Lange hatten sich die Bürger in Nordrach keinen Reim auf den Polizeieinsatz am 13. Mai machen können. Jetzt wissen sie: Es ging um einen Schlag gegen einen bundesweit vernetzten Ring von Pädophilen. Doch was genau geschah in Nordrach? Die Ermittler sehen bei ihrer Arbeit in Abgründe.
Die Festnahme eines Bürgers unter dem Verdacht des Kindesmissbrauchs lässt die Menschen in Nordrach entsetzt zurück. „Der ganze Ort ist in Schockstarre“, sagt Bürgermeister Carsten Erhardt, der bereits sehr früh in die Ermittlungen der Kölner BAO „Berg“ eingebunden wurde.
Dass in dem Ort so schnell wieder der Alltag einkehrt, ist eher nicht zu erwarten. Die Pressekonferenz der Kölner Polizei über die Festnahme einer mutmaßlich zentralen Figur in einem bundesweit agierenden Kinderschänderring am Mittwoch hat enorme Medienresonanz gefunden.
Das sind für mich dunkle Tage. Das macht mich fertig.Carsten Erhardt, Bürgermeister Nordrach
Er habe mehr als 40 Anfragen erhalten, sogar von Zeitungen und Rundfunkstationen aus dem Ausland, sagt Bürgermeister Erhardt, inzwischen hätten sich mehrere Fernsehteams angesagt. Doch die Berichte werden keine Werbung für den Luftkurort sein. Die Menschen stehen unter Schock, sagt Erhardt: „Ich habe schon viel erlebt in meinem Beruf, aber das sind für mich dunkle Tage. Das macht mich fertig“.
Ermittler massiv unter Druck
Dies geht auch den mehr als 120 Polizisten so, die in der BAO Berg seit November vergangenen Jahres Stück für Stück das Puzzle aus Ungeheuerlichkeiten zusammentragen, über das sie freilich, um die Ermittlungen zu schützen, nur Bruchstücke an die Öffentlichkeit geben.
Doch 36 Pressemitteilungen zu den fortlaufenden Ermittlungen, die die Kölner Polizei inzwischen veröffentlicht hat, sprechen Bände – immer wieder ist von Festnahmen die Rede, vom Missbrauch möglicherweise auch der eigenen Kinder und von anderen unfasslichen Taten.
Besondere Aufbauorganisation
Welche Bedeutung die Polizei den Ermittlungen mit inzwischen mehr als 70 Tatverdächtigen und mindestens 40 Opfern zumisst, zeigt sich schon darin, dass die Beamten nicht in einer Sonderkommission arbeiten, sondern in einer „Besonderen Aufbauorganisationkommission“ (BAO). In der Ortenau gibt es solche Strukturen eher selten – zum Beispiel zur Vorbereitung des Nato-Gipfels.
Staatsanwaltschaft hält sich zu Nordrach bedeckt
Die Beamten werden von einer eigenen Einheit zur psychologischen Betreuung begleitet, denn sie blicken, das machte die Kölner Polizei deutlich, in Abgründe. Welche Rolle genau der Nordracher spielte, dessen Haus ein Sondereinsatzkommando am 13. Mai nach längerer Observierung gestürmt hatte, bleibt vorerst offen.
Ein Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, die die Fälle zentral bearbeitet, wollte am Donnerstag zunächst keine weitere Auskunft zu den in diesem Zusammenhang laufenden Ermittlungsverfahren geben. Die Polizei geht aber offenbar davon aus, dass der Mann bei den Chat-Kontakten der Pädophilen eine Schlüsselrolle hatte.
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Ob es in Nordrach auch zu Fällen physischen Kindesmissbrauchs kam, ist unklar. Die Polizei hatte bei ihrer Razzia Unterwäsche gefunden die „nicht dem Haushalt zuzuordnen“ sei, so hieß es. Was dies bedeutet – „ich werde mich hüten mich an Spekulationen zu beteiligen“, sagt Bürgermeister Erhardt.
Doch den Gedanken, dass der Mann sich im Internet nur „verklickt“ habe, den könne man getrost vergessen: „Die Pressekonferenz hat tief blicken lassen“.
Im Ort kursieren wilde Gerüchte
Erhardt wandte sich gegen Spekulationen und Ängste im Ort. Er habe bislang „keine Erkenntnisse“, dass beispielsweise Kinder aus Nordrach missbraucht worden seien. „Ich habe schon die tollsten Gerüchte gehört“, man müsse jetzt aufpassen, dass man die Familie des Mannes nicht in die Angelegenheit hineinziehe, die höchstwahrscheinlich von den Vorgängen nichts gewusst habe.
In 14 Tagen fast nicht geschlafen
Er sei sehr früh von den Ermittlern angesprochen worden, habe versucht, bestmöglich zu helfen und die Fragen zu beantworten, sagt der Bürgermeister. Dabei habe er auch Einiges über die Vorwürfe und Vorgänge erfahren, das er lieber nicht gewusst hätte, so Erhardt: „Die Polizisten machen einen der schlimmsten Jobs, die es auf der Welt gibt“. Auch er selbst leide erheblich unter dem Wissen, sagt Erhardt – „Ich weiß seit 14 Tagen davon, und ich habe in dieser Zeit fast nicht mehr geschlafen“.