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Acherner OB im Interview

Corona-Folgen für die Gesellschaft: "Eine Rezession ist nicht mehr abwendbar"

Was kommt nach Corona? Das Miteinander in den Kommunen wird sich verändern, die Städte und Gemeinden stehen vor ungeahnten Herausforderungen. Das geht bis hin zum Vereinsleben, das unter dem Shutdown nachhaltig leidet. Acherns OB Klaus Muttach versucht im Interview eine Einordnung.

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Auch die Vereine stecken in der Corona-Krise. Vielen vor allem kulturtreibenden Vereinen ist es aber auch schon vorher nicht wirklich gut gegangen. Foto: Erichsen

Was stellen Corona und der daraus entstandene Shutdown mit unserer Gesellschaft an? Was bleibt übrig vom kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Leben in einer Stadt wie Achern? Über die Folgen der Krise, die man derzeit allenfalls erahnen kann, sprach Oberbürgermeister Klaus Muttach mit unserem Redaktionsmitglied Frank Löhnig.

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Was bleibt von den Haushalts- und Finanzplanungen der Stadt Achern?

Klaus Muttach: Wir vollführen als Gesellschaft derzeit eine Gratwanderung. Das gilt auch für die Rückführung der Einschränkungen wegen Corona, doch bereits jetzt ist klar: Die Finanzen werden massiv leiden, erwartete Einnahmen aus der Gewerbesteuer werden nicht kommen. Uns erreichen derzeit fast täglich Anrufe, in denen wir um die Stundung von Gewerbesteuerzahlungen gebeten werden. Das lässt erahnen, auf was sich die Kommunen einstellen müssen. Eine Rezession ist nicht mehr abwendbar.

Städte und Gemeinden sollten in solchen Zeiten aber möglichst antizyklisch unterwegs sein. Ich habe also das Ziel, möglichst viel von dem umzusetzen, was wir bei den Haushaltsberatungen veranschlagt haben. In der jetzigen Zeit hätte ich überhaupt keine Schmerzen, die geplante Verschuldung auch auszuschöpfen. Wir konnten uns in den vergangenen Jahren ein schönes Polster aufbauen. Und die Ziele, die wir verabredet haben, sind gut.

Das größte Projekt der kommenden Jahre für Achern ist der Neubau eines Klinikums. Wird es da Verzögerungen geben, vielleicht auch noch einmal Änderungen am Konzept?

Muttach: Eine Verzögerung von ein paar Wochen will ich nicht ausschließen, schließlich konnten und können wir derzeit keine Gremienarbeit leisten. Doch ich sehe nicht, warum an den grundsätzlichen Entscheidungen gerüttelt werden sollte. Wenn ich mir überlege, welche Krankenhäuser die Säulen in der Krise waren und sind, wo die Zentren im Kampf gegen Corona entstanden sind, dann stelle ich fest, dass diese Häuser auch die Säulen der Agenda 2030 sind.

Das bestätigt also das Konzept des Kreises. Dass wir dringend Reformen brauchen, hat man auch daran gesehen, wie schnell wir Personal aus anderen Häusern zusammenfassen mussten, um in diesen Kliniken gut aufgestellt zu sein.

Der Bau der Krankenhäuser benötigt allerdings viel Geld – Geld, dass bei Kommunen, Kreis und Land in den kommenden Jahren knapp sein könnte …

Muttach: Wir kriegen eine Delle, und die wird ordentlich ausfallen. Doch der Offenburger Finanzbürgermeister Hanspeter Kopp und ich haben ein Finanzierungskonzept erarbeitet, wie Sie sich erinnern werden, das uns hier wichtige Spielräume gibt. Die immer wieder gescholtene „Schwarze Null“ des Kreises gibt uns die Chance, mit dem jetzt nötigen Anstieg der Schulden umzugehen.

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Will festhalten an den geplanten Investitionen: Der Acherner Oberbürgermeister Klaus Muttach. Foto: privat

Viele Vereine kämpfen seit Jahren ums Überleben. Wird ihnen jetzt die erzwungene Auszeit durch Corona den Todesstoß versetzen? Gerade Gesangs- und Musikvereine werden ja auf geraume Zeit hinaus kaum zusammen proben können, zudem fehlen ihnen, wie vielen anderen auch, die Einnahmen aus Veranstaltungen.

Muttach: Ich hoffe nicht, dass das Vereinsleben leidet. Die Sehnsucht nach Vereinsarbeit ist durch die Kontaktsperre eher gewachsen, ich merke das an mir selbst. Ich freue mich darauf, dass wir bald wieder in unserer Radsportgruppe zusammen fahren werden. Aber natürlich wird man in vielen Fällen über die Regeln des Umgangs miteinander nachdenken müssen. Man merkt jetzt, dass viele Dinge einen Wert haben, die man bisher als selbstverständlich hingenommen hat.

Der Einzelhandel darbt, auch wenn es nun weitreichende Lockerungen gegeben hat. Wird das dauerhafte Folgen für die Strukturen in der Geschäftswelt und das Stadtbild haben?

Muttach: Es gibt längst schon Veränderungen, der Trend zum Onlinehandel besteht nicht erst seit Corona. Wir versuchen, dem durch eine attraktive Innenstadt entgegenzusteuern. Wir wollen, dass man mit dem Einkaufen ein Wohlgefühl verbinden kann, das man sich in der Stadt gerne aufhält. Ich sehe natürlich die Gefahr, dass die Entwicklungen zum Onlinehandel, die aus der Not heraus entstanden sind, sich jetzt verstärken und verfestigen. Deshalb müssen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, was mit dem Einzelhandel an Positivem verbunden ist.

Wir werden über den Umgang miteinander in vielerlei Hinsicht nachdenken müssen. Was bedeutet das für die Betreiber von Pflegeheimen – und für die Menschen, die dort wohnen?

Muttach: In Seelbach sind mehrere Menschen in einem Pflegeheim erkrankt. Gerade Pflegeheime werden besonderen Schutz bauchen, aber eine völlige Isolierung halte ich für undenkbar. Die Menschen freuen sich sehr, wenn sich mal jemand meldet. Ich habe kürzlich einer Jubilarin gratuliert, die hatte unter ihrem Balkon einen Tisch mit Gläsern und einer Flasche Sekt aufstellen lassen, damit man sich wenigstens aus der Ferne zuprosten konnte.

Wenn ich mir vorstelle, dass ich in einem Pflegeheim bin und meine Tochter mich nicht besuchen darf, das wäre nicht schön. Wir müssen Wege finden, wie wir miteinander umgehen können ohne unvorsichtig zu sein. Die Nähe zu den Menschen fehlt mir persönlich auch.

In einer Krise finden viele auch wieder zu Gott – wird die Nähe zu den Kirchen, die ja ebenfalls mit der Krise umgehen müssen, wieder wichtiger werden?

Muttach: Ich bin ein Mensch mit festem Glauben, für mich persönlich ändert sich nichts. Die Online-Gottesdienste fand ich wirklich gut, sie wurden von den Menschen auch mit großem Interesse angenommen. Das war eine andere Form des Gottesdienstes, aber keine schlechte. Das könnte also eine Chance sein …

Was ebenfalls nicht stattfindet, ist unsere Demokratie auf lokaler Ebene. Gemeinderatsitzungen sind die Ausnahme, und auch der Kreistag kann wichtige Beratungen zum Beispiel zu den Kliniken nicht führen. Wird man über Techniken nachdenken, um auf solche Dinge besser vorbereitet zu sein?

Muttach: Diese Frage müsste man zunächst dem Gesetzgeber stellen. Wir wären ja in der Lage, eine Videokonferenz zu machen, aber wie stellen wir den Grundsatz der Öffentlichkeit solcher Beratungen sicher? Wie schaffen wir es, dass auch Bürger ohne Computer teilhaben können? Wir haben inzwischen viele Videokonferenzen, beispielsweise mit dem Landrat, im Aufsichtsrat der Wirtschaftsregion Ortenau oder auch mit den Ortsvorstehern. Das hat auch ökologische Vorteile. Aber da, wo die Wege kurz sind, ist der Vorteil, an einem Tisch zu sitzen, nicht zu leugnen.

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