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Frau beliebt in Ortenau-Klinikum

Mordprozess Rot am See: Angeklagter erhebt schwere Vorwürfe gegen seine Mutter

In Ellwangen hat am Montag der Prozess nach dem sechsfachen Mord in Rot am See begonnen. Angeklagt ist ein 27 Jahre alter Mann. Er erhob schwere Vorwürfe gegen seine Mutter, spricht von Demütigung und Verachtung. Die 56-Jährige arbeitete im Ortenau Klinikum und war dort sehr beliebt.

Großes Medieninteresse: Der Angeklagte sitzt während des Prozessauftakts um die Gewalttat in Rot am See mit sechs Toten am 24. Januar 2020 vor dem Landgericht Ellwangen im Gerichtssaal.
Großes Medieninteresse: Der Angeklagte sitzt während des Prozessauftakts um die Gewalttat in Rot am See mit sechs Toten am 24. Januar 2020 vor dem Landgericht Ellwangen im Gerichtssaal. Foto: dpa

Von Nico Pointner (dpa)

Es ist eine gespenstische Szene, morgens um kurz vor halb zehn im Saal des Landgerichts Ellwangen. Als der Angeklagte den Raum betritt, verstummt das Getuschel der Reporter im Saal. Seine Fußfesseln schleifen über den Boden, die Kameras klicken.

Der hagere Mann schlurft im Schneckentempo durch den Gerichtssaal. Er hat sich eine große, hellbraune Jacke über den Kopf gezogen, damit keiner sein Gesicht erkennt. Er läuft gebückt, mit eingefallenen Schultern, Blick nach unten – als trage er eine große Last auf seinen Schultern. Der Medienrummel ist groß beim Prozessauftakt um die Gewalttat mit sechs Toten in Rot am See bei Schwäbisch Hall.

Der Fall rund um den 27 Jahre alten Angeklagten ist aber auch außergewöhnlich: Am 24. Januar sterben bei einem Familientreffen seine Eltern, seine Halbschwester, sein Halbbruder sowie Onkel und Tante in einem regelrechten Kugelhagel. Zwei weitere Verwandte retten sich schwer verletzt.

Angeklagter gibt Hass auf Mutter als Grund für Morde in Rot am See an

Der Angeklagte gesteht am Montag, seine Familienmitglieder erschossen zu haben, spricht selbst von Mord. Der 27-Jährige zeichnet ein düsteres Bild seines Lebens – es geht um Demütigung, Verachtung und ein schwer gestörtes Verhältnis zur Mutter.

Die habe ihn verspottet, misshandelt und mit weiblichen Hormonen vergiftet, weil sie sich ein Mädchen gewünscht habe, so lautet seine Version der Geschichte. Bis zum Ende der Grundschulzeit war er demnach Bettnässer und musste Windeln tragen.

In diesem Haus in Rot am See erschoss der 27-Jährige sechs Menschen.
In diesem Haus in Rot am See erschoss der 27-Jährige sechs Menschen. Foto: dpa

Er macht seine Mutter für Fehlbildungen an seinem Geschlecht verantwortlich, weil sie in der Schwangerschaft zu spät noch Antibabypillen genommen habe. Sie habe ihn entmännlicht. So stellt der Angeklagte die Mutter, bei der er aufwuchs, als Grund allen Übels dar: „Meine Mutter hat für mich mein Leben zerstört.“

Bild der Mutter widerspricht Erfahrungen am Ortenau Klinikum in Achern

Ein ganz anderes Bild der 56-Jährigen hatte Christian Keller, Geschäftsführer des Ortenau Klinikums, kurz nach der Tag im Januar gezeichnet. Er zeigte sich „tief bestürzt über den Tod unserer beliebten und geschätzten Mitarbeiterin“.

Das Opfer wohnte in Lahr und arbeitete schon seit vielen Jahren in leitender Funktion am Acherner Klinikum. Sie galt als kompetent, liebevoll und fürsorglich. „Sie war sowohl bei den Patienten als auch bei den Mitarbeitern sehr beliebt“, sagte die Personalratsvorsitzende Franziska Müller.

Der Angeklagte zieht 2017 zum Vater – den er verachte, weil er seiner Mutter hörig gewesen sein soll. Der 27-Jährige präsentiert sich als Einzelgänger, der sein Studium abbricht, sich den ganzen Tag in seinem Zimmer einsperrt und Computer spielt, der Überwachungskameras in seinem Zimmer installiert, Telefonate seiner Eltern abhört, nachts die Tür mit einem Balken und einer Infrarot-Alarmschranke sichert – damit seine Mutter ihn nicht im Schlaf töte, sagt er.

Dann beschließt er, seine Mutter zu erschießen. Die Polizei habe er nicht einschalten wollen, er wollte Rache und Selbstjustiz. Auch seine Halbschwester soll sterben, weil sie von der angeblichen Vergiftung gewusst habe.

Getötete Halbschwester war sehr beliebt an Schule in Sasbach

Auch hier widerspricht sich die Schilderung des Angeklagten mit den Erfahrungen der Menschen in der Region. Denn die Halbschwester war Lehrerin der Integrativen Montessori-Schule in Sasbach. „Wir sind tief erschüttert über den Tod unserer Kollegin und Lehrerin. Wir können es noch nicht begreifen“, hatte Katja Markewitz im Januar im Auftrag der Schulleitung gesagt.

Die getötete Lehrerin sei sowohl als Kollegin als auch als Lehrerin sehr beliebt gewesen. Insgesamt sollen drei der sechs Opfer in Lahr gewohnt haben. Auch der Tatverdächtige soll eine Zeit lang in der Ortenau gewohnt haben.

Vor Gericht erzählt der 27-Jährige mit tiefer, klarer Stimme. Sein Abitur schaffte er mit der Note 1,8. In dem Attentat stecken drei Jahre akribische Planung.

27-Jähriger nutzt Trauerfeier für Großmutter für sechsfachen Mord

Er tritt dem Schützenverein bei, um an eine Waffe zu kommen. Als dann im Januar eine Trauerfeier für die Großmutter ansteht und die ganze Familie in Rot am See zusammenkommen soll, sieht er seine Zeit gekommen.

Für seine Tat nutzte der 27-jährige Angeklagte die Trauerfeier für seine Großmutter.
Für seine Tat nutzte der 27-jährige Angeklagte die Trauerfeier für seine Großmutter. Foto: dpa

Er besorgt sich eine Neun-Millimeter-Pistole und einen Mietwagen, kundschaftet Friedhof und Kirche aus. Vor der Tat erzählt er seinem Vater, er gehe nach Stuttgart. Dabei versteckt er sich oben im Haus. Als seine Mutter und sein Vater dann die Treppe hochkommen, lauert er ihnen hinter einer Tür im Flur auf.

Er fängt an zu feuern.

Auf den Vater, den es zuerst trifft. Auf die Mutter, die die Treppe herunterspringt und um Hilfe ruft. Auf den Halbbruder, der noch versucht, sich auf den Schützen zu stürzen, der aber an der Treppe stolpert. Auf Onkel und Tante, die überrascht in die Szene stoßen. „Da habe ich auf alles geschossen, was sich bewegt hat“, so der 27-Jährige. Mutter, Vater und Halbschwester richtet er mit einem Kopfschuss hin.

30 Schuss gibt er insgesamt ab.

In dem Moment hat sich das angefühlt wie in Zeitlupe.
Angeklagter im Mordprozess Rot am See

Der Mann schildert die Ereignisse als Art unkontrollierten Blutrausch. „In dem Moment hat sich das angefühlt wie in Zeitlupe.“ Danach hält er sich die Pistole selbst an den Kopf, denkt kurz über Suizid nach. Aber ihm habe der Mumm gefehlt. Er ruft die Polizei. Als die Streife in der Bahnhofstraße ankommt, ergibt er sich.

Angeklagter spricht vor Gericht auch von Reue

Am Montag spricht er im Gericht von Reue. „Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.“ Verwandte, die die Gewalttat überlebt haben, beschreiben den Mann im Gericht als schwarzes Schaf der Familie, als Sonderling und Einzelgänger.

Ein psychiatrischer Gutachter begleitet den Prozess und soll die Schuldunfähigkeit des Angeklagten einschätzen. Möglicherweise liege eine paranoide Schizophrenie vor, so die Staatsanwaltschaft.

Für eine Anwältin der Nebenkläger, Christina Glück, stehen Kälte, Kalkül und Gier hinter der Tat. Das Elternhaus, in dem der Angeklagte wohnte, sollte nämlich an die Halbschwester gehen. Es gehe dem Angeklagten schlicht ums Geld, sagt sie.

Ob der 27-Jährige psychisch krank ist, muss nun im Gericht geklärt werden. Ein Urteil könnte am Freitag, 10. Juli, fallen.

mit Material der BNN

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