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Jäger: Gefährliche Vermehrung

Jagdverband wehrt sich gegen längere Schonzeit für Nutrias im Südwesten

Nutrias stammen eigentlich aus Südamerika, doch die Pelztiere breiten sich in Deutschland immer stärker aus und werden mancherorts zur Plage. In Baden-Württemberg wehrt sich der Jagdverband nun gegen eine drohende Verkürzung der Jagdzeit.

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Als Nutria und auch als "Sumpfbiber" oder "Biberratte" ist das plumpe Nagetier mit den dicken orangefarbenen Frontzähnen bekannt. Es stammt ursprünglich aus Südamerika und hat sich im Südwesten besonders in der Rheinregion stark ausgebreitet. Foto: dpa Foto: None

Manche Spaziergänger finden die Tiere niedlich und füttern sie sogar, andere ekelt es vor den dicken, pelzigen Brummern, die sich an vielen Gewässern auch in der Region kräftig vermehrt haben: Nutrias polarisieren. Und die Jägerverbände warnen vor den negativen Folgen für Natur und Hochwasserschutz. Bundesweit wurden in der abgelaufenen Jagdsaison so viele Nutrias erlegt wie nie.

Jäger sehen "explosionsartige Vermehrung"

In Baden-Württemberg protestiert der Jagdverband gegen eine geplante Verkürzung der Jagdzeit. Von einer „explosionsartigen Vermehrung“ sprechen die Jäger – und schlagen Alarm, weil sich die südamerikanische Nutria in immer mehr deutschen Regionen breit macht. Und in Baden-Württemberg verschärft die sogenannte Biberratte den aktuellen Streit um die Reform des Jagdrechts.

Es geht um zwei Wochen Schonzeit

„Die allgemeine Schonzeit soll vom 1. März auf Mitte Februar vorverlegt werden“, sagt Landesjägermeister Jörg Friedmann. „Dadurch würde die Jagdzeit auf Nutrias um zwei Wochen verkürzt – dazu sagen wir ganz klar: Nein!“

Einen „Allzeitrekord“ vermeldete gerade der Bundesjagdverband: „Knapp 62.000 Nutrias haben Jäger im vergangenen Jagdjahr 2018/19 erlegt – das sind knapp 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor und 261 Prozent mehr als vor zehn Jahren“, gab die Vereinigung anlässlich der großen Messe „Jagd und Hund 2020“ in Dortmund bekannt – und forderte ein konsequentes Vorgehen gegen die Nager.

Milde Winter und Hochwasserschutz bedeuten mehr Nachwuchs

„Aufgrund anhaltend milder Winter kann sich die Nutria stark ausbreiten“, warnt der Verband. „Der Pflanzenfresser aus Südamerika untergräbt Deiche und frisst bedrohte Röhrichtarten.“ Im Südwesten haben sich die pelzigen Eindringlinge mit den markanten orangefarbenen Schneidezähnen besonders an der Rheinschiene stark vermehrt.

„Aufgrund der hier getroffenen Hochwasserschutzmaßnahmen ist in diesen Regionen vorrangig von Konflikten auszugehen“, räumt ein Sprecher des baden-württembergischen Agrarministers Peter Hauk (CDU) ein.

Der Damm wurde bei uns undicht,
weil Nutrias dort gegraben hattenHans-Jürgen Morgenstern, Ortsvorsteher in Gamshurst

Was das bedeuten kann, wenn der Hochwasserpegel gefährlich steigt – das hat Hans Jürgen Morgenstern, Ortsvorsteher von Achern-Gamshurst, voriges Jahr erlebt. „Der Damm bei uns wurde undicht, weil die Nutrias dort gegraben hatten“, berichtet er. „Wir mussten die Schäden mit Sandsäcken abdichten.“

Am Ufer der Acher und auch auf Wiesen und Äckern stießen die Bürger häufig auf „Nutriaratten“, erzählt der Kommunalpolitiker. „Von meinem Haus aus kann ich manchmal sehen, wie sich die Tiere sonnen.“

Sechs Euro pro Tier

Schon allein wegen der Dammstabilität müssten die Gamshurster nun reagieren, sagt Morgenstern. „Früher gab es Nutria-Jäger, die eine Fellprämie erhielten  -  wir wollten so jemanden anfordern", erzählt der Kommunalpolitik, aber das sei kompliziert.

Zunächst habe er die Auskunft erhalten, dass Nutrias nur noch durch Jäger in ihrem jeweiligen Jagdbezirk erlegt werden dürfen. Erst nach nochmaligen verwaltungsinternen Gesprächen sei nun klar: Ein Nutria-Jäger darf kommen, "sofern der Jagdpächter damit einverstanden ist". Der Bauhof bezahle für jedes Tier sechs Euro.

Nutria-Jagd oft nur mit Fallen möglich

Die Jagd sei sehr zeitaufwendig, betont Landesjägermeister Friedmann: „Nutrias haben eine hohe Vermehrungsrate, die Weibchen sind alle 26 Tage fruchtbar.“ Obendrein seien die Tiere tag- und nachtaktiv. „Das erschwert die Jagd auch“, sagt Friedmann.

1996 wurde der „Sumpfbiber“, wie Nutrias auch heißen, ins Landesjagdrecht aufgenommen. Derzeit gilt: In der Zeit vom 1. August bis 28. Februar dürfen Jäger auf die Tiere schießen oder Lebendfallen stellen. Da der Klimawandel die Natur jedoch immer früher erwachen lässt, will Baden-Württemberg die Jagdzeit künftig schon Mitte Februar beenden. Ob das Agrarministerium den Protest der Jäger erhört und die Nutria-Jagdzeit anderweitig ausdehnt, wird sich bis zum Sommer zeigen.

Da die plump aussehenden „Sumpfbiber“ häufig auch an Gewässern in Wohngebieten leben, ist der Einsatz von Schusswaffen oft nicht möglich. Der Fallenjagd kommt daher eine große Bedeutung zu. „Wir werden da die Unterstützung der Gemeinden brauchen“, sagt Landesjägermeister Friedmann. Das heißt auch: Geld für Fallen.

Plagegeister brachen aus Pelzfarmen aus

Friedmann verweist darauf, dass die Jagdpächter das Nutria-Problem ja nicht verursacht hätten. Vor Jahrzehnten sind die „Sumpfbiber“ mit dem dicken Fell aus Pelzfarmen ausgebüchst. „Explosionsartig“ haben sie sich laut Friedmann in den Rheinlandschaften vermehrt.

Landesweit erlegten die Jäger im Südwesten in der vergangenen Jagdsaison 2.062 Nutrias. Das ist zwar – anders als im Bund – kein neuer Rekord, doch der Langzeittrend ist trotz kleiner Schwankungen eindeutig: In der Saison 1997/98 wurden gerade mal 108 Tiere erlegt, 2002/03 waren es bereits 1.259 – und in der Saison 2016/17 die bisherige Höchstzahl von 2.876 Nutrias.

Naturschützer: Verwechslungsgefahr für Biber

Auch die Naturschützer des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) räumen ein, dass Nutrias als invasive Art eigentlich nicht „hierher gehören“. Sie mahnen allerdings große Vorsicht bei der Jagd an. „Nutrias werden sehr leicht mit dem Biber verwechselt, der unter Artenschutz steht“, sagt Lilith Stelzner, Naturschutzreferentin des BUND-Landesverbandes. Und sie verweist darauf, dass Nutrias in ihrer Heimat Südamerika „fast ausgerottet“ wurden. Das Gleiche dürfe nun nicht in Europa passieren.

Nutria, Bisamratte und Biber

Als Pelzlieferantin kam die Nutria vor rund 100 Jahren nach Deutschland. Tiere, die aus Pelzfarmen ausbüchsten, begründeten die heutige Population in Deutschland. Ursprünglich stammt das Nagetier, das an Gewässern lebt, aus Südamerika.

Rund 65 Zentimeter lang und zehn Kilo schwer kann es werden. Auffällig sind seine orangeroten Nagezähne. Viele Laien verwechseln die Nutria mit der Bisamratte oder dem Biber. Der Bisam ist jedoch deutlich kleiner als die Nutria, hat einen flacheren Schwanz – und gilt als noch größerer Landschaftsschädling, ist aber weniger verbreitet im Südwesten. Der Biber wiederum wird fast doppelt so groß wie die Nutria; sehr auffällig ist sein breiter, platter unbehaarter Schwanz.

Nutrias leben laut Agrarministerium bereits in einem Viertel der Gemeinden im Land. Sie graben auch Hochwasserdämme an. „Bei Neubauten werden deshalb Wühltier-Schutzschichten eingebaut“, erklärt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums Karlsruhe.

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