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Mahnmal Gedächtnislücke

Brunnen-Philipp und Dienstmann Bolian

Kunstgenuss trotz Corona: Was es mit den Skulpturen in Achern auf sich hat

In Zeiten geschlossener Museen wegen Corona laden Skulpturen im öffentlichen Raum dazu ein, neu entdeckt zu werden. Ein Kunstspaziergang durch Achern lüftet die Geheimnisse der Kunstwerke.
von Joachim Eiermann
5 Minuten
von Joachim Eiermann
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Museen und Galerien sind geschlossen. Nur digital lässt sich derzeit deren Kunst betrachten – ohne haptischen Eindruck. Einen solchen bieten indes die frei zugänglichen Skulpturen im öffentlichen Raum.

Auch in Achern lässt sich so ein Kunstspaziergang unternehmen. Die Pandemie kann somit ein Anreiz sein, sich mit Kunstwerken aus dem 20. und 21. Jahrhundert, an denen man im Alltag bislang mehr oder weniger achtlos vorbeigelaufen ist, näher zu befassen.

Stoisch hockt er, in Bronze gegossen, seit mehr als einem Jahrhundert auf dem Adlerplatz. Das wohl bekannteste Kunstwerk der Hornisgrindestadt entstand 1908, noch zur Zeit des badischen Großherzogs Friedrichs II., als Achern 100 Jahre Stadtrecht feierte.

Brunnen-Philipp auf dem Acherner Adlerplatz

Mit Hilfe von Spenden einheimischer und ausgewanderter Bürger wurde der Künstler Konrad Johann Taucher (1873-1950) für den Jubiläumsbrunnen engagiert.

Der gebürtige Nürnberger hatte an der Kunstgewerbeschule seiner Heimatstadt studiert und arbeitete seit drei Jahren als freischaffender Bildhauer in Karlsruhe.

Seine Referenzen in Form zweier Jünglings-Brunnen in der Fächerstadt (vor der Kleinen Kirche beim Marktplatz) und in Freiburg (Colombipark) dürften ihm zum Auftrag in Achern verholfen haben.

Skulptur
Der Brunnen-Philipp des Karlsruher Bildhauers Konrad Johann Taucher trauert: Seine Liebschaft einer Seejungfrau starb im Morgengrauen. Foto: Joachim Eiermann

Der Brunnen-Philipp nimmt eine Denkerpose ein, das Kinn auf die Faust der rechten Hand gestützt. Über was der junge, nackte Mann mit dem Hirtenstab grübelt, bleibt heute der Fantasie des Betrachters überlassen.

Dem war jedoch nicht immer so, denn ursprünglich zierte ein Majolika-Fries mit Nixen die Rückwand, einer Kulisse gleich; und das Wasser sprudelte aus Mündern von Faun-Gesichtern.

Diese Elemente der Brunnenanlage haben die Zeit nicht überdauert. Das einstige Ensemble inszenierte die Mummelsee-Sage vom trauernden Hirtenjungen, der mit einer Seejungfrau die Nacht durch bis zum Morgengrauen tanzte, was ihr Todesurteil bedeutete.

Alisi-Brunnen auf dem Acherner Marktplatz

Als Achern 175 Jahre Stadtrecht feierte (1984 mit einjähriger Verspätung), gab‘s wieder ein Wasserspiel mit Kunst: Der Alisi-Brunnen wurde zur Fertigstellung des neuen Marktplatzes übergeben. Und erneut wurde mit Robert Günzel ein Bildhauer aus Karlsruhe tätig.

Seine Aufgabe: eine Anekdote in Bronze zu verewigen. Pate stand das Alt-Acherner Original Emil Hermann Burkhard, genannt „Becken-Alisi“ wie der Vater Alois, beide Bäcker von Beruf. In der Fastnachtszeit 1870 kündigte er vollmundig an, einen Hochseiltanz zu vollführen.

Das Tau wurde am einstigen Gasthaus Engel gespannt, erzählt man sich. Der vermeintliche Artist kletterte aus dem Fenster und hielt die Burschen auf der anderen Seite an, jetzt besonders fest zu ziehen. Blitzschnell zog er ein Messer und kappte das Seil, sodass die Jungen in den Dreck des Adlerplatzes purzelten.

Skulptur
Ein Werk des späteren Kunstprofessors Robert Günzel: Acherner Burschen, die in den Schlamm stürzen, gefoppt vom „Becken-Alisi“. Foto: Joachim Eiermann

Günzel fängt genau den Moment des Stürzens ein. Seine Skulptur ist umgeben von vier Wasserbändern, die den aufspritzenden Schlamm symbolisieren. Das Seilende, das die geneppten Burschen noch in der Hand halten, lenkt den Blick nach oben.

An einer Gebäudewand triumphiert der schlitzohrige Bäcker mit herausgestreckter Zunge. Die Derbheit des Scherzes spiegelt sich auch in der Gestalt der dynamisch wirkenden Figuren wieder, die Günzel kantig und rustikal gestaltet hat.

Der Künstler (Jahrgang 1938) hatte in Münster Malerei und in Karlsruhe Bildhauerei studiert. Ein Jahr nach dem Auftrag in Achern machte er Karriere als Kunstprofessor an der Universität Hildesheim.

Dienstmann Bolian auf dem Bahnhofsvorplatz in Achern

Wer über einen menschenleeren Bahnhofsvorplatz schreitet, ist dennoch nicht allein. Da ist noch der schnauzbärtige Dienstmann Bolian, der vor dem Eingangsbereich stehend auf seine Taschenuhr in der linken Hand schaut.

Dem schrulligen Alt-Acherner Original hat Walter Gerteis (1921-1999) ein lebensgroßes Bronzedenkmal gesetzt. Es entstand 1993 im Zuge der Neutrassierung der Rheintalbahn und dem Bau des neuen Bahnhofs.

Der gebürtige Freiburger, 1962 als Kommandant des Bundeswehr-Standorts nach Achern gekommen, hat zudem an den Aufgängen zu den Bahnsteigen zahlreiche Backstein-Reliefs vor allem zur Eisenbahngeschichte geschaffen.

Skulptur
Dem trinkfreudigen Dienstmann Bolian hat Walter Gerteis auf dem Bahnhofsvorplatz ein Denkmal gesetzt. Foto: Joachim Eiermann

Weitere Wandplastiken finden sich an den Bahnunterführungen der Kirchstraße sowie in Fautenbach und Önsbach. Nach seiner Pensionierung 1978 hatte sich Gerteis ganz der Kunst zugewandt, in seinem Atelier in Sasbach führte er vor allem Auftragsarbeiten aus.

Der Bolian ist eines seiner markantesten Werke. Zur Skulptur zählten ursprünglich auch ein Handgepäckwagen nebst Koffer. Die Bahn räumte diese Requisiten vor Jahren weg, nachdem sie mehrfach Ziel von Vandalen waren.

Ein weiteres Attribut versteckt der Dienstmann mit der rechten Hand hinter seinem Rücken: eine Flasche Borbel. Bolians Trinkfreudigkeit ist Legende, seine Schlagfertigkeit ebenfalls. Als er einmal einen Ochsen führte, soll er angegangen worden sein: „Wo geh’n ihr zwei Ochse na?“ Antwort: „Am dritten vorbei.“

RaumKlang am Gymnasium Achern

Im rückwärtigen Bereich des Gymasiums vor dem Musikpavillon (frei zugänglich über den Wirtschaftsweg) setzt die Skulptur „RaumKlang“ ein Zeichen zwischen den Gebäudeblöcken.

Sie weckt Assoziationen an eine Harfe oder Leier, ihr abgeschrägter, fünfgliedriger Fächer ist himmelwärts geöffnet. Der Künstler Manfred Emmenegger-Kanzler (Jahrgang 1953) aus Ottersweier hat dieses „Heavy-Metal-Instrument“ entworfen und aus Cortenstahl anfertigen lassen.

Denkmal
Wuchtig und doch von leicht wirkender Gestalt: „RaumKlang“ von Manfred Emmenegger-Kanzler. Foto: Joachim Eiermann

Anlass dazu gaben das 125-jährige Bestehen der Schule und die Eröffnung der Schülerakademie Kunst mit Neubau im Jahr 2002. Eltern hatten dafür gespendet.

Wie andere Arbeiten des Stahlplastikers und Keramikers, die an vielen öffentlichen Plätzen der Region zu finden sind, zeugt auch diese von seiner Faszination für Räume und Raumphänomene.

Nichts ist zufällig im Schaffen von Emmenegger-Kanzler, der mit architektonischer Präzision arbeitet und mit den Formen experimentiert. Sein von Edelrost überzogener „RaumKlang“ ist materiell von wuchtigem Ausmaß, aber gleichwohl von leicht wirkender Gestalt.

Gedächtnislücke in der ehemaligen Heilpflegeanstalt Illenau

Beteiligt war Manfred Emmenegger-Kanzler auch am künstlerischen Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft in der ehemaligen Heilpflegeanstalt Illenau.

Zusammen mit dem Maler Franz Rothmund (1945-2017) realisierte er 2016 mit Stahl und Glas einen langgezogenen, tiefen Einschnitt in den nördlichen Fußweg vor dem Haupteingang. Anstelle von Stolpersteinen soll dieses in den Boden eingelassene Mahnmal keine „Gedächtnislücke“, so sein Titel, aufkommen lassen.

Tafeln an diesem und vier weiteren Orten des Gedenkens erinnern an 254 ermordete Patienten und Zwangssterilisationen in der Illenau, an deportierte und ermordete jüdische Bürger sowie an polnische Mädchen, die zur „Eindeutschung“ nach Achern verschleppt wurden.

Der quer über den Weg verlaufende Riss, wie er bei einem Erdbeben hätte entstanden sein können, resultiert aus einem Wettbewerb, den mit Hanna Buck und Rebecca Schmidt zwei Studentinnen der Pädagogische Hochschule Freiburg gewonnen hatten. Bei Dunkelheit wird die eindrückliche wie einzigartige „Gedächtnislücke“ zur Lichtskulptur, allerdings sind inzwischen einige der Leuchten im Boden defekt.

Schwarze Eiche in der Illenauer Straße in Achern

Nicht betitelt ist die rund fünf Meter hohe Baumstele, die sich vor dem Gothaer-Versicherungsgebäude in der Illenauer Straße, Ecke Karl-Hergt-Straße, erhebt.

Im Jahr 2000 als Kunst am Bau auf öffentlich zugänglichem Privatgrund aufgestellt, trotzt die schwarz gefärbte, fragile Skulptur aus Eichenstammholz Wind und Wetter.

Mit der Kettensäge geformt hat sie der Holzplastiker Armin Göhringer (Jahrgang 1954), dessen Kunst eine eigene, archaische Formensprache mit rauer Textur prägt.

Denkmal
Mit der Kettensäge bearbeitet: Eichenstele des Holzplastikers Armin Göhringer. Foto: Joachim Eiermann

Wer langsam um die im Grundriss dreieckig gearbeitete, fast kultartig erscheinende Stele herumgeht, entdeckt das Besondere: Kleine „Fenster“, die Licht durchlassen und so eine vertikale Kette von Punkten bilden.

Die Anzahl der Öffnungen entspricht den Jahren beruflicher Selbstständigkeit des Bauherrn Uwe Zehe zum Zeitpunkt der Aufstellung.

Da ist aber auch die tiefe Einkerbung auf der Rückseite, die den Stamm, wie senkrecht vom Blitz getroffen, zu spalten scheint. In den Werken des viel gefragten Künstlers aus Nordrach artikuliert sich auf transzendente Weise der geheimnisvolle Schwarzwald.

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