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Schwere Hypothek

Ortenau Klinikum macht bis 2030 rund 192 Millionen Euro Verlust

Das Ortenau Klinikum wird bis zum Jahr 2030 rund 192 Millionen Euro Verlust erwirtschaften. Diese Summe nennt die Kreisverwaltung in einem Positionspapier, das dem Kreistag vorgelegt, der Öffentlichkeit aber bislang nicht zugänglich gemacht wurde.

Eine Ärztin in einer Klinik bekommt OP-Handschuhe angezogen.
Das Ende des Eigenbetriebs: Der Ortenaukreis will sein Klinikum mit rund 6.000 Mitarbeitern in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umwandeln. Die ersten Weichen dafür sind seit dieser Woche gestellt. (Symbolbild) Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Rechnet man weitere Nebenaufwendungen wie die Rückzahlung von Fördermitteln hinzu, so summiert sich dieses Defizit sogar auf 242 Millionen Euro, also fast eine Viertelmilliarde. Eine erhebliche Hypothek bei der Frage, wie der Kreis die bis zu 1,3 Milliarden Euro für die Agenda 2030 stemmen kann.

Die Verwaltung hat dem Krankenhausausschuss in nichtöffentlicher Sitzung eine ganze Reihe von möglichen Szenarien vorgestellt, die eines gemeinsam haben: Sie werden, nicht zuletzt wegen der erwarteten Verluste aus dem laufenden Betrieb mit den noch zu schließenden Häusern Kehl, Oberkirch und Ettenheim, gravierende Folgen für die Kreisumlage haben.

Kreisumlage könnte massiv steigen

Je nachdem wie sich Kreis und Kliniken die Investitionskosten teilen, kann die von den Kommunen zu entrichtende Abgabe an den Kreis um weniger als ein oder um bis zu zehn Prozentpunkte steigen. Zur Erinnerung: Derzeit liegt die Kreisumlage bei 27,5 Punkten und damit seit vielen Jahren deutlich unter dem Landesschnitt. Das könnte sich durch die Krankenhausreform grundlegend ändern.  Sicher ist schon jetzt: Das Klinikum wird auf absehbare Zeit am finanziellen Tropf des Kreises hängen. So oder so.

Reform ohne Alternative

Wer sich bislang gewundert hat, warum die Mehrzahl der Kreisräte nicht in das allgemeine Wehklagen über die geplanten Einschnitte in die Krankenhausstruktur eingestimmt hat – die Sitzungsvorlage für den Ausschuss für Gesundheit und Kliniken lässt kaum Zweifel daran, dass eine grundlegende Strukturreform nicht nur wegen der Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung alternativlos ist. Und sie wird alle Beteiligten, wie immer man es wendet, teuer zu stehen kommen.

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Die Gesundheitsversorgung im Ortenaukreis ist weiter umstritten. Am 22. Oktober will die Verwaltung die Agenda 2030 nochmals umfassend auf den Tisch legen. Foto: Rolf

Kreis und Kliniken haben in ihren ersten Modellberechnungen nach dem 1,3-Milliarden-Schock verschiedene Szenarien durchgerechnet. Alle haben eines gemeinsam: Sie hätten tief greifende Folgen, die mal augenfälliger, mal weniger offensichtlich sind. Dies gilt besonders für die Varianten, wo das Klinikum selbst den überwiegenden Teil der nach den jüngsten Schätzungen in der Ortenau verbleibenden 509 Millionen Euro Investitionssumme zu tragen hätte.

Nebenkosten nicht mit berechnet

Ein Betrag übrigens, der fast genau dem entspricht, was die ersten Gutachter als Gesamtkosten der Reform prognostiziert haben, nun aber nach Abzug der Landeszuschüsse. Dabei sind viele Nebenkosten wie die Folgenutzung der frei werdenden Krankenhäuser, zahlreiche Nebeninvestitionen sowie die Aufwendungen für das Modell Landrat bis 2030 noch nicht einmal berücksichtigt.

  • Variante 1: Muss das Klinikum den Kopf hinhalten und der Kreis lediglich die in seinem Baufonds bereits beschlossenen 125 Millionen Euro bezahlen, so würde das Eigenkapital ins Minus rutschen, die Liquidität wäre weg. „Wirtschaftlich nicht darstellbar“, so die Einschätzung des Kreises. Dies gelte insbesondere, wenn bis 2030 an der bestehenden Klinikstruktur festgehalten würde – was ja eigentlich, dem Grunde nach, Beschlusslage ist.
  • Variante 2: Kreis und Klinikum teilen sich die mehr als 500 Millionen Euro Investitionskosten und die anfallenden Verluste bis zum Stichtag der Reform – was zu einem schmerzlichen, aber mutmaßlich verkraftbaren, Anstieg der Kreisumlage um knapp fünf Prozent führen würde. Vorteil dieser Variante: Bis 2033 wäre die Angelegenheit ausgestanden. Länger würde es dauern, wenn der Kreis einen Kredit aufnimmt, dafür würde der Anstieg des Kreisumlage abgefedert. Das Problem hier liegt eher beim Klinikum: Es müsste seinen Anteil finanzieren, könnte aber, angesichts der auflaufenden Verluste, bis 2030 keine Tilgungen leisten. Ein Balanceakt mit ungewissem Ausgang.
  • Variante 3: Die Maximalfinanzierung durch den Kreis wiederum würde das Klinikum schonen. Auf der Gegenseite steht eine politisch schwer zu vermittelnde Anhebung der Kreisumlage um bis zu 9,55 Prozent per sofort, erst nach 2030 abgefedert, weil das Klinikum zu erwartende Gewinne abführen soll. Auch hier gibt es als Alternative eine Variante mit Kreditfinanzierung, die den Anstieg der Kreisumlage auf 6,7 Prozent und später auf knapp fünf Prozent begrenzt. Haken dabei: Die Kreis müsste bis zum Jahr 2048 Schulden abstottern, das Klinikum könnte keine Rücklagen für künftige Investitionen bilden.

Mahnung aus Freiburg

Die Verwaltung hat die 51 Städte und Gemeinden im Kreis schon einmal auf einen Anstieg der Kreisumlage vorbereitet. Dies entspreche auch den Anmerkungen des Regierungspräsidiums bei der Genehmigung des jüngsten Doppelhaushalts. Beim nächsten Etat müsse man den Hebesatz angesichts der Herausforderungen bei der Agenda 2030 „diesen wichtigen Erfordernissen anpassen“.



Kommentar
Kommentar Foto: N/A

Als „Randnotiz der Geschichte“ hatte der Acherner Oberbürgermeister Klaus Muttach beim Neujahrsempfang der Stadt die Gegner der Klinikreform bezeichnet – und die Fertigstellung des neuen Krankenhauses im Brachfeld bis 2030 prognostiziert. Klare Worte, aber im Lichte der jetzt bekannt gewordenen Zahlen dürfte der Rathauschef recht behalten. Die Agenda 2030 ist alternativlos. Rund eine Viertelmilliarde Euro an Verlusten prophezeit der Kreis allein für den weiteren Betrieb der jetzt noch geöffneten Krankenhäuser bis 2030. Geld, das an anderer Stelle fehlen wird.

Es ist ein Spiel mit hohem Einsatz: Die vorgelegten Zahlen, die leider öffentlich bislang weder kommuniziert noch erklärt wurden, sind gravierend. Wurde früher um Bruchteile eines Prozentpunkts Kreisumlage verbissen gerungen, so könnte es nun sein, dass der Kreis seine Rolle als Musterknabe bei dieser von den Kommunen erhobenen Abgabe auf Jahrzehnte hinaus verliert. Die Gesundheitsversorgung der Menschen rechtfertigt dies. Und doch muss man sich fragen, hat man sich in der Ortenau zu lange in trügerischer Sicherheit gewogen, während andere längst ihre Krankenhauslandschaft unter Schmerzen reformiert haben? Tut es deshalb jetzt besonders weh? Und hätte man in der Vergangenheit nicht vielleicht die eine oder andere freiwillige Leistung ein wenig kritischer hinterfragen sollen? Die Millionengeschenke des Landrats für ein Kinzigtal-Schwimmbad oder auch die Offenburger Messehalle wären vielleicht angesichts dieser Herkules-Aufgabe nicht unbedingt nötig gewesen. Klar ist in jedem Fall: Das Wunschkonzert ist zu Ende. Jetzt beginnen magere Jahre.



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