Das Mühlrad war schon in der Antike erfunden worden, die Dampfmaschine hat ihren Ursprung Ende der 17. Jahrhunderts. Ganz im Zeichen beider vorzeitlicher Errungenschaften stand am Pfingstmontag das Achertal.
Anlässlich des Mühlentags schnaubte erstmals seit Jahren wieder ein Dampfzug zwischen Achern und Ottenhöfen – mit großem Erfolg. Dem Achertäler Eisenbahnverein wurden die Tickets schier aus den Händen gerissen.
Schon weit vor der Ankunft des Sonderzuges großes Gewusel auf dem Bahnsteig in Achern: Familien mit Kindern beherrschen die Szenerie und umlagern den improvisierten Verkaufsstand. Martin Isenmann, einer der Ticketverkäufer des Vereins, ist baff angesichts des riesigen Interesses: „Mit diesem Ansturm haben wir nicht gerechnet.“ Es zeichnet sich ab: Nicht jeder, der sich eingefunden hat, wird gleich bei der ersten Tour mitfahren können.
Gelebte Eisenbahnromantik
Eher auf leisen Sohlen denn fauchend kündigt sie sich an – die stattliche 23058 aus der Nachkriegszeit, mit der die Deutsche Bundesbahn noch Personen befördert hatte, bevor die Dampfzüge letztlich aus dem Verkehr gezogen wurden. Doch Energieeffizienz und Schadstoffausstoß sind an diesem Tag kein Thema, als der von der „Karlsruher Dampfnostalgie“, einer Sektion der Ulmer Eisenbahnfreunde, gecharterte Zug stillsteht. Die Eisenbahnromantik kennt auch kein barrierefreies Einsteigen.
Ehrenamtliche des Achertäler Eisenbahnvereins helfen beim Stufenklettern. „Kinderwagen hinten in den Gepäckwagen!“, ruft einer von ihnen. Drinnen sind die Sitzplätze der zweiten Klasse (Vorkriegszeit) schnell belegt. Wer zu spät kommt, steht geduldig zwischen den Reihen.
Fahrt mit Enkeln
Bernhard Sauer aus Renchen ist mit seinen Enkeln Julian und Emil zugestiegen, die ganz gebannt das Treiben rundherum beobachten. Einer der beiden ist aus Hamburg zu Besuch, er weiß sicher später in der Hansestadt viel zu erzählen. Sandra Meier aus Seebach hat mit ihren drei Jungs zwei Sitzbänke ergattert. „Cool“, finden sie den alten Zug.
Auch für die Mutter geht ein Traum in Erfüllung, hat sie doch als Kind dem früheren Museumszug mit der Badenia-Lok 28 immer gerne hinterhergeschaut, wenn es am Elternhaus in Furschenbach vorbei ratterte. Eine andere Mutter schildert: „Ich kenne das noch von früher und finde es toll, dass unser Sohn das auch einmal erleben darf.“
„Es ist herrlich, zumal die Sonne scheint“, genießt Tobias Bauer zusammen mit der Familie die erste Hinfahrt nach Ottenhöfen und das Ausflugswetter. Zweimal verkehrt der Sonderzug am Pfingstmontag, zurück nach Achern fährt die Lok mit dem Tender voraus. Der Eisenbahnverein stellt Lokführer und Heizer. Letztere müssen wie eh und je Kohle schippen. Die Temperaturen im Führerhaus mit dem brodelnden Kessel sind hochsommerlich.
Auch im Zug sind fast alle Scheiben heruntergelassen. Wer als Passagier einen Fensterplatz ergattert hat, lässt sich den Fahrtwind um die Nase wehen. Draußen sausen die Zaungäste vorbei, die zu Hunderten die Strecke säumen, mit Handys fotografieren und grüßen. Ein Hof in Furschenbach winkt mit Kind und Kegel und hat zusätzlich eine kleine Ziegenherde in Position gebracht.
Das sind Zeichen, dass im Tal was fehlt.Marco Graf Vorsitzender Achertäler Eisenbahnverein
Die enorme Resonanz und die große Sympathie kommen für den Vorsitzenden Marco Graf nicht von ungefähr: „Das sind Zeichen, dass im Tal was fehlt.“ Der Achertäler Eisenbahnverein habe mit erheblichem finanziellen Risiko die Aktion „Pfingstdampf am Mühlentag“ auf die Schiene gesetzt.
Schaffner Yannick Angerer, stellvertretender Vorsitzender, strahlt vor Freude: „Der Ticketverkauf hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen.“ Zugführer Hans-Peter Fantoli gibt per Lautsprecherdurchsage schon mal zu verstehen, dass auch 2023 wieder unter Dampf gefahren werden soll.