen. Dort haben wir auch gewohnt. Plötzlich stand Peter Gabriel in der Küche: Er brachte mir Tee und entschuldigte sich dafür, dass mein Zimmer noch nicht fertig war. Und zwar weil Seal, der bekannte Soulsänger, noch seine Sachen packen musste.

Seal hat für Sie das Zimmer geräumt?

Ritter: Ja – kaum zu glauben.

Auch andere Superstars erlebten Sie hautnah…

Ritter: Mit a-ha bin ich in einer Fernsehshow aufgetreten. Die Jungs waren total locker drauf. Wir saßen gemeinsam in der Limo und draußen standen die Fans. Santana habe ich bei einem Festival in Saarbrücken getroffen. Ein fantastischer Gitarrist, aber an dem Tag war er nicht gut drauf. Zwischen den einzelnen Songs, das konnten die Zuschauer nicht sehen, hat er seinen Gitarrentechniker zur Sau gemacht. Und einmal spielte ich in einer Vor-Band von Rammstein. Deren Sänger hat sich beim Konzert an der Pyrotechnik verbrannt und musste ins Krankenhaus.

Wo fühlen sie sich eher zu Hause: Auf der großen Festival-Bühne oder in der intimen Atmosphäre eines Clubs?

Ritter: Beides hat seinen Reiz. Festivals sind in der Regel sehr anstrengend. Man ist viel auf der Autobahn unterwegs, macht Soundchecks, baut auf und spielt dann nur kurz. Auf Tour mit Hiss habe ich 80 Prozent der Zeit im Bus oder Hotelzimmer verbracht. Der Kontakt zum Publikum ist nicht so intensiv wie auf einer kleineren Bühne, aber Patzer lassen sich leichter kaschieren.

Manchmal habe ich schon Glück gehabt.

Lief denn auf Tour immer alles glatt oder gab’s auch mal Pannen?

Ritter: Gleich mehrfach bin ich haarscharf am Tod vorbeigeschrammt. Einmal platzte der Vorderreifen unseres Busses, ein anderes Mal lösten sich die Radmuttern. Und bei einem Auftritt fiel eine schwere Box runter – direkt neben meinem Kopf. Manchmal habe ich schon Glück gehabt.

Glück – braucht es das auch, um sich heute als Berufsmusiker über Wasser zu halten?

Ritter: Sicher. Man muss sich ein Netzwerk aufbauen, auch mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Jungen Musikern sage ich: Bleibt immer authentisch und offen für alles.

Wie meinen Sie das?

Ritter: Wenn man in dieser Branche überleben will, kann man nicht sagen: Das ist doof, das mach‘ ich nicht. Letztlich muss man Geld verdienen.

Sie würden also auch Schlager spielen?

Ritter (lacht): Wenn Helene Fischer anruft, müsste ich da wohl durch. Die Gage wäre sicherlich nicht schlecht.

Wie viel blieb denn bei Ihren Auftritten hängen?

Ritter: Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe schon vier Tage auf einem Festival gespielt und dafür 800 Euro bekommen. Es geht auch anders: Bei einem Festival in der Schweiz gab es 2 500 Franken – für eine Stunde Auftritt!

Denen ist die Tonqualität wurscht.

Von solchen Summen dürften junge Talente träumen. Das Musikgeschäft ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden…

Ritter: Das stimmt. Die Kids von heute kaufen keine CDs mehr. Die laden ihre Musik aus dem Internet runter, teilweise illegal, und hören sie auf dem Handy. Denen ist die Tonqualität wurscht. Und selbst bei Spotify (Digitaler Musikdienst, die Red.) gibt es gerade mal einen Euro für 1 000 Downloads. Heute sind Musiker stark von Eintrittsgeldern und Merchandising abhängig. Das Netz kann man aber auch nutzen, um Werbung für sich zu machen.

Auf diesen Effekt hoffen auch die zigtausend mehr oder weniger talentierten Teilnehmer an Castingshows. Zuletzt erreichte die Oliwia Czerniec aus Gernsbach das Finale von „The Voice Kids“. Was halten Sie von diesen Formaten?

Ritter: Grundsätzlich gilt: „Any promotion is good promotion“. Wenn einem drei Millionen Menschen zusehen, erreicht man schnell einen wahnsinnigen Bekanntheitsgrad. Allerdings sind nicht alle Juroren mein Fall. Die Fantastischen Vier („The Voice“, die Red.) finde ich klasse. Dieter Bohlen ist mir dagegen deutlich unsympathischer.

Zur Person: Jochen Ritter: 1966 in Gernsbach geboren, wuchs Jochen Ritter im Gaggenauer Stadtteil Ottenau auf. Sein erster Förderer war der bekannte Schlagzeuger Peter Götzmann. Bereits im Alter von sechs Jahren besuchte Ritter die Musikschule Gaggenau, wo er drei Jahre später das Schlagzeug-Spiel erlernte. Als Jugendlicher war der spätere Profimusiker Mitglied in mehreren Bands im Raum Gernsbach, ehe er nach seiner Schulzeit ein Jazz-Musik-Studium in Bern aufnahm. Ende der 1980er Jahre etablierte sich Ritter in der Kölner Musikszene. Seit 1996 lebt er in Karlsruhe. Der 52-Jährige spielte unter anderem mit Hiss, Zikato und Knutschfleck. Heute steht der Murgtäler als Teil des Pop-Rock-Duos „Schmid & Ritter“ auf der Bühne. Er singt, spielt Gitarre und Schlagzeug. An der Gernsbacher Musikschule vermittelt er sein Wissen an Kinder und Jugendliche.

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