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Zukunft badischer Kommunen

KIT-Professor Markus Neppl: "Die Preise auf dem Wohnungsmarkt sind absurd"

Die Städte und Gemeinden in Mittelbaden stehen vor großen Herausforderungen. Wohnungsnot und Klimawandel sind Probleme, die sich nur schwer miteinander vereinbaren lassen. Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am Karsruher Institut für Technologie (KIT), hat sich im Interview über die Zukunftsperspektiven der Kommunen im ländlichen Raum geäußert.

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Markus Neppl ist Professor für Stadtquartiersplanung am KIT. Foto: Ulrich Coenen

Immer mehr Menschen wollen in den großen Städten wohnen. Hat der ländliche Raum überhaupt noch eine Zukunft?

Markus Neppl: Wenn man sich die großen Metropolen anschaut, merkt man schnell, dass sie global und auch in Deutschland fast am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten angekommen sind. Die Frage kann deshalb nur sein, welche neuen Ideen wir für den ländlichen Raum entwickeln. Ich glaube, dass die kleineren Städte, gerade auch am Oberrhein, inzwischen bessere Möglichkeiten als die Großstädte haben. Wir übernehmen deshalb zunehmend Planungsaufgaben in kleineren Städten, arbeiten beispielsweise mit Ettlingen, Rastatt und den Pfinztal-Gemeinden zusammen.

Mega-Citys erwürgen sich selbst

Man darf Stadt und Land also nicht gegeneinander ausspielen.

Neppl: Wenn wir die Mega-Citys weiter aufblasen, erwürgen sie sich irgendwann selbst. Das Städtenetzwerk am Oberrhein ist gar nicht so schlecht. Es ist in der Lage, viel schneller zu reagieren als die Metropolen. Natürlich müssen wir Mobilität, Arbeit, Gewerbe und Klimaprobleme lösen. Wir brauchen den ländlichen Raum und die Großstadt. Wir müssen beides intelligent entwickeln, sonst finden wir keine Antwort auf die Fragen der Zukunft.

Dennoch hat die Architekturfakultät des KIT die Professur für Bauen im ländlichen Raum nicht neu besetzt und durch das Fach Stadt und Wohnen ersetzt. Lässt die Architektenausbildung den ländlichen Raum im Stich?

Neppl: Das Fach ländlicher Raum hat sich inzwischen fast quer durch die ganze Fakultät etabliert. Die Vorstellung, dass sich ein Professor speziell um eine Maßstabsebene kümmert, funktioniert nicht mehr. Ob es sich um ein Projekt in Bühl oder Berlin handelt, ist nicht wichtig. Wir müssen auf die Zukunftsthemen reagieren, in welcher Stadt, ist relativ egal.

Naturraum ist für Stadtplaner tabu

Nicht nur in den Großstädten, sondern auch in den prosperierenden Mittelstädten am Oberrhein herrscht Wohnungsmangel. Dennoch führen Nachverdichtungen regelmäßig zu Anwohnerprotesten, die oft vor dem Verwaltungsgericht enden.

Neppl: Kompakte Städte haben gegenüber aufgelösten Stadtkonfigurationen einige Vorteile. Man braucht eine gewisse Dichte, um eine gute Infrastruktur zu bieten. Jede Generation hat sich bisher in die Fläche ausgedehnt. Diese Lösungsoption gibt es in Karlsruhe und den kleineren Städten zwischen Rastatt und Offenburg nicht mehr. Jede weitere Inanspruchnahme von Fläche zerstört Naturraum. Das erhöht den Druck auf die freien Flächen in den Städten, die außerhalb des Zentrums längst nicht immer dicht bebaut sind. Wir werden unsere Städte transformieren müssen. Selbst wenn wir es nicht wollen, wird es unter den veränderten Rahmenbedingungen passieren.

Preise auf dem Wohnungsmarkt sind absurd

Gleichzeitig wird Wohnen für Mieter und Käufer beinahe unbezahlbar.

Neppl: Die Zinspolitik befeuert den Wohnungsmarkt enorm. Es werden Preise aufgerufen, die absurd sind und mit dem eigentlichen Wert nichts mehr zu tun haben. Nachverdichtung geschieht schleichend. Wer beispielsweise in Bühl zu den üblichen hohen Preisen ein Grundstück kauft, wird immer versuchen, das Maximum herauszuholen. Früher hätte man auf ein Grundstück mit 1.000 Quadratmetern ein Haus gesetzt, heute will man sechs bis acht Wohneinheiten irgendwie unterbringen. Mit Stadtplanung hat das im Grunde nichts mehr zu tun.

Kein Recht auf Sonne und Aussicht

Der berüchtigte Paragraf 34 des Baugesetzbuches sorgt gerade in Bühl regelmäßig für Nachbarschaftsstreitigkeiten. Er regelt außerhalb von gültigen Bebauungsplänen die Zulässigkeit von Vorhaben, die sich eigentlich in den städtebaulichen Zusammenhang einfügen sollen.

Neppl: Der Paragraf 34 war bei Einführung des Baugesetzbuches eigentlich als Übergangslösung gedacht. Man konnte damals nicht alle Siedlungsgebiete mit Bebauungsplänen überziehen. Heute ist es sehr komplex und zeitaufwendig, eine Bebauungsplanung zu machen. Deshalb ist der Paragraf 34 in vielen kleineren Städten und Gemeinden der Regelfall. Natürlich ist der Nachbar nicht begeistert, wenn auf dem freien Grundstück nebenan ein großes Gebäude entsteht. Es gibt aber kein Recht auf Sonne und auf Aussicht.

Was wird aus Baden-Badens Villengebieten?

In der Kurstadt Baden-Baden sind die historischen Villengebiete mit ihren großen Gärten von Nachverdichtungen betroffen.

Neppl: Das Problem gibt es auch in Heidelberg, wo ich dem Gestaltungsbeirat angehöre. In beiden Städten gibt es Hänge mit unglaublichen Wohnlagen. Dort stehen Häuer auf Grundstücken mit 1.500 Quadratmetern. In Heidelberg werden sie oft für riesige Erträge verkauft. Anschließend werden Bauanträge für große Gebäude gestellt, bei denen man sich die Augen reibt. Für die Kommunen ist das ein schwieriges Thema, weil die Politik ja gleichzeitig neuen Wohnraum will.

Kein Beitrag für die Zukunft

Gruppierungen wie Stadtbild Deutschland fordern Neubauten in historischen Formen. Auch in Baden-Baden sind bereits solche Villen entstanden. Das wichtigste Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist ein komplettes Quartier: die Neue Frankfurter Altstadt.

Neppl: Die Neue Altstadt passt zu Frankfurt, weil es ein Frankfurter Sehnsuchtswunsch war. Ich finde sie aber sehr künstlich, sie berührt mich nicht. Die Neue Altstadt ist kein Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Städte. Sie geht an den wirklichen Zukunftsfragen vorbei. Villen in historischen Formen sind inzwischen übrigens ein Geschäftsmodell, das extrem erfolgreich ist. Nagelneue Häuser mit moderner Gebäudetechnik und Dämmung sehen aus wie aus dem Jahr 1890.

Es geht um die Grundsätze unserer Gesellschaft

Riklef Rambow, Professor für Architekturkommunikation am KIT, hat am 20. März 2019 im Interview mit dieser Zeitung gesagt, dass viele Menschen moderne Architektur nicht kuschelig finden.

Neppl: Die Diskussion ist müßig. Es gibt selbstverständlich viele gute zeitgenössische Gebäude, die zukunftsfähige Lösungen für die Stadt bieten. Die notwendige Diskussion über die Entwicklung unserer Städte geht an die Grundätze unserer Gesellschaft, bei der Architektur aus der Zeit Kaiser Wilhelms nicht weiterhilft. Was ist die Rolle von Eigentum? Wie ist unsere Verantwortung für die nächste Generation? Wie kommen wir zu einem ausgewogenen Wohnungsmarkt? Wie brauchen Ideen für Stadt, Klima, ländlichen Raum und Infrastruktur.

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